Ob in Europa, Nordamerika oder Japan: Großstädte spielen überall eine mehr
oder weniger zentrale Rolle, wenn es um die Realisierung nationaler und lokaler Politik
geht. Allerdings brachten die letzen 20 Jahre Veränderungen mit sich, die die
Großstädte weltweit vor ähnliche Probleme stellen. Finanzielle Engpässe haben sich
fast überall zu unüberwindlichen haushaltspolitischen Hindernissen entwickelt. Wo es
früher in erster Linie um die Verwaltung örtlicher Angelegenheiten ging, muß heute
vorausschauend geplant werden. Investitionspotentiale müssen geschaffen oder
ausgeschöpft, Arbeitsplätze gesichert, Infrastrukturen aus- oder umgebaut werden, um im
Zuge der Globalisierung nicht ins Hintertreffen zu geraten. Parallel dazu kam es in der
westlichen Welt aber auch zu sozio-kulturellen Veränderungen. Die Bildungsexpansion, der
Ausbau und die Nutzung von elektronischen Massenmedien, Veränderungen in den
individuellen Werten und Lebensformen - der soziale Wandel - hat zu neuen Erwartungen der
Bürger an die Städte und deren Entscheidungsorgane geführt.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und wie
effektivere und effizientere Problemlösungen mit einer stärkeren Bürgereinbindung in
Verbindung gebracht werden können. Haben die sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen
Wandlungsprozesse die Einflußverteilung zwischen Bürgern, kommunalen Parteien, den
Selbstverwaltungsorganen und der Bürokratie verändert? Und wie beeinflussen die
unterschiedlichen lokalpolitischen Traditionen und institutionellen Gegebenheiten die
Verarbeitung der neuen Herausforderungen?
Die Forschungsergebnisse zu diesen Fragen sind so heterogen
wie das Forschungsfeld selbst. Direkte Vergleiche sind aufgrund der unterschiedlichen
Einbindung der Städte in die nationalen politischen Systeme, der unterschiedlichen
kommunalen Funktionen, der politischen Strukturen sowie der nationalen bzw. lokalen
Besonderheiten problematisch. Dennoch lassen sich einige Gemeinsamkeiten
herauskristallisieren.
Fast überall Dezentralisierung
Dezentralisierung ist ein fast durchweg zu beobachtendes Phänomen. Selbst in Frankreich
oder Großbritannien ist eine zunehmende Kompetenzverlagerung von der staatlichen auf die
kommunale oder regionale Ebene zu erkennen. Daneben finden beispielsweise in Skandinavien
weitergehende Verlagerungen von den städtischen Entscheidungszentren auf untergeordnete
Nachbarschafts-Räte statt. Allerdings geht damit zum Teil eine
Entpolitisierung der Kommunen einher. Sie ist vor allem dort weit vorangesschritten, wo
die politischen Parteien von jeher eine geringe Rolle spielen. So steht in den USA und in
Kanada die Frage nach lokaler Effizienz im Mittelpunkt der aktuellen Debatte. Während
sich die Kommunalwissenschaftler jenseits des Atlantiks also primär mit Problemen der
Stadtentwicklung beschäftigen, ist der nationenübergreifend zu beobachtende Rückgang
konventioneller Bürgerbeteiligung ein Phänomen, das die Wissenschaftler in Europa und
Japan beschäftigt. Inwieweit kann hier überhaupt noch von einer funktionierenden
Einbindung der Bürger in die Politik ausgegangen werden? Wo manche Mahner eine Krise der
Großstadt-Demokratien sehen, zeigt sich bei genauerer Betrachtung ein positiveres Bild.
So werden beispielsweise in Großbritannien und Skandinavien, aber auch in Deutschland
schon seit einigen Jahren neuere, eher problem- und situationsspezifische Formen der
Bürgerbeteiligung versucht und sogar in einigen Kommunalverfassungen verankert. Sie sind
zumindest zum Teil in der Lage, den Rückgang konventioneller Beteiligung zu kompensieren.
Keine Krise in Sicht
Kurz: Der Wandel der Kommunen von primären Verwaltungseinheiten hin zu
kundenorientierten, effizienzbedachten Akteuren in einem zunehmenden Wettbewerb um
Standortvorteile ist keineswegs automatisch mit einem Rückgang bürgerschaftlicher
Einbindung in die lokale Politik verbunden. Die Herausforderungen, denen sich Großstädte
heute gegenüber sehen, haben sich verändert. Mit ihnen haben sich aber auch die Formen
gewandelt, wie mit diesen Herausforderungen umgegangen wird. Von der vielbeschworenen
Krise der Demokratie in Großstädten kann bislang jedenfalls noch nicht die Rede sein.
Die Tagungsbeiträge werden Anfang 1998 als englische und als
französische Publikation erscheinen.
KONTAKT
Prof. Dr. Oscar W. Gabriel, Institut für Politikwissenschaft, Tel. 0711/121-3430,
Fax 0711 / 121-2333
e-mail: oscar.w.gabriel@po.pol.uni-stuttgart.de
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