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Stuttgarter unikurier Nr. 77/78 Februar 1998
Eine neue Abteilung stellt sich vor:
Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie
 

Obwohl seit der Antike das Nachdenken über Begründung und Leistungen von Wissenschaft und Technik zu den Kerngebieten des Philosophierens zählt, läßt sich eine gewisse Distanz der Fachwissenschaften (einschließlich der Ingenieurwissenschaften) zum Anliegen einer spezifisch philosophi-schen Problembehandlung kaum leugnen. Das hat einerseits seinen guten Grund: Die Emanzipation der Fachwissenschaften von der philosophischen Spekulation und ihr Auszug aus der Philosophie waren wichtige Bedingungen ihres Erfolges. Der Ertrag der Fachwissenschaften verdankt sich u.a. einer „systematischen Ausblendung von Grundsatzfragen" (Carl Friedrich von Weizsäcker). Andererseits gründet jene Distanz in gewissen Vorurteilen und Zerrbildern bezüglich der Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie: Wissenschaftstheorie als Inquisition, die über Methoden befindet oder Technikphilosophie als selbsternannte Anwältin gesamtgesellschaftlicher Ansprüche im Blick auf „Naturverträglichkeit" oder „Sozialverträglichkeit" technischer Innovationen.

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Angesichts dieser Problemlage ist zunächst darauf zu verweisen, daß die Philosophie „bescheidener" geworden ist. Allerdings kann sie im Zuge ihrer Selbstbesinnung und Selbstbescheidung Kompetenzen aufweisen und Leistungen erbringen, die für die wissenschaftlich-technische Moderne unverzichtbar geworden sind. Die Wissenschaften sind in einem hohen Maße technisiert, d.h. in ihrem Erkenntnisfortschritt von technischen Innovationen abhängig, und die Techniken sind verwissenschaftlicht (weshalb man auch von Technologien spricht), d.h. sie stützen sich bei der Begründung ihrer methodischen Strategien sowie bei der Beurteilung ihres Erfolges auf wissenschaftliche Modelle. Diese Verschränkung von wissenschaftlicher und technischer Rationalität hat mancherlei Kritik hervorgerufen. Sie basiert auf der Furcht, daß die steigende Langfristigkeit der Wissenschafts- und Technikfolgen sowie die zunehmende Eingriffstiefe in natürliche und soziale Zusammenhänge die Fehlerfreundlichkeit und Korrigierbarkeit unseres Handelns zerstören. Komplexität und Globalität gesellschaftlicher Nutzungszusammenhänge, Interessen am Bestandserhalt unserer Umwelt sowie individuell-lebensweltliche Perspektiven würden in viel zu geringem Maße berücksichtigt.

Der Philosophie fällt nun nicht zwangsläufig die Aufgabe zu, sich zum Wortführer dieser Kritik zu erheben. Aber sie vermag auf der Basis ihrer eigenen wissenschaftlich-methodischen Kompetenz einen Beitrag zur Gestaltung jener Diskussionen zu leisten, indem sie Leistungen, Chancen und Potentiale, Risiken und Verluste unseres wissenschaftlich-technischen Handelns deutlicher konturiert.

Ihr Beitrag - und daran orientieren sich Lehrangebote und Forschungsprojekte der neuen Abteilung - liegt in der

- Modellierung/Analyse wissenschaftlich-technischen Handelns,

- Reflexion der Reichweite und Grenzen von Grundbegriffen, Methoden und Leitbildern,

- Moderation der Diskussionen und Abwägungsprozesse angesichts konfligierender Interessenlagen.

Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie entwickeln Begriffsangebote zur präziseren Erfassung der Problemlagen, legen Bedingungen, Leistungen und Grenzen wissenschaftlich-technischer Welterschließung offen und tragen damit produktiv und konstruktiv zur „Suchraumerweiterung" bei. Ausdifferenzierte Kontexte und komplexe Verantwor-tungsteilungen bedenkend, unterbreiten sie Gestaltungsvorschläge für die notwendigen Kommunikationsprozesse und geben Empfehlungen im Blick auf notwendige Rechtfertigungen anstehender Entscheidungen (Ethik der Technik). Ein modernes Denken, das sich zunehmend der Medien bedient und in Simulationen und Szenarien die Zukunft erschließt, und ein Handeln, das in zunehmendem Maße nur noch indirekt mit seinen Folgen konfrontiert wird, bedarf jener funktionalen Ergänzung, wie sie Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie anbieten.

Entsprechend sind Lehrangebote, wie sie die Abteilung für das Studium Generale (mittelfristig zur besseren Erreichbarkeit der Adressaten auch im Netz) oder im Rahmen der Wahl- und Zusatzfachangebote entwickelt, nicht als bloße Service-Leistungen zu verstehen. Wie der VDI (Empfehlung zur Integration fachübergreifender Studieninhalte in das Ingenieurstudium 1990) und die Deutsche Kommission für Ingenieursausbildung (Entschließung der DKI 1991) nachdrücklich gefordert haben, muß angesichts der Dynamisierung der Wissensbestände und der „Anforderungen an Wissenschaftler/innen und Ingenieure/innen bei der Mitgestaltung der Technikentwicklung vor dem Hintergrund ökonomischer, ökologischer und gesellschaftspolitischer Anforderungen" in verstärktem Maße die Vermittlung von

- Methodenkompetenz,

- Sozialkompetenz,

- Wertekompetenz

integraler berufsqualifizierender Ausbildungsgegenstand werden. Dabei geht es nicht um die Vermittlung von Vorgaben; Kompetenz meint ja die Fähigkeit, sich souverän in einem Problemfeld zu bewegen.

Die Forschungsprojekte der Abteilung sind ausschließlich interdisziplinär konzipiert; ein Schwerpunkt der Bemühungen liegt in der Vorbereitung eines SFB „Konstruktion und Kreativität", dessen Planung von der Fakultät 11 angeregt wurde und der als Verbundprojekt von Geistes-, Informations- und Ingenieurwissenschaften die Diskussion um Fragen der Heuristik voranbringen soll.

 

KONTAKT
Prof. Dr. Christoph Hubig, Abt. Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie, Seidenstr. 36, 70174 Stuttgart,Tel. 0711 -121 24 91 - Fax: -24 92

e-mail: christoph.hubig@po.uni-stuttgart.de
WWW: http://www.uni-stuttgart.de/wt

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart 1998