Home           Inhalt
balken.gif (998 Byte)
Stuttgarter unikurier Nr. 75/76 September 1997
Akademische Feier für den Pionier der Ingenieurwissenschaften:
Zum 150. Geburtstag Carl von Bachs
 

Die Entwicklung der Universität Stuttgart im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert ist durch die Persönlichkeit des Wissenschaftlers und akademischen Lehrers Carl von Bach entscheidend geprägt worden. Mit einer Akademischen Feier im Juli diesen Jahres würdigte die Universität den 150. Geburtstag dieses Pioniers der Ingenieurwissenschaften. Rund zwei-hundert Gäste waren zu der von der Materialprüfungsanstalt der Universität organisierten Festveranstaltung nach Stuttgart gekommen. Anfang des Jahres hatte Bachs Geburtsstadt Stollberg in Sachsen ihrem Ehrenbürger eine wissenschaftliche Tagung sowie eine begleitende Ausstellung zu diesem Anlaß ausgerichtet. An die Stuttgarter Hochschule wurde Carl Bach 1878 berufen und hier lehrte er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1922. Der hochgeehrte Wissenschaftler, unter anderem erhielt er die Ehrendoktorwürden der Universitäten Stuttgart, Tübingen und Berlin, blieb auch nach der Emeritierung seiner Wahlheimat treu. Staatsrat Carl von Bach starb im Alter von 84 Jahren 1931 in Stuttgart und wurde als Ehrenbürger dieser Stadt auf dem hiesigen Waldfriedhof beigesetzt.

kleinbal.gif (902 Byte)
 

Zur musikalischen Eröffnung der Feier spielte das Bläserquartett des Akademischen Orchesters der Universität Stuttgart ein Werk von Johann Christoph Pezelius (1639 - 1694). Anschließend begrüßte der Rektor der Universität, Prof. Dr.-Ing. Günter Pritschow, die Festgäste. In seiner Ansprache würdigte Prof. Pritschow die Verdienste Bachs um den Maschinenbau im 19. Jahrhundert, der damals „noch zu einem großen Teil mit dem Kunstgewerbe“ verglichen werden könne. Als Beispiel des Bachschen Wirkens zog der Rektor ein berühmtes Zitat des Automobilpioniers Rudolf Diesel heran, das wegen seiner Anschaulichkeit auch von weiteren Rednern genutzt wurde und deshalb auch hier wörtlich wiedergegeben sei.

 

Diesel und Bach
„Als ich Anfang der neunziger Jahre an die Konstruktion meines Motors herantrat, versagte diese Methode [gemeint war die ungefähre Berechnung der Materialstärke nach dem System der Verhältniszahlen; Red.] vollständig. Die enormen Drücke, welche in meiner Maschine auftraten, die in solcher Größe bisher noch unbekannten Reibungsarbeiten in den gleitenden Teilen, zwangen mich dazu, die Beanspruchung jedes einzelnen Organs auf das genaueste zu untersuchen und die Materialfrage selbst eingehend zu prüfen. Auch nicht die nebensächliste Einzelheit dürfte dem Zufall der ‘Verhältniszahl’ oder der ‘Sicherheitskoeffizienten’ überlassen werden. Es beschlich mich das beschämende und entmutigende Gefühl, daß ich der mir gestellten Aufgabe nicht gewachsen sei. Als ich mich in meiner Hilflosigkeit in der damaligen Literatur umsah, stieß ich auf die eben erschienene 2. Auflage von Carl von Bach „Die Maschinenelemente“, die mich so begeisterte, daß ich kurz entschlossen meinen Motor liegen ließ und mit Heißhunger Bachs Buch von der ersten bis zur letzten Seite studierte, eine Arbeit, die mich - bei meiner sonstigen anstrengenden praktischen Tätigkeit - fast ein Jahr in Anspruch nahm. Diese Zeit war aber nicht verloren, denn dann konnte ich - so glaube ich jedenfalls - konstruieren; ... Erst dann ging ich wieder an meinen Motor und hatte nach kurzer Zeit das schöne Gefühl, daß alles klappen werde.“

ZitatCarl von Bach sei als „Wegbereiter moderner Ingenieurausbildung“ in vielfacher Hinsicht Vorbild gewesen, sagte Pritschow und wies unter anderem auf die Einführung des einjährigen Pflichtpraktikums im Werkstattbereich durch Bach hin sowie auf die universitätsprägenden Gründungen zahlreicher wissenschaftlicher Einrichtungen wie das Maschinenlaboratorium und die Staatliche Materialprüfungsanstalt (MPA). Daraus sind später die Forschungs- und Materialprüfungsanstalt für das Bauwesen (FMPA) sowie weitere sieben Institute der Universität hervorgegangen: Thermische Strömungsmaschinen und Maschinenlaboratorium; Maschinenelemente und Gestaltungslehre; Maschinenkonstruktion und Getriebebau; Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen; Umformtechnik; Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde sowie Luftfahrtantriebe.

