Problemlösungen lassen sich im sogenannten Cube (auch Cave genannt) des neuen
Virtual Environment-Labors, kurz VELab, das Ende April am Rechenzentrum der Universität
Stuttgart offiziell in Betrieb genommen wurde, sehr wohl finden. Bekannt ist ja den
meisten, daß Piloten an Flugsimulatoren schwierige Manöver üben können, die durchaus
der Realität entsprechen, ohne daß ein Fehler gleich Katastrophen auslöst. Die
virtuelle Wirklichkeit hilft sparen und die Menschen schützen. Mit dem Cube auf dem
Vaihinger Campus wird die eine Materialschlacht durch eine andere, weitaus
kostengünstigere ersetzt: sage und schreibe 14 R10000 Prozessoren mit 4 Gbyte
Hauptspeicher sowie drei Infinite Reality Pipes sorgen seit einigen Wochen für die
Simulation der komplexen technologischen Prozesse. Jede Pipe projiziert zwei Bilder auf
die ihr zugewiesene Leinwand, die Voraussetzung für die dreidimensionale Darstellung im
Raum. Und jederPositionswechsel des Beobachters wird im Nu umgesetzt. Ein von der Brille
des Nutzers gegebenes Signal teilt den Rechnern die Bewegungen laufend mit. Geht man etwa
an den Rohren der Turbine entlang, verändern die Computer die visualisierte Szene der
Perspektive des Beobachters gemäß, so daß man den Eindruck gewinnt, man bewege sich an
einem wirklichen" Rohr entlang - oder eben durch dieses hindurch, wobei ohnehin
verblüffend ist, wie greifbar die in den Raum projizierten Gebilde sind.
Anwendungen von Ingenieurwissenschaften bis Medizin
Selbstredend profitieren nicht allein Turbinenfachleute von der neuen Einrichtung im
Rechenzentrum. Auch die Medizin, die Stadtplanung und die Fahrzeugherstellung, um nur
einige Bereiche zu nennen, greifen auf die Hilfe der virtuellen Welt zurück.
Beispielsweise müssen Menschen mit Lungen-, Bronchial- oder Blutgefäßproblemen nicht
mehr auf den Tisch der Mediziner, um bei Vollnarkose mit Katheder und Mini-Kamera
traktiert zu werden. Dank der Vaihinger Höchstleistungsrechner werden die durch
Comptertomographie gewonnenen Daten zu einem Bild zusammengesetzt und im VELab
dreidimensional dargestellt. Gefäßverschlüsse werden auf diese Weise gut sichtbar, die
Mediziner stehen, etwa im Bronchialast, direkt davor. Bei Kindern, deren Gefäße noch
viel zu schmal für die alte endoskopische Untersuchungsmethode ist, wird nun eine
Diagnose ohne chirurgischen Eingriff möglich.
Stuttgart 21" virtuell
In Anbetracht von Diskussionen wie beispielsweise um das Stadtplanungsprojekt
Stuttgart 21" ist eine weitere Nutzungsmöglichkeit von großem Interesse.
Gebäude oder Städte werden im Cube regelrecht begehbar, da die Darstellung ohne weiteres
in Lebensgröße erfolgen kann. Die Wirkung der neuen Wohn- und Bürohäuser auf Flaneure
kann ebenso erkundet werden wie die Ausstrahlung, die deren Foyer-Einrichtung auf die
Besucher hat, zumal sich die Umgebung ja der Bewegung des neugierigen Spaziergängers
anpaßt.
Die Autoindustrie greift sowohl beim Test von Fahreigenschaften als auch bei
Crast-Tests auf das VELab zurück. Die Kräfte, die beim Aufprall auf das Fahrzeug gewirkt
haben, können eingehend untersucht werden - zumal sich das virtuelle Fahrzeug mit nur
wenigen Handgriffen beliebig vergrößern läßt und die Ingenieure jede in der
Wirklichkeit noch so unzugängliche Stelle untersuchen können. Virtuelle Prototypen
rükken bei diesen Tests an die Stelle der bisher in teurer und langwieriger Handarbeit
hergestellten Modelle von Autos, die erst in ferner Zukunft in die Serienproduktion gehen.
Auch den Kolbenraum ihrer Motoren können Kfz-Ingenieure einsehen, ja eben auch
hineingehen, um am Ende die Verbrennung zu optimieren.
Kristallstrukturen und Fahrzeuge der Zukunft
Die Erprobung von Produkten, die zunächst nur am Reißtisch existieren, ist nicht nur
für die Fahrzeughersteller interssant. Jedes Industrieprodukt kann vor seiner Herstellung
im Cube des Rechenzentrums getestet werden - und als Dienstleistungseinrichtung ist das
VELab des Rechenzentrums auch gedacht, übrigens das erste seiner Art an deutschen
Universi-täten. Es steht nicht nur UniversitätsInstituten zur Verfügung, die dort etwa
Kristallstrukturen oder astrophysikalische Vorgänge im Weltraum erforschen, sondern auch
privatwirtschaftlichen Nutzern. Die Grundlagenforscher profitieren in derselben Weise wie
die Leute aus der Praxis. Professor Eberhard Göde vom Institut für Strömungsmechanik
und Hydraulische Strömungsmaschinen der Universität Stuttgart etwa konnte dank der
visuellen Darstellung von Strömungsprozessen bereits einigen Unternehmen und Betreibern
von Kraftwerken behilflich sein, und das bereits mit der alten, nur an eine einzelne Wand
projizierten dreidimensionalen Darstellung der nun durch das VELab abgelösten Anlage des
Rechenzentrums. Auch die Autohersteller Daimler-Benz und Porsche nutzen häufig die
Möglichkeiten des VELab, um die Fahrzeuge der Zukunft mit Hilfe der technologischen
Möglichkeiten der Zukunft zu planen. /hjg
KONTAKT
Dr.-Ing. Ulrich Lang, Abteilung Visualisierung im Rechenzentrum Universität Stuttgart,
Allmandring 30, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-5995
e-mail: ulrich.lang@hlrs.de