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Stuttgarter unikurier Nr. 75/76 September 1997
Gerhard Zweckbronner*:
Ingenieurausbildung in Württemberg
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Vielleicht einschneidender als die neuen Fächer wirkte auf das Selbstverständnis und die äußere Stellung der Anstalt eine Änderung im Schulbetrieb, besser: die Hinzunahme einer neuen Aufgabe, die für die Universitäten längst konstitutiv geworden war - der Forschung.
Treibende Kraft in Stuttgart war Carl Bach. Sein Buch ‘Die Maschinen-Elemente’ erreichte zwischen 1881 und 1922 dreizehn Auflagen und es wurde ins Schwedische, Französische und Russische übersetzt.

Alle Hebel wurden 1893 - letztlich erfolgreich - in Bewegung gesetzt, um Bach in Stuttgart zu halten, nachdem er einen Ruf an das Eidgenössische Polytechnikum in Zürich erhalten hatte. Er galt völlig zu Recht, „auf dem Gebiet des Maschineningenieurfaches in gewissem Betracht als bahnbrechend und als Begründer einer eigenen Schule“, und es wurde betont, daß auch andere Technische Hochschulen sich der „Methode der Bachschen Schule“ zuwandten. Bachs Schüler wurden offenbar „mehr und mehr von der Maschinenindustrie gesucht“.

Nachdem die fachliche Entwicklung in Stuttgart seit den 40er Jahren stark von Redtenbacher und der durch ihn begründeten, als vorbildlich eingeschätzten Karlsruher Schule des wissenschaftlichen Maschinenbaus geprägt gewesen war, baute nun Carl Bach in Stuttgart eine eigene, in das 20. Jahrhundert weiterführende Schule der technischen Wissenschaften auf, die theoretische Ansprüche und praktische Erfordernisse zu vereinigen suchte durch systematische Versuche im Bau- und Maschinenwesen.

Diese experimentelle Ingenieurwissenschaft war eine Antwort auf die rasche Entwicklung der Technik hinein in Bereiche, über die noch keine genügend gesicherten Erfahrungen aus der Praxis vorlagen, und sie trug vom Methodischen her dem Umstand Rechnung, daß sich Technik nicht reduzieren ließ auf angewandte Naturwissenschaft und Mathematik, sondern einen spezifischen Gegenstand technikwissenschaftlicher Forschung und Lehre darstellte. Unter Mitwirkung des Vereines deutscher Ingenieure und eines Württembergischen Bezirksvereins wurden das Ingenieurlaboratorium und die Materialprüfungsanstalt eingerichtet und ausgebaut - Vorhaben, bei denen die Interessenverflechtung von Schule, Staatsbehörden und Industrie die technisch-wissenschaftliche Entwicklung in unmittelbaren Zusammenhang brachte mit der Konkurrenzunfähigkeit der aufstrebenden württembergischen Industrie auf dem Weltmarkt.
Die Aufnahme der Forschung als eigenständiges Aufgabengebiet an allen Technischen Hochschulen, nicht nur in Stuttgart, unterstützte aber auch die standespolitischen Bestrebungen der Technikerbewegung des ausgehenden Jahrhunderts. Denn nun war mit der Humboldtschen Einheit von Forschung und Lehre geradezu ein universitäres Lebenselement in die Technischen Hochschulen gebracht worden, das als Ausweis der Wissenschaftlichkeit dieser Hochschulen die Forderungen nach offizieller Gleichstellung mit den Universitäten legitimieren konnte. Aber für diese Gleichstellung und ihr nach außen sichtbarstes Zeichen, das Promotionsrecht, wie für die gestärkte Position des realistischen Zweiges überhaupt im zweigeteilten deutschen Bildungswesen, dürfte letztlich den Ausschlag gegeben haben, in welchem Maße die Technik das Gesicht des 19. Jahrhunderts geprägt hatte und daß sie vor allem im Wilhelminischen Zeitalter zum politisch-wirtschaftlichen Machtfaktor geworden war.

Aus dieser technikbejahenden Perspektive galten realistische und technische Bildung als angemessenes Mittel zur Orientierung in der industriegesellschaftlichen Lebenswelt und zugleich als wirkungsvolles Mittel zur Fortsetzung des Technisierungsprozesses.

Wahrend die Kulturkritik dieses Vordringen technischer Rationalität beklagte als Reduzierung der gesamten Denk- und Wahrnehmungswelt auf technische Kategorien und damit als Verlust an sittlich-moralischen Leitwerten, sahen die Befürworter in den gesteigerten Möglichkeiten zur Beherrschung der Naturkräfte und -stoffe und zur Hebung der materiellen Lebensbedingungen das Fundament, wenn nicht das Zeichen kulturellen Fortschritts und leiteten hieraus die Legitimation ab für ihre standespolitischen Forderungen, mit denen sie den Wandel überkommener Kultur- und Bildungsinhalte zu beschleunigen trachteten.

Überblickt man nur die Geschichte der Stuttgarter Schule, dann findet man die sachlich und zeitlich sich überlappenden Entwicklungslinien, ... , im großen und ganzen bestätigt: konzentrative Entwicklungslinien (Trennung von der Realschule, Abstoßung des Bauhandwerkerunterrichts, Abgabe von Vorbereitungskursen an die Realschulen), Klärung des Selbstverständnisses (zugunsten der Wissenschaftlichkeit und gegen die Ausrichtung auf unmittelbar praktische Erfordernisse), extensive Entwicklungslinien (Zunahme der Lehrgebiete entsprechend dem Wachstum von Technik und Naturwissen-schaft), egalitäre Entwicklungslinien (hin zur Gleichstellung mit der Universität).

 

(* Der Text des Beitrags ist mit freundlicher Genehmigung dem gleichnamigen Buch des Verfassers entnommen. Das 280 Seiten starke Werk „Ingenieurausbildung in Württemberg“ stellt die wohl umfassendste Darstellung von Vorgeschichte, Einrichtung und Ausbau der Technischen Hochschule Stuttgart und ihrer Ingenieurwissenschaften bis zum Jahr 1900 dar. Zweckbronner leistet darin eine Verknüpfung von Institutions- und Disziplingeschichte, die - exemplarisch an der TH Stuttgart aufgezeigt - , zugleich einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der technischen Bildung in Deutschland leistet. - Dr.-Ing. Gerhard Zweckbronner hat an der Universität Stuttgart im Fach Geschichte der Naturwissenschaften habilitiert und arbeitet derzeit als Oberkonservator am Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim.)
Gerhard Zweckbronner, Ingenieurausbildung im Königreich Württemberg, Hg. v. Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim, Stuttgart: Konrad Theiss Verlag, 1987

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart 1998