In so mancher Fabrik, die beispielsweise Antibiotika
oder Aminosäuren herstellt, läuft ohne Mikroorganismen gar nichts mehr. Die kleinen
Zellen produzieren oft billiger, besser und schneller als jedes Verfahren, das sich
Chemiker oder Ingenieure ausdenken könnten. Aber das heißt noch lange nicht, daß die
Winzlinge optimal arbeiten. Bei vielen Prozessen sind mehr Gesamtausbeute oder eine
höhere Leistung pro Zelle erwünscht.
Die Schlüssel zu den Verbesserungen halten Wissenschaftler
verschiedener Disziplinen in der Hand: Wie man Detailinformationen über den Stoffwechsel
der Zellen sammelt oder ihn verändert, lernen die Biologen in ihrer Ausbildung. Die
Ingenieure hingegen bringen die Erfahrungen mit, wie man die vielen Einzelinformationen zu
funktionellen Blöcken zusammenfassen und mit Computerprogrammen analysieren kann.
Zusammen bilden die Forscher ein kompetentes Managerteam für die Minifabrik in der Zelle.
Sowohl Spezialwissen als auch Überblick seien erforderlich, um die
biotechnischen Verfahren zu verbessern, sagt Reuss. Im komplexen Stoffwechsel-System gelte
es, beispielsweise die Stellen ausfindig zu machen, wo der Nachschub in der Zelle nicht
schnell genug bereitsteht. Dort lägen die Ansatzpunkte, an denen die Genetiker mit
großer Aussicht auf Erfolg etwas verbessern könnten.
Ohne Kommunikation läuft aber keine gemeinsame Forschung. Das
zeigte sich auch, als Biologen und Ingenieure in dem von der EU geförderten Projekt
"From gene to product in yeasts: a quantitative approach" begannen, die
Vorgänge in der "Zellfabrik" zu erforschen. Wegen der so unterschiedlichen
Ausbildung gab es oftmals Verständigungsschwierigkeiten. In dieser Situation entstand die
Idee, einen Kurs anzubieten. "Wir wollten eine Brücke bauen", erzählt Reuss.
Wie man das Wissen und die Methoden beider Fachgebiete verknüpft,
haben Mitarbeiter des Instituts für Bioverfahrenstechnik zusammen mit Wissenschaftlern
aus ganz Europa in einem einwöchigen Kurs gezeigt. Bei Vorlesungen und Übungen im Labor
und am Computer haben Biologen und Ingenieure einen Einblick in das jeweils andere
Spezialgebiet bekommen.
Nach den guten Erfahrungen mit dem ersten Kurs planen die
Veranstalter, in Zukunft das Angebot zu wiederholen. Als Kursort kommen verschiedene
Institute in Europa in Frage, und eine verstärkte Förderung durch die EU ist beantragt.
"Wir denken auch darüber nach, einen internationalen Studiengang zum "Metabolic
engineering" zu gründen", berichtet Reuss.
Der Kurs und das EU-Projekt sind aber nicht die einzigen
Aktivitäten, mit denen die neue Forschungsrichtung in Stuttgart vertreten ist. Auch im
"Zentralen Schwerpunktprojekt Bioverfahrenstechnik" verbessern Natur- und
Ingenieurwissenschaftler gemeinsam biotechnische Prozesse. Die Biologen, Chemiker und
Verfahrenstechniker aus 15 Instituten blicken auf eine mehr als zehnjährige Erfahrung in
diesem Bereich zurück. Zwei Jahre lang läuft das Projekt noch. Für die Zeit danach
werden verschiedene Ausrichtungen des Schwerpunkts diskutiert. Konkret plant Prof. Ernst
Dieter Gilles vom Institut für Systemdynamik und Regelungstechnik den Schwerpunkt
Biosystemtechnik. Dieser wird weitere Beiträge für die Entwicklung des "Metabolic
engineering" leisten.
Die Vorreiterrolle, die die Universitäten in dieser in Deutschland
noch jungen Forschungsrichtung einnehmen könnten, begrüßt Reuss. Er sagt: "Wenn
diese Disziplin in Stuttgart ausgeweitet werden kann, brauchen wir nicht mehr weltweit zu
suchen, um Partnerinstitute für unsere Arbeiten zu finden".
/op