 

Erster Rektor
Auch der Verantwortung für das Gemeinwohl seiner Hochschule habe Carl von Bach sich gestellt, sagte der Rektor, und verwies auf seinen ersten Vorgänger im Amt: Carl von Bach war 1885 nach Einführung der Rektoratsverfassung der erste Rektor des damaligen Polytechnikums - vorher gab es Direktoren beziehungsweise Vorstände. Bach „sah bereits damals den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Leistungsfähigkeit der Industrie und dem Ausbildungsstand seiner Mitarbeiter und stellte daher die Forderung auf, künftige Absolventen von Hochschulen nicht bloß auf den Eintritt ins Berufsleben vorzubereiten, sondern ihnen auch das Rüstzeug für den weiteren Weg an die Hand zu geben. So schlug er vor, die Ausbildung der Ingenieure auf verbesserte Kenntnisse von Fremdsprachen, insbesondere der englischen Sprache, auf Fragen des Rechts, der Verwaltung und der Wirtschaft auszudehnen.“ „Sie sehen daraus“, ergänzte Pritschow, „wie alt die Erkenntnis bereits ist, daß wir uns der Internationalisierung stellen müssen.“ „Wollen wir Carl von Bach geistig beerben“, sagte der Rektor, „müssen wir uns nur mutig und wegbereitend den sehr aktuellen Forderungen der Gegenwart stellen.“

 

Zukunft braucht Herkunft
In Vertretung des Wissenschaftsministers überbrachte Staatssekretär Dr. Christoph-E. Palmer ein Grußwort des Landes. Gerade in der heutigen Zeit sei es wichtig, „stärker die Herkunft ins Auge zu nehmen“, sagte Palmer. „Zukunft braucht Herkunft!“ Allerdings müsse die Pflege des Erbes nicht historische Pflichtübung, sondern „Ausdruck einer inneren Befassung“ sein.
Zitat „Vom vielfältigen Wirken des Wissenschaftlers Carl von Bach profitiert die Stuttgarter Universität bis heute“, erklärte Palmer und verwies besonders auf die Entwicklung der Materialprüfungsanstalt, die Carl von Bach nach ihrer Gründung selber mehrere Jahrzehnte leitete.Als heute größte Einrichtung mit 300 Mitarbeitern sei „die MPA in der Universität Stuttgart fest verankert“, sagte der Staatssekretär. Carl von Bach sei aber auch als Pionier der wissenschaftlichen Ausbildung zu würdigen. „Ihm ist es gelungen, eine bis heute zentrale Forderung, nämlich daß ein wissenschaftliches Studium nicht statisch sein darf, sondern auf die Entwicklungen ihrer Zeit reagieren muß, zu realisieren“, sagte Palmer.

 

Anwendungsorientierte Forschung
Der Geschäftsführer der Technischen Vereinigung der Großkraftwerksbetreiber (VGB), Prof. Dr. Hans-Dieter Schilling, hob in seiner Ansprache vor allem auf die Begründung der anwendungsorientierten Forschung durch Carl von Bach ab. Prof. Schilling zeichnete knapp die Entwicklung der Kraftwerkstechnologie nach und hob hervor, daß die MPA Stuttgart seit den 20er Jahren, als weltweit Dampfkesselexplosionen stattfanden, im Auftrag der VGB führend bei der Erforschung von Schwächen und der Entwicklung von verbesserten Anlagen gewirkt habe.

 

Bach-Archiv
An der Technischen Universität Chemnitz-Zwickau ist ein Archiv vorhanden, das sich der Pflege und Aufbereitung des wissenschaftlichen Nachlasses Carl von Bachs widmet. Prof. Dr. Friedrich Naumann vom Lehrstuhl für Wissenschafts-, Technik- und Hochschulgeschichte in Chemnitz verwies auf Bachs sächsische Herkunft und die Begründung des Maschinenbaus in Chemnitz, dem „sächsischen Manchester“ im 19. Jahrhundert. Naumann beleuchtete in seinem Beitrag vor allem Bachs Jugend- und Ausbildungszeit in Stollberg und ihre prägende Wirkung auf die spätere Persönlichkeit des Ingenieurwissenschaftlers. Abschließend erläuterte der Historiker das Organisationsschema des Bach-Archivs und stellte besonders die Einmaligkeit des umfangreichen Schriftwechsels Bachs heraus. Bei der Fülle des gesammelten Materials müsse man sagen: „Die wissenschaftliche Arbeit zum Werk Carl von Bachs steht weitgehend noch aus.“

 

Der „C.Bach“
Noch durch unmittelbare Erfahrung gespeist, konnte der in Zürich lebende Enkel Carl von Bachs, Dr. Rico Steinbrüchel, die Persönlichkeit des Wissenschaftlers schildern. Steinbrüchel hatte als jüngster von elf Enkelkindern den Großvater zwischen 1921 und 1931 in Stuttgart noch persönlich erlebt, der von einigen der Kinder nur der „C.Bach“ genannt wurde, nicht etwa Großvater. „Was er sagte, das hatte Geltung wie die zehn Gebote.“ Und doch sei er beständig bemüht gewesen, immer wieder dazuzulernen. Aus dieser Kombination sei dem „C.Bach“ wohl seine spürbare große Ruhe und Güte erwachsen. Schließlich rage sein wissenschaftliches Werk auch nicht durch einzelne Einfälle aus der Zeit hervor, sondern durch gründliche Arbeit und Ausdauer, schloß Dr. Steinbrüchel.

