Lebhafte Diskussionen haben die letzten Monate beherrscht, denn es galt,
nach dem Solidarpakt über die nächsten zehn Jahre zehn Prozent der Stellen der
Universität Stuttgart, rund 270 Stellen, zu opfern. Ein Drittel der damit eingesparten
Mittel fließen direkt an den Finanzminister, ein Drittel soll zur Neustrukturierung von
Fachhochschulen und Berufsakademien verwendet werden, und ein Drittel erhält die
Universität als Finanzspritze zurück. Zwischen Ministerpräsident, Finanz- und
Wissenschaftsminister sowie den Rektoren der baden-württembergischen Universitäten wurde
darüber hinaus vertraglich vereinbart, daß die Hochschulen im Gegenzug
Planungssicherheit für diese zehn Jahre erhalten, so daß die Haushaltsansätze von 1997
weiter gelten. Allerdings ist ein Gesprächsvorbehalt zur erneuten Beratung in fünf
Jahren vorgesehen.
Wie kann eine solche Aufgabe ohne allzu großen Schaden für die Universität
bewältigt werden? Zunächst einmal gibt es wie in jedem größeren Unternehmen auch in
der Universität Schwachstellen, die jedem bekannt sind, deren Bestand aber traditionell
begründet ist, selbst wenn vieles sich längst überholt hat. Es wäre sicher das
Einfachste, diese Stellen ausfindig zu machen und zu opfern. Die Diskussionen der letzten
Monate haben sich logischerweise darum gedreht, das Verzichtbare zur Disposition zu
stellen. Daraus kann sogar ein Vorteil entstehen, denn die Universität verstärkt ihre
Strukturüberlegungen. Allerdings haben die Debatten auch gezeigt, daß nicht zehn Prozent
aller Stellen Schwachstellen sind. Wichtige Einschnitte in Forschung und Lehre sowie im
Technologietransfer sind unumgänglich. Schließlich hat gerade die Universität Stuttgart
nicht erst jetzt mit der Strukturreform begonnen, sondern schon über Jahre einen langen
Weg hinter sich. Viele Fakultäten sind äußerst schlank und bewältigen ihre Aufgaben
mit einem Personal, das unter den Empfehlungen des Wissenschaftsrates für eine
Minimalausstattung liegt. Auch vor Fächern mit Numerus clausus kann nicht haltgemacht
werden. Eine Verschärfung des NC ist damit vorgegeben. Dieselbe Leistung ist nicht zum
reduzierten Preis zu haben.
Schadensbegrenzung wird damit zu einer wichtigen Prämisse der Strukturreform. Es
gilt Entscheidungen zu treffen, welche Teilbereiche der Universität gestärkt werden
sollen. Das gegenwärtige Rektorat handelt in diesem Entscheidungsprozeß nach bestimmten
Grundsätzen, die hier nur skizziert werden können:
Kompetenz der Fakultäten
Vielen Strukturentscheidungen liegen fachliche Beurteilungskriterien zugrunde. Diese
können nur von den Fakultäten erarbeitet werden. Wenn auch der Dialog zwischen Rektorat,
Verwaltungsrat, Senat und Fakultäten in den letzten Monaten sehr viel länger als in
anderen Universitäten gedauert hat, ist doch deutlich geworden, daß wir mit dem Ziel,
die Fakultäten zu stärken, in einen äußerst fruchtbaren Prozeß eingestiegen sind.
Transparenz der Kriterien
In den Fakultäten, aber auch zwischen den Fakultäten kann eine sachliche
Auseinandersetzung nur erreicht werden, wenn jedes Mitglied der Universität weiß und
überprüfen kann, nach welchen Kriterien gehandelt wird. Jeder Vertrauensverlust durch
Argwohn, eine andere Fakultät, ein anderes Institut würde bevorteilt, muß verhindert
werden. Deshalb haben alle Dekane die Stellenpläne sowie die Berechnung der
Lehrbelastungen zur Verfügung gestellt bekommen und konnten sie überprüfen. Ein
weiteres Ziel ist die Darstellung aller strukturrelevanten Daten für die
Universitätsöffentlichkeit, soweit nicht datenschutzrechtliche Gründe dagegen sprechen.
Einfache Regeln
Die Prinzipien, nach denen die Universität verändert werden soll, müßten relativ
schnell einsichtig sein. Je komplizierter Verteilungsmodelle werden, desto eher wächst
Argwohn in das Verfahren. Wir haben uns deswegen bemüht, Berechnungsverfahren nur soweit
auszuarbeiten, wie sie mit einem einigermaßen gesunden Menschenverstand noch beurteilt
werden können.
Schrittweise quantitative und qualitative Näherung
Strukturreform ist ein Näherungsprozeß. Die quantitativen Strukturdaten (zum Beispiel
Studierendenzahl, Drittmittelaufkommen, Absolventenzahlen) können nur Indizien für eine
Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Teilbereiches sein. Sie geben Anlaß zu
genaueren Hinterfragungen, ersetzen aber nicht die qualitative Würdigung von Forschungs-
und Lehrleistung. Insbesondere die vielfältigen Eigenheiten der Fachkulturen verbieten
eine schlichte Wertbemessung nach Mittelwerten. Die Strukturdaten müssen den Beginn des
Diskurses, nicht dessen Ende präzisieren.
Ausgewogene Personalstruktur
Die Strukturreform muß gleichmäßig alle funktionalen Gruppen (Professoren,
Wissenschaftlicher Mittelbau, Technisches und Verwaltungspersonal) betreffen. Der
Nachwuchsförderung muß ein hoher Stellenwert eingeräumt werden. Allerdings sollte auch
im Einzelfall berücksichtigt werden, wieviele Drittmittelstellen fortfallen, wenn eine
Professur gestrichen wird.
Die vergangenen Monate haben die Gewißheit bestärkt, daß die Universität
Stuttgart auf gutem Wege ist, durch einen intensiven Dialog nicht nur die Probleme des
"Solidarpaktes" zu meistern, sondern auch ein neues Verhältnis zu den
notwendigen Diskussionen zu entwickeln. Es war beeindruckend, mit welcher Sorgfalt und
gegenseitigem Verständnis die Debatte in der Feriensitzung des Senates verlaufen ist.
Gehen wir weiter auf diesem Weg, werden wir nicht nur Schäden begrenzen, sondern neue
Chancen zur Stärkung der Universität über die Fachgrenzen hinweg bekommen. Die
Universität hat damit gezeigt, daß sie gut vorbereitet ist auf Autonomie und
Globalhaushalt.
Prof. Dr. Holger Jeske,
Prorektor Struktur