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Stuttgarter unikurier Nr. 77/78 Februar 1998
Einschnitte sind unumgänglich:
Strukturen in den Zeiten des „Solidarpaktes"
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Lebhafte Diskussionen haben die letzten Monate beherrscht, denn es galt, nach dem Solidarpakt über die nächsten zehn Jahre zehn Prozent der Stellen der Universität Stuttgart, rund 270 Stellen, zu opfern. Ein Drittel der damit eingesparten Mittel fließen direkt an den Finanzminister, ein Drittel soll zur Neustrukturierung von Fachhochschulen und Berufsakademien verwendet werden, und ein Drittel erhält die Universität als Finanzspritze zurück. Zwischen Ministerpräsident, Finanz- und Wissenschaftsminister sowie den Rektoren der baden-württembergischen Universitäten wurde darüber hinaus vertraglich vereinbart, daß die Hochschulen im Gegenzug Planungssicherheit für diese zehn Jahre erhalten, so daß die Haushaltsansätze von 1997 weiter gelten. Allerdings ist ein Gesprächsvorbehalt zur erneuten Beratung in fünf Jahren vorgesehen.

 

Wie kann eine solche Aufgabe ohne allzu großen Schaden für die Universität bewältigt werden? Zunächst einmal gibt es wie in jedem größeren Unternehmen auch in der Universität Schwachstellen, die jedem bekannt sind, deren Bestand aber traditionell begründet ist, selbst wenn vieles sich längst überholt hat. Es wäre sicher das Einfachste, diese Stellen ausfindig zu machen und zu opfern. Die Diskussionen der letzten Monate haben sich logischerweise darum gedreht, das Verzichtbare zur Disposition zu stellen. Daraus kann sogar ein Vorteil entstehen, denn die Universität verstärkt ihre Strukturüberlegungen. Allerdings haben die Debatten auch gezeigt, daß nicht zehn Prozent aller Stellen Schwachstellen sind. Wichtige Einschnitte in Forschung und Lehre sowie im Technologietransfer sind unumgänglich. Schließlich hat gerade die Universität Stuttgart nicht erst jetzt mit der Strukturreform begonnen, sondern schon über Jahre einen langen Weg hinter sich. Viele Fakultäten sind äußerst schlank und bewältigen ihre Aufgaben mit einem Personal, das unter den Empfehlungen des Wissenschaftsrates für eine Minimalausstattung liegt. Auch vor Fächern mit Numerus clausus kann nicht haltgemacht werden. Eine Verschärfung des NC ist damit vorgegeben. Dieselbe Leistung ist nicht zum reduzierten Preis zu haben.

Schadensbegrenzung wird damit zu einer wichtigen Prämisse der Strukturreform. Es gilt Entscheidungen zu treffen, welche Teilbereiche der Universität gestärkt werden sollen. Das gegenwärtige Rektorat handelt in diesem Entscheidungsprozeß nach bestimmten Grundsätzen, die hier nur skizziert werden können:

 

Kompetenz der Fakultäten
Vielen Strukturentscheidungen liegen fachliche Beurteilungskriterien zugrunde. Diese können nur von den Fakultäten erarbeitet werden. Wenn auch der Dialog zwischen Rektorat, Verwaltungsrat, Senat und Fakultäten in den letzten Monaten sehr viel länger als in anderen Universitäten gedauert hat, ist doch deutlich geworden, daß wir mit dem Ziel, die Fakultäten zu stärken, in einen äußerst fruchtbaren Prozeß eingestiegen sind.

 

Transparenz der Kriterien
In den Fakultäten, aber auch zwischen den Fakultäten kann eine sachliche Auseinandersetzung nur erreicht werden, wenn jedes Mitglied der Universität weiß und überprüfen kann, nach welchen Kriterien gehandelt wird. Jeder Vertrauensverlust durch Argwohn, eine andere Fakultät, ein anderes Institut würde bevorteilt, muß verhindert werden. Deshalb haben alle Dekane die Stellenpläne sowie die Berechnung der Lehrbelastungen zur Verfügung gestellt bekommen und konnten sie überprüfen. Ein weiteres Ziel ist die Darstellung aller strukturrelevanten Daten für die Universitätsöffentlichkeit, soweit nicht datenschutzrechtliche Gründe dagegen sprechen.

 

Einfache Regeln
Die Prinzipien, nach denen die Universität verändert werden soll, müßten relativ schnell einsichtig sein. Je komplizierter Verteilungsmodelle werden, desto eher wächst Argwohn in das Verfahren. Wir haben uns deswegen bemüht, Berechnungsverfahren nur soweit auszuarbeiten, wie sie mit einem einigermaßen gesunden Menschenverstand noch beurteilt werden können.

 

Schrittweise quantitative und qualitative Näherung
Strukturreform ist ein Näherungsprozeß. Die quantitativen Strukturdaten (zum Beispiel Studierendenzahl, Drittmittelaufkommen, Absolventenzahlen) können nur Indizien für eine Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Teilbereiches sein. Sie geben Anlaß zu genaueren Hinterfragungen, ersetzen aber nicht die qualitative Würdigung von Forschungs- und Lehrleistung. Insbesondere die vielfältigen Eigenheiten der Fachkulturen verbieten eine schlichte Wertbemessung nach Mittelwerten. Die Strukturdaten müssen den Beginn des Diskurses, nicht dessen Ende präzisieren.

 

Ausgewogene Personalstruktur
Die Strukturreform muß gleichmäßig alle funktionalen Gruppen (Professoren, Wissenschaftlicher Mittelbau, Technisches und Verwaltungspersonal) betreffen. Der Nachwuchsförderung muß ein hoher Stellenwert eingeräumt werden. Allerdings sollte auch im Einzelfall berücksichtigt werden, wieviele Drittmittelstellen fortfallen, wenn eine Professur gestrichen wird.

Die vergangenen Monate haben die Gewißheit bestärkt, daß die Universität Stuttgart auf gutem Wege ist, durch einen intensiven Dialog nicht nur die Probleme des "Solidarpaktes" zu meistern, sondern auch ein neues Verhältnis zu den notwendigen Diskussionen zu entwickeln. Es war beeindruckend, mit welcher Sorgfalt und gegenseitigem Verständnis die Debatte in der Feriensitzung des Senates verlaufen ist. Gehen wir weiter auf diesem Weg, werden wir nicht nur Schäden begrenzen, sondern neue Chancen zur Stärkung der Universität über die Fachgrenzen hinweg bekommen. Die Universität hat damit gezeigt, daß sie gut vorbereitet ist auf Autonomie und Globalhaushalt.

Prof. Dr. Holger Jeske,
Prorektor Struktur


last change: 09.06.98 / eng
Pressestelle der Universität Stuttgart 1998