Das Gehirn - nur ein Klumpen von Gewebe oder der Sitz und
die Idee geistiger Tätigkeit?", diese Frage bildete den Auftakt zu einem kurzen
Streifzug des Nobelpreisträgers durch die Geschichte der jahrtausendelangen
Beschäftigung von Dichtern und Denkern mit der Materie. Im Zentrum des wissenschaftlichen
Interesses stehen heute besonders die höheren Hirnfunktionen", wie Bewegung,
Denken, Bewußtsein und Seele.
Seit 20 Jahren hat sich die Situation in der Hirnforschung dramatisch
gewandelt", berichtete Hirnforscher Sakmann. Der Einsatz abbildender Verfahren wie
Kernspinresonanz- oder Positronenemissionstomographie führte dazu, von der Vorstellung
einer präzisen Lokalisierbarkeit bestimmter Hirnfunktionen Abschied zunehmen: Die neuen
Techniken verwiesen vielmehr auf eine verteilte Repäsentation einzelner Hirnfunktionen in
verschiedenen Hirnregionen - und schlugen damit ein neues Kapitel in der Hirnforschung
auf. Es gibt keinen eigenen Platz für jede Sinnesqualität, sondern eine höchst
komplexe, überlappende Landkarte", beschreibt Sakmann die Ausgangs-situation
moderner Hirnforschung.
Unser Gehirn sei zudem in einem Zustand permanenten Wandels, seine Landkarte verändere
sich ständig, denn jeder Lernprozeß bewirke einen charakteristischen Umbau von Teilen
der grauen Hirnsubstanz. Der Frage, was diesen plastischen Veränderungen zugrunde liegt,
sind die Wissenschaftler um Sakmann auf der Spur. Es gilt heute als sicher, daß die
Struktur des Gehirns relativ fest ist", so Sakmann. Der Umbau der Landkarte könne
daher nur über die Verbindungen zwischen den beteiligten Nervenzellen erfolgen; besonders
die Verbindungsstellen zwischen zwei Nervenzellen, die sogenannten Synapsen, werden heute
untersucht. An diesen Anknüpfpunkten werden elektrische Signale von einer Zelle zur
anderen mit Hilfe chemischer Botenstoffen übertragen. Laut Sakmann induziere die
zeitliche Abfolge der die Synapse überlaufenden Signale und die damit verbundene Reizung
von Nervenzellen letztendlich die Verstärkung der Kopplung benachbarter Zellen - und
beeinflußt so die Ausbreitung und Gestaltung der corticalen Landkarte".
Handelt es sich bei diesem Forschungs-Schritt noch um physiologische Betrachtungen, so
schließt sich der Sprung auf die moleklare Ebene an. Mit Hilfe der
Nobelpreis-gewürdigten Patch-clamp"-Methode kamen die Wissenschaftler der
Aktivität einzelner Ionenkanäle in der synaptischen Membran auf die Spur. Das so
erworbene Wissen über die Funktion der Kanalproteine wurde in einem weiteren Schritt für
Experimente auf der Gen-Ebene eingesetzt. Mit gentechnischen Methoden erstellte die
Arbeitsgruppe um Sakmann ein detailliertes Bild der Ionenkanäle. Als Steuerungselement
für die Signalkaskade, welche der Kopplung zweier Neuronen vorausgeht, wurde der Einstrom
von Calcium-Ionen in das Zellinnere identifiziert. Der Transport dieser Ionen erfolgt im
Protein unter Beteiligung bestimmter Aminosäuren, denn Ketten von Aminosäuren sind die
Bausteine, aus denen Proteine und somit auch das untersuchte Ionenkanalprotein bestehen.
Auf der Basis dieses Wissens wurden mit Hilfe gentechnischer Methoden zwei
Klassen" von Ionen-Kanälen hergestellt, die eine unterschiedliche
Leitfähigkeit für Calcium auf-weisen. Das veränderte Gen und das so modifizierte
Protein übertrugen die Wissenschaftler in Nagetiere. Über diese elegante
Molekularbiologische Schleife" im beschriebenen Erkenntnisprozeß sind Sakmann
und seine Mitarbeiter heute in der Lage, den Einfluß von Veränderungen und Mechanismen
in der molekularen Ebene auf die corticale Landkarte im Tier zu beobachten. Höhere
geistige Tätigkeiten wie Lernen und Erinnern sind definitiv mit strukturellen
Veränderungen im Cortex verbunden", so Sakmann. Eine Veränderung der Landkarte im
Gehirn sei wiederum eindeutig mit der Änderung der Kopplung von Nervenzellen verknüpft.
Einfacher faßte Sakmann sein Fazit mit den Worten des Forschungsmagazins New Scientist
zusammen, an active life makes a better brain".