Schon nach dem ersten Weltkrieg bildeten sich aus Selbsthilfeorganisationen
der Studierenden die ersten Studentenschaften. In den 20er Jahren wurden diese als
öffentlich-rechtliche Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft und Finanzhoheit vom Staat
anerkannt. So wurden in § 2 der preußischen Verordnung über die Bildung von
Studentenschaften vom 18.9.1920 die Aufgaben der Studentenschaft, vertreten durch den
AStA, wie folgt definiert: a) Vertretung der Gesamtheit der Studierenden; ... d)
Einigung über die Parteien hinaus zur Mitarbeit am kulturellen und wirtschaftlichen
Aufbau Deutschlands." Mit dem Entstehen der nationalsozialistischen Herrschaft wurden
die Studentschaften vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB)
übernommen". Sie wurden ein Instrument des Staatsterrors.
1945 wiederbelebten die westlichen Allierten im Rahmen des Reeducation-Programms die
Verfaßten Studentenschaften. Diese sollte die Interessen der Studenten"
vertreten und der Jugend Gelegenheit zur politischen Betätigung im Sinne der
demokratischen Neuordnung der Hochschulen geben. Die sich daraus ergebende Politisierung
der Studieren-den wurde anfangs von Politikern und Professoren noch geduldet, teilweise
sogar gefordert (s.a. Gerhardt, DUZ 8/9, 1968, S.3). Erst mit der Studentenbewegung (APO,
Notstandsgesetze, Vietnam-Proteste) Ende der 60er Jahre geriet die Verfaßte
Studentenschaft immer mehr ins Zentrum der Kritik.
Nachdem die Verfaßte Studierendenschaft nur noch als Kann-Bestimmung" ins
Hochschulrahmengesetz (HRG) aufgenommen wurde, nutzte Baden-Württemberg die Möglichkeit
zum Verbot. Offizielle Begründung: Die Zwangsmitgliedschaft sei verfassungswidrig, da sie
die allgemeine Handlungsfreiheit der Studenten einschränke und man verhindern wolle, daß
öffentliche Mittel für radikale politische Aktionen mißbraucht würden. Daß es dem
damaligen Ministerpräsidenten und ehemaligen NS-Marine-Richter Filbinger um etwas anderes
als die freiheitlich demokratische Grundordnung ging, belegen die heute noch bestehenden
Zwangskörperschaften (zum Beispiel IHK) und seine Worte zur Abschaffung der Verfaßten
Studentenschaft: Wenn es uns gelänge, mit dem RCDS, der Jungen Union oder der
Schülerunion die ASten zu besetzen, wäre die Lage anders" (BNN, 10.11.1977). Mit
der Verfaßten Studierendenschaft wurden gleichzeitig auch die Fachschaften abgeschafft.
Da es aber einem demokratischen Staat mit folglich demokratischen (?) Universitäten
und Studentenwerken widerspricht, wenn die zahlenmäßig stärkste Gruppe ganz
ausgeschaltet wird, wurde ein beratender Ausschuß des Großen Senats eingerichtet (§
18,3 UG): der Ausschuß für musische, sportliche, geistige und soziale Belange der
Studierenden. Die Aufgabenstellung sowie die Zusammensetzung dieses Allgemeinen
Studentenausschusses (AStA) mit drei studentischen Mitgliedern des Senats sowie sechs
studentischen Mitgliedern im Großen Senat wird von den Studierenden als völlig
unzureichend beurteilt. Daher beschlossen die Studierenden der Universität Stuttgart 1980
die Gründung einer unabhängigen Studierendenvertretung namens
FachschaftsVertreterInnenVersammlung (FaVeVe). Zentrales Gremium der FaVeVe sind die
wöchentlichen Sitzungen. An dieser Sitzung können alle Studierenden mit Rede- und
Antragsrecht teilnehmen - stimmberechtigt sind aber nur die Delegierten der Fachschaften.
Die fachbereichsübergreifende Arbeit der FaVeVe betrifft hauptsächlich Themen wie
Nahverkehr, BAföG oder Ökologie.
Grundlegendes Ziel der FaVeVe ist und bleibt allerdings die Wiedereinführung der
Verfaßten Studierendenschaft als öffentlich-rechtliche Zwangskörperschaft mit Satzungs-
und Finanzhoheit sowie politischem Mandat.
Satzungs- und Finanzhoheit sind dabei unumstritten. Aber schon bei der
Zwangskörperschaft gehen Meinungen auseinander, da die Stellungnahme im Namen aller
Studierenden als problematisch angesehen wird. Abgesehen davon, daß nach dieser Logik
auch Ärzte- und Anwaltskammern sowie die politisch sehr regen Industrie- als
Zwangsverbände verfassungswidrig sein müßten, ist bisher noch niemand auf den Gedanken
gekommen, die automatische Mitgliedschaft eines Professors oder eines Studenten in der
Körperschaft Hochschule als Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit anzusehen.
Die Leistungen einer Studierendenschaft kommen zudem allen StudentInnen zugute (eine
Kontrolle der Inanspruchnahme durch Nicht-Mitgieder ist nicht möglich), so daß es nur
rechtens ist, daß auch alle Studierenden zahlen müssen. Aus dem Studentenwerk kann man
auch nicht austreten, wenn man die Leistungen wie Wohnheim- oder Kindergartenplatz nicht
nutzt.
Der zweite Streitpunkt ist das politische Mandat. Und genau hier liegt das Problem: Was
ist Allgemeinpolitik und was ist Hochschulpolitik? Eine Trennung zwischen Hochschul- und
Allgemeinpolitik ist nicht möglich.
Ist ein Arbeitskreis, der sich um die Einführung eines Semestertickets bemüht, eine
Überschreitung des Rahmens? Schließlich handelt es sich in diesem Fall um
Verkehrspolitik! Oder überschreitet ein Kommentar zum Wohnheimbau wegen der
sozialpolitischen Komponente schon den zulässigen Rahmen? Wie ist die Verurteilung der
gewaltsamen Niederschlagung der Studentenproteste in China oder derzeit in Indonesien zu
beurteilen, wenn man sie zu den seinerzeit von Politikern gewünschten Kommentaren zur
Niederschlagung des Arbeiteraufstandes in der DDR in Beziehung setzt? - Die
FachschaftsVertreterInnenVersammlung (FaVeVe) tritt für die Einführung der Verfaßten
Studierendenvertretung ein.
Ulrike Schwidtal und Michael Lateier
KONTAKT
Weitere Infos bei der FaVeVe im Hellblauen Nilpferd", Pfaffenwaldring 57, 70569
Stuttgart, Tel. 0711/685-2003/-2004