Vielleicht einschneidender als die neuen Fächer wirkte auf das
Selbstverständnis und die äußere Stellung der Anstalt eine Änderung im Schulbetrieb,
besser: die Hinzunahme einer neuen Aufgabe, die für die Universitäten längst
konstitutiv geworden war - der Forschung.
Treibende Kraft in Stuttgart war Carl Bach. Sein Buch Die Maschinen-Elemente
erreichte zwischen 1881 und 1922 dreizehn Auflagen und es wurde ins Schwedische,
Französische und Russische übersetzt.
Alle Hebel wurden 1893 - letztlich erfolgreich - in Bewegung
gesetzt, um Bach in Stuttgart zu halten, nachdem er einen Ruf an das Eidgenössische
Polytechnikum in Zürich erhalten hatte. Er galt völlig zu Recht, auf dem Gebiet
des Maschineningenieurfaches in gewissem Betracht als bahnbrechend und als Begründer
einer eigenen Schule, und es wurde betont, daß auch andere Technische Hochschulen
sich der Methode der Bachschen Schule zuwandten. Bachs Schüler wurden
offenbar mehr und mehr von der Maschinenindustrie gesucht.
Nachdem die fachliche Entwicklung in Stuttgart seit den 40er
Jahren stark von Redtenbacher und der durch ihn begründeten, als vorbildlich
eingeschätzten Karlsruher Schule des wissenschaftlichen Maschinenbaus geprägt gewesen
war, baute nun Carl Bach in Stuttgart eine eigene, in das 20. Jahrhundert weiterführende
Schule der technischen Wissenschaften auf, die theoretische Ansprüche und praktische
Erfordernisse zu vereinigen suchte durch systematische Versuche im Bau- und
Maschinenwesen.
Diese experimentelle Ingenieurwissenschaft war eine Antwort
auf die rasche Entwicklung der Technik hinein in Bereiche, über die noch keine genügend
gesicherten Erfahrungen aus der Praxis vorlagen, und sie trug vom Methodischen her dem
Umstand Rechnung, daß sich Technik nicht reduzieren ließ auf angewandte
Naturwissenschaft und Mathematik, sondern einen spezifischen Gegenstand
technikwissenschaftlicher Forschung und Lehre darstellte. Unter Mitwirkung des Vereines
deutscher Ingenieure und eines Württembergischen Bezirksvereins wurden das
Ingenieurlaboratorium und die Materialprüfungsanstalt eingerichtet und ausgebaut -
Vorhaben, bei denen die Interessenverflechtung von Schule, Staatsbehörden und Industrie
die technisch-wissenschaftliche Entwicklung in unmittelbaren Zusammenhang brachte mit der
Konkurrenzunfähigkeit der aufstrebenden württembergischen Industrie auf dem Weltmarkt.
Die Aufnahme der Forschung als eigenständiges Aufgabengebiet an allen Technischen
Hochschulen, nicht nur in Stuttgart, unterstützte aber auch die standespolitischen
Bestrebungen der Technikerbewegung des ausgehenden Jahrhunderts. Denn nun war mit der
Humboldtschen Einheit von Forschung und Lehre geradezu ein universitäres Lebenselement in
die Technischen Hochschulen gebracht worden, das als Ausweis der Wissenschaftlichkeit
dieser Hochschulen die Forderungen nach offizieller Gleichstellung mit den Universitäten
legitimieren konnte. Aber für diese Gleichstellung und ihr nach außen sichtbarstes
Zeichen, das Promotionsrecht, wie für die gestärkte Position des realistischen Zweiges
überhaupt im zweigeteilten deutschen Bildungswesen, dürfte letztlich den Ausschlag
gegeben haben, in welchem Maße die Technik das Gesicht des 19. Jahrhunderts geprägt
hatte und daß sie vor allem im Wilhelminischen Zeitalter zum politisch-wirtschaftlichen
Machtfaktor geworden war.
Aus dieser technikbejahenden Perspektive galten realistische
und technische Bildung als angemessenes Mittel zur Orientierung in der
industriegesellschaftlichen Lebenswelt und zugleich als wirkungsvolles Mittel zur
Fortsetzung des Technisierungsprozesses.
Wahrend die Kulturkritik dieses Vordringen technischer
Rationalität beklagte als Reduzierung der gesamten Denk- und Wahrnehmungswelt auf
technische Kategorien und damit als Verlust an sittlich-moralischen Leitwerten, sahen die
Befürworter in den gesteigerten Möglichkeiten zur Beherrschung der Naturkräfte und
-stoffe und zur Hebung der materiellen Lebensbedingungen das Fundament, wenn nicht das
Zeichen kulturellen Fortschritts und leiteten hieraus die Legitimation ab für ihre
standespolitischen Forderungen, mit denen sie den Wandel überkommener Kultur- und
Bildungsinhalte zu beschleunigen trachteten.
Überblickt man nur die Geschichte der Stuttgarter Schule,
dann findet man die sachlich und zeitlich sich überlappenden Entwicklungslinien, ... , im
großen und ganzen bestätigt: konzentrative Entwicklungslinien (Trennung von der
Realschule, Abstoßung des Bauhandwerkerunterrichts, Abgabe von Vorbereitungskursen an die
Realschulen), Klärung des Selbstverständnisses (zugunsten der Wissenschaftlichkeit und
gegen die Ausrichtung auf unmittelbar praktische Erfordernisse), extensive
Entwicklungslinien (Zunahme der Lehrgebiete entsprechend dem Wachstum von Technik und
Naturwissen-schaft), egalitäre Entwicklungslinien (hin zur Gleichstellung mit der
Universität).
(* Der Text des Beitrags ist mit freundlicher
Genehmigung dem gleichnamigen Buch des Verfassers entnommen. Das 280 Seiten starke Werk Ingenieurausbildung
in Württemberg stellt die wohl umfassendste Darstellung von Vorgeschichte,
Einrichtung und Ausbau der Technischen Hochschule Stuttgart und ihrer
Ingenieurwissenschaften bis zum Jahr 1900 dar. Zweckbronner leistet darin eine
Verknüpfung von Institutions- und Disziplingeschichte, die - exemplarisch an der TH
Stuttgart aufgezeigt - , zugleich einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der technischen
Bildung in Deutschland leistet. - Dr.-Ing. Gerhard Zweckbronner hat an der Universität
Stuttgart im Fach Geschichte der Naturwissenschaften habilitiert und arbeitet derzeit als
Oberkonservator am Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim.)
Gerhard Zweckbronner, Ingenieurausbildung im Königreich
Württemberg, Hg. v. Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim, Stuttgart: Konrad
Theiss Verlag, 1987
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