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Stuttgarter unikurier Nr. 77/78 Februar 1998
Forschungskolloquium:
Wahrnehmungsmuster in Deutschland und Frankreich
 

Zum Thema „Deutsch-französische Wahrnehmungsmuster und das Konzept nationaler Identität im 18. und 19. Jahrhundert“ fand vom 23. bis 25. Oktober im Internationalen Begegnungszentrum der Universität ein interdisziplinäres Forschungskolloquium statt. Von Prof. Dr. Horst Thomé (Neuere Deutsche Literatur II) im Rahmen des Forschungsprojekts „Ursprung und Funktion nationaler Wahrnehmungsmuster in der deutschen und französischen Literatur“ (siehe dazu auch Uni-Kurier Nr. 69/November 1995, S. 8) geleitet, wurde es von der Volkswagen-Stiftung gefördert.

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Den Eröffnungsvortrag hielt der Straßburger Germanist Prof. Fink. Abweichend von der gängigen These eines seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor allem bei Schriftstellern nachweisbaren deutschen Nationalbewußtseins betonte Fink das Bewußtwerden regionaler Identität und zeigte - am Beispiel von Schwaben und Sachsen etwa -, wie im Kontext politischer, kultureller und konfessioneller Auseinandersetzungen innerhalb des deutschen Reichs genau dieselben Auto- und Heterostereotype eingesetzt wurden, die traditionell aus den deutsch-französischen Beziehungen bekannt sind. Daß das Reich mit seiner komplizierten Verfassung schon in der „Encyclopédie“, dem Standardwerk der französischen Aufklärung, als ein vernünftiges und nützliches Staatsgebilde vorgestellt wurde, belegte der Marburger Historiker Prof. Malettke. Sein Stuttgarter Kollege Prof. Kuhn stellte mentalitätsgeschichtlich aufschlußreiche Ergebnisse seines Forschungsprojekts zu Politisierung und Nationalisierung deutscher Studenten unter dem Einfluß der Französischen Revolution vor. Anhand deutscher Reiseberichte aus dem revolutionären Paris erläuterte M. Holl (Stuttgart) den Zusammenhang von politisch motivierten Textstrategien und nationalen Wahrnehmungsmustern; über die Politisierung der „Leitunterscheidung“ von französischer Höflichkeit und deutscher Tiefe in der Paris-Berichterstattung des Vormärz sprach Dr. Grubitz (Jena). Dr. Stauf (Berlin) wies nach, daß selbst die anerkannten Mittler zwischen beiden Kulturen, Heine und Börne, mit stereotypen Nationaleigenschaften wie „deutschem Geist“ und „französischer Tatkraft“ argumentierten und so einem „deutschen Sendungsbewußtsein“ das Wort redeten. Welche Funktion Nationalcharakteristiken in den Karikaturen der im klassischen Weimar erscheinenden Zeitschrift „London und Paris“ hatten, untersuchte Prof. Kaiser (Jena).

Während der Stuttgarter Romanist Prof. Blumenthal in seinem Vortrag „'Allemagne' aus korpuslinguistischer Sicht“ Möglichkeiten und Grenzen computergestützter Datenerhebung aufzeigte, deutete Prof. Wiedemann (Berlin) das Motiv „Fremdheit“ epochen- und grenzüberschreitend: Seit der französischen Aufklärung gehört „Fremdsein im eigenen Land“ zur Selbstbeschreibung der Intellektuellen. Um die Vermittlung des Fremden mit dem Eigenen ging es Dr. Laudin (Rouen) und R. Kopp (Stuttgart) in ihren Analysen zur Präsentation deutscher Literatur und zum strategischen Gebrauch nationaler Stereotype in französischsprachigen Zeitschriften. Ausgehend von dem Jean Paul-Zitat „Franzosen sind wie Weiber geborene Weltleute“ interpretierte Dr. Florack (Stuttgart) diskursive Verschränkungen von Nationen- und Geschlechterklischees. Prof. Jørgensen (Kopenhagen) bereicherte das Tagungsthema um eine europäische Außenperspektive: am Beispiel der Komödie erläuterte er die sozialkritische Funktion des „typisch Deutschen“ in der dänischen Literatur des 18. Jahrhunderts.

R. Florack

 

KONTAKT
Prof. Dr. Horst Thomé, Dr. Ruth Florack, Institut für Literaturwissenschaft/ Neuere Deutsche Literatur II, Keplerstraße 17, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-2801, -3196, Fax 0711/121-2804


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