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Stuttgarter unikurier Nr.79/Juni 1998
Abschiedsvortrag des DVA-Gastprofessors Frédéric Girot:
Zwischen Raum und Ort
 

Der nunmehr neunte französische Wissenschaftler, der mit Hilfe der Stiftung der Deutschen Verlagsanstalt an die Universität Stuttgart eingeladen werden konnte, lehrte im vergangenen Wintersemester am Städtebaulichen Institut. Der Landschaftsplaner und Architekt Frédéric Christophe Girot ist in Versailles an der École Nationale Supérieure du Paysage zu Hause. Dort hat er den Lehrstuhl für Landschaftsplanung inne. Seinen Aufenthalt im Rahmen der 1989 von der DVA-Stiftung eingerichteten Gastprofessur, von der abwechselnd die Stuttgarter Historiker, Literaturwissenschaftler und Architekten profitieren, schloß er mit einem Festvortrag ab. Am 11. Februar sprach er im Stuttgarter Colonia-Haus in der Heilmannstraße vor einer breiteren Öffentlichkeit über „Zwischen Raum und Ort".

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Professor Girot ist weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt. Er arbeitet in erster Linie an der Umwandlung von Konversionsflächen in Stadtagglomerationen und an der Entwicklung von städtischen Parks. Unter anderem realisierte er die Neugestaltung des Berliner Invalidenparks, der in seinem Festvortrag als positives Beispiel für einen nun seiner Geschichte bewußten „Ort" hervorgehoben wurde. Der Grund, auf dem der Invalidenpark sich erstrecke, sei ein markanter historischer Grund. Preußen habe sich ebenso eingezeichnet wie das Dritte Reich und der Ost-West-Konflikt, wie er sich in der künftigen Hauptstadt Deutschlands stadtplanerisch und architektonisch bemerkbar gemacht habe. Diese Spuren seien mit der Neugestaltung des Parks nach seinem Entwurf sichtbar gemacht worden – der Park habe eine historische „Begründung" erhalten.

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Prof. Girot (links) mit dem Geschäftsführer der DVA-Stiftung, Dr. Horst Frank  (Foto: Eppler)

Dem Invalidenpark hatte Girot in seinen von Diaprojektionen begleiteten Ausführungen verschiedene Negativ-Beispiele vorangestellt, die er als mißlungene „ZwischenRäume" bezeichnete. Sie unterschieden sich von „Orten" dadurch, daß sie keine Verbindung zur Geschichte, somit weder Namen noch Qualität besäßen. Ausführlich rekonstruierte er landschaftsplanerische und architektonische Fehler bei der Gestaltung des Pariser Platzes La Fontaine des Innocents. Als in den siebziger Jahren im Stadtzentrum das Einkaufszentrum Les Halles und der darunterliegende U-Bahnhof „Châtelet les Halles" gebaut wurde, sei diesem Platz der „historische, dichte und aussagekräftige Grund", so die Worte Girots, nicht nur symbolisch abgegraben worden. Nun bilde der auf den Metro-Tunneln angelegte Platz einen städtischen „Zwischenraum" ohne Geschichte, der konsequenterweise von den Menschen gemieden würde. „Aus dem einstigen Marktplatz ist ein Ort ohne Namen und ohne Qualität geworden," beklagte der Franzose. „Das Leben des Platzes wurde der großstädtischen Funktionalität geopfert – dem unterirdischen Verkehrsnetz. Damit ist der leere Platz das Ergebnis dessen, was man nicht sieht: des fehlenden Bodens, der fehlenden Begründung nämlich." Hinzu käme freilich noch ein weiterer architektonischer Fehler: durch Höherlegung sei La Fontaine des Innocents auch noch mit einer Kante versehen, die eine scharfe Grenze zur geschäftigen Umgebung ziehe.

So man seinen Vortrag richtig verstanden hat, verfolgt Girot eine dialektische Konzeption der Platzgestaltung. Ihm liegt daran, die geschichtliche Fülle einer „Landschaft" zu vereinen und zugleich darüber hinaus in die Zukunft zu weisen. Was er zu gestalten sucht, ist eine präzise gezeichnete organische Anordnung. Ob sie allerdings die Spannung der einzelnen „historischen" Stationen erhalten oder sie befrieden soll – das wäre eine Frage gewesen, auf die man gerne eine deutliche Antwort gehabt hätte.

Eine Landschaft erhält nach den Vorstellungen Girots Leben – auch durch den regen Besuch von Flaneuren - allein durch die Vergegenwärtigung ihrer Geschichte. Darin bestünde die Aufgabe für die Gebäudearchitektur wie für die Landschafts-planung - bei der Gestaltung von Bauten, Räumen und Landschaften. Girot wies jedoch auf die Schwierigkeiten gerade seines Metiers hin. Die Gebäudearchitektur könne die Entwicklung eines Ortes sehr viel leichter zeigen als die Landschaftsplanung. Landschaft könne nur „begründet" sein – und die Wiederherstellung der Begründung sei ein Prozeß, der oftmals Jahrzehnte in Anspruch nähme. Das zeige sich bei den Überlegungen zur Renaturierung und Rekultivierung der Tagebauflächen im deutschen Osten in der Gegend südlich von Leipzig, zu der Girot eigene Entwürfe eingereicht hat. Ähnlich der Tätigkeit des Archäologen sei es die Aufgabe der Landschaftsplaner, die natürlichen Vergangenheiten aufzudecken und Entwicklungen sichtbar zu machen. Natur und Pflanzen entwickelten sich zwar mit Hilfe des Menschen, suchten sich aber ihren eigenen Weg in ihrer eigenen Zeit – und so sei mit einer Landschaft, die auch Spuren der Prozesse vor dem verheerenden Tagebau zeige, erst in ferner Zukunft zu rechnen. Ein Landschaftsplaner, der sich einer solchen Aufgabe stellt, läuft offensichtlich Gefahr, sein Werk nicht vollendet zu sehen.     /hjg

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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