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Stuttgarter unikurier Nr. 75/76 September 1997
Gadamer und Bhabha in der Reihe Kulturtheorien:
Vom „Sich-Einhausen“ in haus- und heimatlosen Kulturen
 

Das Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie stellte mit Vorträgen des Literaturwissenschaftlers Homi K. Bhabha (Chicago) und des Philosophen Hans-Georg Gadamer (Heidelberg) am 4. und 18. Juni 1997 zwei weitere Positionen in der Vortragsreihe Kulturtheorien vor. Durch die Kooperation mit der Stadtbücherei erhielt der gewünschte Brückenschlag von der Universität zur Stuttgarter Öffentlichkeit zudem einen neuen Akzent: der Max-Bense-Saal wurde als Ort der Abendvorträge von einem bunt gemischten Publikum bestens angenommen.

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Hans-Georg Gadamer plädierte in seinem Vortrag „Sprache und Musik - Hören und Verstehen“ für eine Kultur des Zuhörens. Einer von Reproduktionen beherrschten Welt hielt er die anhaltende Aktualität von Originalschauplätzen in der Kultur entgegen: nur wer in Theater, Musik und Ausstellung vor Ort ist, kann an dem Kunstwert des Ereignisses teilhaben, hat somit Zugang zu dem gewissen „Ton, der die Musik macht“. Diese Metapher gibt, wie Gadamer eindrucksvoll bewies, mehr Anlaß zum kultur-theoretischen Nachdenken als man zunächst annehmen mag.

So verfüge die abendländische Kultur zum Beispiel über zwei Traditionen des Messens; die eine bezieht sich auf durch Konventionen festgelegte Referenten - man denke an das in Paris aufbewahrte Urmeter oder die nicht minder verankerten Vorstellungen von Takt und Angemessenheit im zwischenmenschlichen Verhalten. Demgegenüber habe der Mensch aber auch die Fähigkeit, etwas zu „erhören“, was noch nicht als bekannt und festgelegt vorausgesetzt werden kann. In dieser zweiten Tradition liege der eigentliche Ort der Kultur, der nur als ein „Sich-Einhausen“ in ein Unbekanntes, ein „Sich-Hineindenken“ in den Anderen verstanden werden könne. Der Ort der Kunst kann nicht von vornherein feststehen, sagte Gadamer, sondern werde erschlossen, indem der Zuhörer durch „Erhorchen“ dem „gehorcht“, was ihm geboten werde. So habe auch die Kultur ihre Methode, aber eben nicht eine, die sich in der vorgegebenen Regelbefolgung erschöpft, sondern hier sei die Rückbesinnung auf den griechischen Ursprung des Begriffs nötig: mit „Methode“ eröffne man sich Gebiete, in die man erst hineinzugehen beabsichtige.

Auch Homi Bhabha beschäftigte sich in seinem Vortrag „Vernacular, Cosmopolitanism, and the Anxiety of Cultural Translation“ mit dem genaueren Erhören der Stimmen, die sich unterhalb und zwischen den gewohnten politischen Diskursen vernehmen lassen. Die herkömmlichen Einteilungen nach Nation, Rasse, Klasse, rechts/links und anderen Polaritäten, die mit dem Prinzip des Ausschlusses arbeiten, würden heute von neuen gesellschaftlichen Phänomenen untergraben wie Aids, Multikulturalität und der Forderung nach Gleichberechtigung. Diese Herausforderungen versammelten heute Fürsprecher aus den verschiedensten politischen Gruppierungen und mit unterschiedlichsten Motivationen.

Es versteht sich von selbst, sagte Bhabha, daß damit auch neue Diskursformen geprägt würden: die prinzipielle Hybridität des Wissens und der Identifikation kennzeichneten heute die Neubestimmung des Politischen in der westlichen Welt. Gemeinschaften bildeten sich durch die stete Verhandlung von Werten, durch einen Fluß des Wiedereinschreibens also, der keine Reinformen mehr kenne.

Existenz könne nur exzentrisch verstanden werden, von den Spuren einer nicht-kausal zu verstehenden Vergangenheit zwar immer wieder eingeholt, aber dennoch ohne Ziel. Daß in diesem Prozeß auch Ängste entstehen, leuchtet ein. In Bhabhas theoretischer Modellbildung ist „Angst“ jedoch positiv belegt.

Angst ist für Bhabha ein notwendiges Vermittlungsmoment, sie ermögliche Öffnung und Übersetzung, so daß sie letztlich die Verschiebungen bewirke, die den Raum der Kultur ausmachen: Kultur sei, im Freudschen Sinne, von Natur aus „un-heimlich“ - das Haus oder Heim, das wir zu bauen meinen, kann keine festen Grundmauern haben, es kennt nur Öffnungen und erweist sich somit als Zwischenraum par excellence.

A.Geiger

 


last change: 09.06.98 / eng
Pressestelle der Universität Stuttgart 1998