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Stuttgarter unikurier Nr. 75/76 September 1997
Internationale Politikwissenschaftlertagung:
Großstadt-Demokratien in der Krise?
 

Von einer Krise der Demokratie in Großstädten kann nicht die Rede sein. Dies ist das Ergebnis einer Tagung von Politik- und Verwaltungswissenschaftlern aus neun Ländern, die auf Einladung des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Stuttgart (Prof. Dr. Oscar W. Gabriel) und des Institut D’Etudes Politiques an der Universität Bordeaux (Dr. Vincent Hoffman-Martinot) vom 26. bis 28. Juni im Internationalen Begegnungszentrum der Uni Stuttgart stattfand. Ziel der Veranstaltung war es, international vergleichend die Demokratieentwicklungen in Großstädten zu analysieren.

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Ob in Europa, Nordamerika oder Japan: Großstädte spielen überall eine mehr oder weniger zentrale Rolle, wenn es um die Realisierung nationaler und lokaler Politik geht. Allerdings brachten die letzen 20 Jahre Veränderungen mit sich, die die Großstädte weltweit vor ähnliche Probleme stellen. Finanzielle Engpässe haben sich fast überall zu unüberwindlichen haushaltspolitischen Hindernissen entwickelt. Wo es früher in erster Linie um die Verwaltung örtlicher Angelegenheiten ging, muß heute vorausschauend geplant werden. Investitionspotentiale müssen geschaffen oder ausgeschöpft, Arbeitsplätze gesichert, Infrastrukturen aus- oder umgebaut werden, um im Zuge der Globalisierung nicht ins Hintertreffen zu geraten. Parallel dazu kam es in der westlichen Welt aber auch zu sozio-kulturellen Veränderungen. Die Bildungsexpansion, der Ausbau und die Nutzung von elektronischen Massenmedien, Veränderungen in den individuellen Werten und Lebensformen - der soziale Wandel - hat zu neuen Erwartungen der Bürger an die Städte und deren Entscheidungsorgane geführt.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und wie effektivere und effizientere Problemlösungen mit einer stärkeren Bürgereinbindung in Verbindung gebracht werden können. Haben die sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Wandlungsprozesse die Einflußverteilung zwischen Bürgern, kommunalen Parteien, den Selbstverwaltungsorganen und der Bürokratie verändert? Und wie beeinflussen die unterschiedlichen lokalpolitischen Traditionen und institutionellen Gegebenheiten die Verarbeitung der neuen Herausforderungen?

Die Forschungsergebnisse zu diesen Fragen sind so heterogen wie das Forschungsfeld selbst. Direkte Vergleiche sind aufgrund der unterschiedlichen Einbindung der Städte in die nationalen politischen Systeme, der unterschiedlichen kommunalen Funktionen, der politischen Strukturen sowie der nationalen bzw. lokalen Besonderheiten problematisch. Dennoch lassen sich einige Gemeinsamkeiten herauskristallisieren.

 

Fast überall Dezentralisierung
Dezentralisierung ist ein fast durchweg zu beobachtendes Phänomen. Selbst in Frankreich oder Großbritannien ist eine zunehmende Kompetenzverlagerung von der staatlichen auf die kommunale oder regionale Ebene zu erkennen. Daneben finden beispielsweise in Skandinavien weitergehende Verlagerungen von den städtischen Entscheidungszentren auf untergeordnete „Nachbarschafts-Räte“ statt. Allerdings geht damit zum Teil eine Entpolitisierung der Kommunen einher. Sie ist vor allem dort weit vorangesschritten, wo die politischen Parteien von jeher eine geringe Rolle spielen. So steht in den USA und in Kanada die Frage nach lokaler Effizienz im Mittelpunkt der aktuellen Debatte. Während sich die Kommunalwissenschaftler jenseits des Atlantiks also primär mit Problemen der Stadtentwicklung beschäftigen, ist der nationenübergreifend zu beobachtende Rückgang konventioneller Bürgerbeteiligung ein Phänomen, das die Wissenschaftler in Europa und Japan beschäftigt. Inwieweit kann hier überhaupt noch von einer funktionierenden Einbindung der Bürger in die Politik ausgegangen werden? Wo manche Mahner eine Krise der Großstadt-Demokratien sehen, zeigt sich bei genauerer Betrachtung ein positiveres Bild. So werden beispielsweise in Großbritannien und Skandinavien, aber auch in Deutschland schon seit einigen Jahren neuere, eher problem- und situationsspezifische Formen der Bürgerbeteiligung versucht und sogar in einigen Kommunalverfassungen verankert. Sie sind zumindest zum Teil in der Lage, den Rückgang konventioneller Beteiligung zu kompensieren.

 

Keine Krise in Sicht
Kurz: Der Wandel der Kommunen von primären „Verwaltungseinheiten“ hin zu kundenorientierten, effizienzbedachten Akteuren in einem zunehmenden Wettbewerb um Standortvorteile ist keineswegs automatisch mit einem Rückgang bürgerschaftlicher Einbindung in die lokale Politik verbunden. Die Herausforderungen, denen sich Großstädte heute gegenüber sehen, haben sich verändert. Mit ihnen haben sich aber auch die Formen gewandelt, wie mit diesen Herausforderungen umgegangen wird. Von der vielbeschworenen Krise der Demokratie in Großstädten kann bislang jedenfalls noch nicht die Rede sein.

Die Tagungsbeiträge werden Anfang 1998 als englische und als französische Publikation erscheinen.

 

KONTAKT
Prof. Dr. Oscar W. Gabriel, Institut für Politikwissenschaft, Tel. 0711/121-3430, Fax 0711 / 121-2333
e-mail: oscar.w.gabriel@po.pol.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart 1998