Das Zentrum der Akademischen Feierstunde bildete der Festvortrag von Prof. Dr. Heinz Spähn von der BASF in Ludwigshafen, der im Überblick „Carl von Bach und sein Fortwirken im Spannungsfeld von Materialprüfung, Festigkeitsberechnung und Konstruktion“ vorstellte. Größere Teile dieses Vortrages sind im folgenden Beitrag mit Genehmigung des Autors im Wortlaut wiedergegeben.

Zum Ausklang der Feier spielte das Bläserquartett des Akademischen Orchesters, das die Veranstaltung mit einem klassischen Stück eröffnet hatte, ein zeitgenössisches Werk von Chris Hazel. Anschließend bestand bei einem Empfang die ausgiebig genutzte Möglichkeit zu persönlichem Meinungsaustausch.      /eng

 

Carl von Bach

  

8.3.1847 geboren in Stollberg/Sachsen
1856 - 1861 Schule Stollberg
1861 - 1863 Schlosserlehre in Stollberg, begleitend Besuch der Abendschule und Sonntagsschule des Stollberger Gewerbevereins
1863 - 1864 Arbeiter in der Maschinenfabrik R. Hartmann in Chemnitz
1864 - 1866 Höhere Gewerbeschule/Werkmeisterschule der Technischen Lehranstalten in Chemnitz
1866 Beteiligung an den Vorarbeiten für die geplante Chemnitzer Wasserleitung bei Professor Kankelwitz sowie Techniker im Büro für Dampfmaschinenbau in der Maschinenfabrik R. Hartmann in Chemnitz
1866 Aufnahme des Studiums an der Polytechnischen Schule in Dresden
1868 Assistent in Konstruktionsübungen bei Professor Kankelwitz am Polytechnikum in Stuttgart
1870 - 1871 Einjährig-Freiwilliger im Feldartillerie-Regiment No. 12
1872 Aufgabe der Assistenten- und Dozententätigkeit in Stuttgart wegen Tätigkeit als Ingenieur bei Professor Kankelwitz
1872 - 1873 Zweisemestriger Abschluß des Studiums an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, Diplomprüfung bei Professor Grashof
1873 - 1874 Ingenieurtätigkeit in England
1874 - 1876 Erster Ingenieur der Maschinenfabrik W. Knaust in Wien
1876 - 1878 Direktor der Lausitzer Maschinenfabrik in Bautzen
31.12.1877 Erster Briefwechsel mit Professor Kankelwitz wegen Professur in Stuttgart
1878 Berufung als Ordentlicher Professor des Maschineningenieurwesens nach Stuttgart mit dem Lehrauftrag Dampfmaschinen, Dampfkessel, Elastizität und Maschinenteile
1881 Vorstand des Württembergischen Bezirksvereins im Verein Deutscher Ingenieure
1884 Gründung der Staatlichen Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart
1884 - 1927 Vorsitzender des Württembergischen Dampfkessel-Revisions-Vereins e.V.
1885 - 1888 Erster Rektor seit Einführung der Rektoratsverfassung am Polytechnikum Stuttgart (ab 1890 Technische Hochschule)
1893 Ruf an das Eidgenössische Polytechnikum in Zürich
1894 Verleihung der Grashof-Denkmünze des Vereins Deutscher Ingenieure
1895 Verleihung des Ehrenkreuzes der Württembergischen Krone und des Titels Baudirektor
1895 Ruf an die Technische Hochschule Berlin
1899 Fertigstellung des Maschinenlaboratoriums an der Technischen Hochschule Stuttgart
1902 Ruf an die Technische Hochschule Wien
1903 Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Berlin
1911 Verleihung des Komturkreuzes des Albrechts-Ordens 2. Klasse durch den König von Sachsen
1916 Ehrenvorsitzender des Württembergischen Ingenieurvereins
1913 Ehrenbürger der Stadt Stollberg
1914 Ernennung zum Staatsrat
1918 Verleihung des Titels Exzellenz als erstem Professor und erstem Ingenieur in Württemberg
1. 10. 1922 Emeritierung
1927 Ehrenbürger der Stadt Stuttgart
1927 Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Stuttgart
1927 Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen
10.10.1931 gestorben in Stuttgart, Beerdigung 14.10.1931 auf dem Waldfriedhof Stuttgart

 


last change: 09.06.98 / eng
Pressestelle der Universität Stuttgart 1998