Unter der Koordination der Akademie für Technikfolgenabschätzung in
Baden-Württemberg wurde vor zwei Jahren ein sozialwissenschaftlicher Projektverbund ins
Leben gerufen, in dem Probleme der Wahrnehmung und Bewertung von Gentechnik in der
Bevölkerung aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven analysiert werden sollten.
Projektteams aus dem gesamten Bundesgebiet waren an diesen Arbeiten beteiligt.
Innerhalb dieses Forschungsverbunds untersuchte ein Team unter Leitung von Prof. Dr.
Dieter Urban (Lehrstuhl für Soziologie I der Universität Stuttgart) Einstellungen zur
Gentechnik. Dazu erfaßten die Stuttgarter Sozialforscher in einer Datenbank die Adressen
von insgesamt über 800 sogenannten Diskursakteuren" aus den Bereichen
Wissenschaft, Wirtschaft, Kirchen, Politik, Bürgerinitiativen, Umweltschutz- und
Verbraucherschutzorganisationen. Mittels dieser Daten konnten erstmals auch solche
Personen gezielt befragt werden, die sich aufgrund ihrer politischen oder beruflichen
Aktivitäten mit Themen der Gentechnik beschäftigen. Die Meinungen dieser Personen wurden
mit den Einstellungen einer Zufallsauswahl von Personen aus der Bevölkerung verglichen.
Aus methodischen und inhaltlichen Gründen wurde die Befragung als Panelstudie
insgesamt dreimal durchgeführt: im April/Mai 1996, im Oktober/November 1996 und von
Februar bis Mai 1997. Von den ca. 1100 Personen, die an der ersten Umfrage teilnahmen,
beteiligten sich noch ca. 580 an der dritten. Auf den Angaben dieser Personengruppe
basieren die folgenden dargestellten Ergebnisse.
Hohes Interesse - wenig Wissen
In der Bevölkerung ist ein hohes Interesse an allgemeinen Themen der Gentechnik
festzustellen. Gleichzeitig wird von den Befragten ihr Wissen darüber als eher niedrig
eingestuft. Erwartungsgemäß äußern die durch politische oder berufliche
Betroffenheit" gekennzeichneten Diskursakteure zu über 95 Prozent ein hohes
Interesse an der Gentechnik und verfügen nach eigener Einschätzung zu ca. 25 Prozent
über ein sehr gutes Wissen" und zu ca. 60 Prozent über ein eher gutes
Wissen" zur Gentechnik.
Doch die Kluft zwischen hohem Interesse an Themen der Gentechnik und eher als niedrig
empfundenem Wissen über die Inhalte der Gentechnik führt in der Bevölkerung nicht
automatisch zu ambivalenten oder verschiedenen Meinungen gegenüber der Gentechnik.
Zwischen 40 Prozent und 50 Prozent der Personen, die nach eigenem Bekunden über kein
fundiertes Wissen zur Gentechnik verfügen, besitzen dennoch eine abschließende Bewertung
gegenüber der Gentechnik. Allerdings zeigt sich ein Trend, nach dem fehlendes Wissen im
Laufe der letzten öffentlichen Diskussion um die Gentechnik zunehmend zu einer eher
ambivalenten oder abwartenden Meinung führt. Selbst informierte und interessierte Bürger
wurden in ihrer Meinung zunehmend unsicherer und sorgten dafür, daß im
Beobachtungszeitraum der Anteil von Personen mit unentschiedenen Meinungen über die
Gentechnik auf über 50 Prozent anstieg.
Auch der hohe Anteil von Personen, die im Verlauf der Studie ihre Meinung zur
Gentechnik geändert haben, zeigt, daß die Einstellungen zu dieser Technik keineswegs
gefestigt sind. Selbst innerhalb der Gruppe der Diskursakteure beträgt der Anteil von
Meinungswechslern noch etwa 30 Prozent und liegt damit nur etwa 10 Prozent unterhalb des
Anteils in der Zufallsauswahl, wo 40 bis 45 Prozent keine stabile Meinung zur Gentechnik
haben.
Gentechnik in der Anwendung
Die Stuttgarter Sozialforscher ermittelten auch die Bewertungen der Gentechnik in
verschiedenen Anwendungsbereichen wie der Tier-, Pflanzen-, Mikroben- und Humangenetik. In
der Bevölkerungsstichprobe zeigte sich hierbei, daß lediglich die Nutzpflanzengenetik
einen hohen, stabilen Bekanntheitsgrad von ca. 85 Prozent genießt. Etwa 50 Prozent der
Befragten haben von Anwendungen beim Menschen oder an Nutztieren gehört oder gelesen. Mit
unter 40 Prozent Nennungen sind gentechnische Anwendungen bei Mikroben/Bakterien am
wenigsten bekannt. Zugleich erreicht dieser Anwendungsbereich jedoch die höchste
Akzeptanz, gefolgt von Anwendungen beim Menschen und bei Nutzpflanzen. Die Akzeptanzquoten
bewegen sich hierbei minimal bei 23 bis maximal 49 Prozent. Es bestehen in der
Bevölkerung also große Vorbehalte gegen die Gentechnik und in einigen Bereichen ist die
Ablehnung der Technik deutlich stärker als deren Akzeptanz. Dies gilt insbesondere für
die Anwendung der Gentechnik bei der Zucht von Nutztieren, die nur von 19 Prozent
befürwortet wird.
Neue Forschungsfelder
Alle Ergebnisse des Stuttgarter Projekts weisen darauf hin, daß das Meinungsbild der
Bevölkerung zur Gentechnik weitaus differenzierter ist und sich dynamischer entwickelt
als oftmals angenommen wurde. In weiteren Analysen wollen die Sozialforscher nun die
komplexe Struktur von Einstellungsmustern gegenüber Bio- und Gentechnologien aufdecken
und gleichzeitig herausfinden, in welchem Ausmaß soziale und kulturelle Faktoren zur
Herausbildung und Stabilisierung dieser Muster beitragen. /ck
KONTAKT
Prof. Dr. Dieter Urban, Dr. Uwe Pfenning, Institut für Sozialforschung, Abt. für
Soziologie, Tel.: 0711-121-3578,-3579; Fax: 0711-121-2768
e-mail: durban@po.uni-stuttgart.de