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Stuttgarter unikurier Nr. 77/78 Februar 1998
Gesellschaft und Gentechnik:
Wie bilden sich beim Menschen Einstellungen heraus?
 

Anwendungen und Folgen der Gentechnik zählen derzeit zu den am meisten diskutierten Wissenschaftsthemen unserer Gesellschaft. Risiken und Kontrollierbarkeit, moralische und ethische Verantwortbarkeit, generell aber die Frage nach der Zukunft von Hochtechnologien stehen dabei im Mittelpunkt. Die Ergebnisse eines jetzt abgeschlossenen Teilprojekts, das an der Universität Stuttgart durchgeführt wurde und sich mit Einstellungen gegenüber der Gentechnik befaßte, werden derzeit analysiert.

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Unter der Koordination der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg wurde vor zwei Jahren ein sozialwissenschaftlicher Projektverbund ins Leben gerufen, in dem Probleme der Wahrnehmung und Bewertung von Gentechnik in der Bevölkerung aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven analysiert werden sollten. Projektteams aus dem gesamten Bundesgebiet waren an diesen Arbeiten beteiligt.

Innerhalb dieses Forschungsverbunds untersuchte ein Team unter Leitung von Prof. Dr. Dieter Urban (Lehrstuhl für Soziologie I der Universität Stuttgart) Einstellungen zur Gentechnik. Dazu erfaßten die Stuttgarter Sozialforscher in einer Datenbank die Adressen von insgesamt über 800 sogenannten „Diskursakteuren" aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Kirchen, Politik, Bürgerinitiativen, Umweltschutz- und Verbraucherschutzorganisationen. Mittels dieser Daten konnten erstmals auch solche Personen gezielt befragt werden, die sich aufgrund ihrer politischen oder beruflichen Aktivitäten mit Themen der Gentechnik beschäftigen. Die Meinungen dieser Personen wurden mit den Einstellungen einer Zufallsauswahl von Personen aus der Bevölkerung verglichen.

Aus methodischen und inhaltlichen Gründen wurde die Befragung als Panelstudie insgesamt dreimal durchgeführt: im April/Mai 1996, im Oktober/November 1996 und von Februar bis Mai 1997. Von den ca. 1100 Personen, die an der ersten Umfrage teilnahmen, beteiligten sich noch ca. 580 an der dritten. Auf den Angaben dieser Personengruppe basieren die folgenden dargestellten Ergebnisse.

 

Hohes Interesse - wenig Wissen
In der Bevölkerung ist ein hohes Interesse an allgemeinen Themen der Gentechnik festzustellen. Gleichzeitig wird von den Befragten ihr Wissen darüber als eher niedrig eingestuft. Erwartungsgemäß äußern die durch politische oder berufliche „Betroffenheit" gekennzeichneten Diskursakteure zu über 95 Prozent ein hohes Interesse an der Gentechnik und verfügen nach eigener Einschätzung zu ca. 25 Prozent über ein „sehr gutes Wissen" und zu ca. 60 Prozent über ein „eher gutes Wissen" zur Gentechnik.

Doch die Kluft zwischen hohem Interesse an Themen der Gentechnik und eher als niedrig empfundenem Wissen über die Inhalte der Gentechnik führt in der Bevölkerung nicht automatisch zu ambivalenten oder verschiedenen Meinungen gegenüber der Gentechnik. Zwischen 40 Prozent und 50 Prozent der Personen, die nach eigenem Bekunden über kein fundiertes Wissen zur Gentechnik verfügen, besitzen dennoch eine abschließende Bewertung gegenüber der Gentechnik. Allerdings zeigt sich ein Trend, nach dem fehlendes Wissen im Laufe der letzten öffentlichen Diskussion um die Gentechnik zunehmend zu einer eher ambivalenten oder abwartenden Meinung führt. Selbst informierte und interessierte Bürger wurden in ihrer Meinung zunehmend unsicherer und sorgten dafür, daß im Beobachtungszeitraum der Anteil von Personen mit unentschiedenen Meinungen über die Gentechnik auf über 50 Prozent anstieg.

Auch der hohe Anteil von Personen, die im Verlauf der Studie ihre Meinung zur Gentechnik geändert haben, zeigt, daß die Einstellungen zu dieser Technik keineswegs gefestigt sind. Selbst innerhalb der Gruppe der Diskursakteure beträgt der Anteil von Meinungswechslern noch etwa 30 Prozent und liegt damit nur etwa 10 Prozent unterhalb des Anteils in der Zufallsauswahl, wo 40 bis 45 Prozent keine stabile Meinung zur Gentechnik haben.

 

Gentechnik in der Anwendung
Die Stuttgarter Sozialforscher ermittelten auch die Bewertungen der Gentechnik in verschiedenen Anwendungsbereichen wie der Tier-, Pflanzen-, Mikroben- und Humangenetik. In der Bevölkerungsstichprobe zeigte sich hierbei, daß lediglich die Nutzpflanzengenetik einen hohen, stabilen Bekanntheitsgrad von ca. 85 Prozent genießt. Etwa 50 Prozent der Befragten haben von Anwendungen beim Menschen oder an Nutztieren gehört oder gelesen. Mit unter 40 Prozent Nennungen sind gentechnische Anwendungen bei Mikroben/Bakterien am wenigsten bekannt. Zugleich erreicht dieser Anwendungsbereich jedoch die höchste Akzeptanz, gefolgt von Anwendungen beim Menschen und bei Nutzpflanzen. Die Akzeptanzquoten bewegen sich hierbei minimal bei 23 bis maximal 49 Prozent. Es bestehen in der Bevölkerung also große Vorbehalte gegen die Gentechnik und in einigen Bereichen ist die Ablehnung der Technik deutlich stärker als deren Akzeptanz. Dies gilt insbesondere für die Anwendung der Gentechnik bei der Zucht von Nutztieren, die nur von 19 Prozent befürwortet wird.

 

Neue Forschungsfelder
Alle Ergebnisse des Stuttgarter Projekts weisen darauf hin, daß das Meinungsbild der Bevölkerung zur Gentechnik weitaus differenzierter ist und sich dynamischer entwickelt als oftmals angenommen wurde. In weiteren Analysen wollen die Sozialforscher nun die komplexe Struktur von Einstellungsmustern gegenüber Bio- und Gentechnologien aufdecken und gleichzeitig herausfinden, in welchem Ausmaß soziale und kulturelle Faktoren zur Herausbildung und Stabilisierung dieser Muster beitragen.     /ck

 

KONTAKT
Prof. Dr. Dieter Urban, Dr. Uwe Pfenning, Institut für Sozialforschung, Abt. für Soziologie, Tel.: 0711-121-3578,-3579; Fax: 0711-121-2768
e-mail: durban@po.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart 1998