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Stuttgarter unikurier Nr.79/Juni 1998
Kraftwerksprozesse per Rechner verbessert:
Für gute Verbrennung sorgen Supercomputer
 

Um die Verbrennung in kohlenstaub- und biomassegefeuerten Kraftwerken zu verbessern, haben Wissenschaftler des Instituts für Verfahrenstechnik und Dampfkesselwesen (Abteilung Feuerungstechnik) das Finite Volumen-Programm AIOLOS*) entwickelt. Die in AIOLOS enthaltenen mathematischen Modelle beschreiben die Erhaltung von Masse, Impuls und Energie. Das Programm wurde mit vielen Messungen überprüft und kann die Vorgänge im Feuerraum wirklichkeitsnah simulieren. Damit ist der Aufbau von teuren physikalischen Modellen überflüssig.

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Ein Gemeinschaftsprojekt der Länder Italien, Irland, Großbritannien, Schweden, Portugal, Frankreich und Deutschland führt in Block 4 des italienischen Kraftwerkes „Vado Ligure" zu einem geringeren Schadstoffausstoß. Der Block arbeitet nach dem Prinzip der Brennstoffstufung. 80 Prozent der gesamten Kohle werden dabei in der Primärverbrennungszone mit insgesamt 24 NOx-armen Brennern umgesetzt. Oberhalb dieser Hauptverbrennungszone befinden sich zehn Injektoren, über die die restlichen 20 Prozent des Brennstoffes zugeführt werden, um das in der Primärzone entstandene NO zu molekularem Stickstoff N2 zu reduzieren. In der dritten Zone wird schließlich über aerodynamisch optimierte Düsen zusätzliche Ausbrandluft eingeblasen, die einen möglichst vollständigen Umsatz der Kohle garantieren soll.

 

Kohle als Reduktionsbrennstoff
Die Besonderheit des Vado Ligure-Projekts ist der Einsatz von Kohle als Reduktionsbrennstoff. Bisher kamen in Großkraftwerken dafür ausschließlich Öl oder Gas zum Einsatz, weil sie bessere Handhabbarkeit und Mischungseigenschaften besitzen. Es besteht jedoch großes Interesse, diese „Edelbrennstoffe" durch die meist billigere und langfristig verfügbare Kohle zu ersetzen.

Generelles Ziel des Vado-Ligure-Projektes war es, eine optimale Kesselkonfiguration zu ermitteln, um den NOx-Gehalt der Rauchgase effektiv zu mindern und gleichzeitig eine hohe Brennstoffausnutzung zu erreichen. Deshalb wurden neben Tests an verschiedenen Versuchsanlagen vor allem numerische Werkzeuge wie das Feuerraumsimulationsprogramm AIOLOS eingesetzt. Die speziell für die Simulation von Kraftwerksfeuerungen entwickelte Software kann sowohl die komplizierte Geometrie von Einzelkomponenten (zum Beispiel Brenner oder Luftdüsen) auflösen als auch den gesamten Feuerraum mit einem feinen Rechengitter abbilden. Zudem lassen sich komplexe kombinierte Verbrennungsmechanismen wie die Brennstoffstufung simulieren.

Für die Simulationsrechnungen auf einem Parallel-Vektorrechner NEC SX-4/32 stellten die italienischen Kraftwerksbetreiber Enel sowie die Kraftwerkshersteller Ansaldo neben den Basisdaten über Kesselgeometrie und -fahrweise unter anderem auch die Ergebnisse einer detaillierten Reaktivitätsuntersuchung der eingesetzten Kohlen zur Verfügung.

Ein Ergebnis der Berechnungen war, daß die ursprünglich vorgesehene Verteilung der Ausbrandluftdüsen mit jeweils vier auf den Seitenwänden und zwei weiteren Düsen auf der Frontseite des Kessels zu einer unerwünschten Ungleichverteilung der Ausbrandluft führt. Als weitaus günstiger erwies sich die symmetrische Anordnung von jeweils fünf Düsen auf den Seitenwänden.

Ein weiterer Aspekt war die Verwendung eines verbesserten Düsentyps, bei dem Luft mit unterschiedlich starkem Drall eingeblasen werden kann. Durch numerische Optimierung von Drallstärke, Einblasgeschwindigkeit sowie Luftmengenverteilung auf die einzelnen Düsen konnte ein deutlich besserer Umsatz des Brennstoffes nahe bei den Kesselwänden erreicht werden. Neben weiteren Optimierungen zum Beispiel der Brenner und der Injektoren für den Reduktionsbrennstoff dienten Vergleichsrechnungen für unterschiedlich feine Kohlenstäube zur Auswahl neuer Mühlensysteme.

Nach den Ergebnissen der experimentellen und numerischen Untersuchungen wird im Kraftwerk Vado Ligure der Kessel 4 umgebaut, dessen neue Konfiguration einen optimierten Ausbrand der Kohle und eine hohe Effektivität bei der NOx-Minderung erreichen soll. Während des Projekts hat sich gezeigt, daß 3D-Simulationen mit Computerprogrammen eine entscheidende Rolle beim Design von Feuerungssystemen spielen. Vorteile gegenüber rein experimentellen Untersuchungen sind dabei vor allem die niedrigeren Kosten und kürzeren Antwortzeiten der Computersimulation, aber auch die Möglichkeit, große Kraftwerkskessel mit ihren Komponenten im Originalmaßstab zu beschreiben.

*) Auch die VDI-Nachrichten stellten die Neuentwicklung der Stuttgarter Wissenschaftler bereits vor (Nr. 10 vom 6.3.1998).

 

KONTAKT
Institut für Verfahrenstechnik und Dampfkesselwesen (Abteilung Feuerungstechnik) der Universität Stuttgart, Dr.-Ing. Uwe Schnell, Pfaffenwaldring 23, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-3574
e-mail: schnell@ivd.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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