Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Michael Reiß sprach einleitend zum Thema Der
Neue Mittelstand als Herausforderung an Management, Politik und Wissenschaft". Der
Neue Mittelstand" als Ergebnis breit angelegter Erosionsprozesse innerhalb von
Großunternehmen stellt sich als eine heterogene Gruppe von kleinsten, kleineren und
mittleren Unternehmen dar, die zwar rechtlich selbständig, wirtschaftlich aber abhängig
sind. Im Gegensatz zu herkömmlichen Existenzgründungen zeichnet sich der Neue
Mittelstand durch mehr oder weniger enge Verbindungen zur Mutterfirma aus.
Diese Verbindungen prägen das Verhalten der neuen Firmen. Die Unterstützung der
Mutterfirma sichert Risiken von Neugründungen ab; die Abhängigkeit behindert jedoch den
freien Marktauftritt. Neben Fragen des Managements erörterte Reiß auch
Unterstützungsansätze der Wirtschaftspolitik.
Dr. Bernhard Rosellen (Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg) referierte zur
Existenzgründungsförderung in Baden-Württemberg".
Er skizzierte förderungsfähige Gründungsformen (Übernahme, Neugründung,
Unternehmen bis zu einem Alter von fünf Jahren und tätige Beteiligungen) und das
Hausbankprinzip. In 97 Prozent der Fälle sind Genossenschaftsbanken und Sparkassen
Hausbanken der Gründer. Neben den Höchstgrenzen öffentlicher Förderung am
Gesamtkapital und zur Minimal- und Maximalhöhe von Krediten erläuterte er auch die
Rollen der Bürgschaftsbank Baden-Württemberg, der Landeskreditbank und der
Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg im Rahmen der öffentlichen
Gründungsförderung.
Helmut Kohlert (Wirtschaftsjunioren Stuttgart) beschrieb in seinem Vortrag
Selbständigkeit als Herausforderung" die Motive für eine wirtschaftliche
Selbständigkeit. Er skizzierte die wichtigen Eigenschaften erfolgreicher Entrepreneure
und beschrieb die Methode der SWOT-Analyse in der Gründungssituation zur Abschätzung der
Erfolgswahrscheinlichkeit. Vor dem Beschluß, sich selbständig zu machen, gelte es, neben
Produkten und/oder Dienstleistungen vor allem Zielgruppen, Kundennutzen, Gewinnerwartungen
und Absatzkanäle zu definieren.
Dr. Helga Breuninger (Breuninger Stiftung Stuttgart) gab Einblick in das Projekt EXZET
(Existenzgründerzentrum Stuttgart e.V.). Ziel ist die Unterstützung arbeitsloser bzw.
von Arbeitslosigkeit bedrohter Menschen, die sich selbständig machen wollen. Der Weg in
die Selbständigkeit wird unterstützt, indem Geschäftsideen überarbeitet, präsentiert
und geprüft werden (in sog. Gründerzirkeln), Informationen und Fachvorträge angeboten
werden und - nicht zuletzt - jedem mit dem Gründerbrief ausgezeichneten Gründer ein
erfolgreicher Unternehmer als Pate zur Seite gestellt wird. Das Motto des EXZET lautet
Vom Arbeitnehmer zum Auftragnehmer". Das Projekt verfolgt das Ziel, den Weg in
die Selbständigkeit ohne große Kredite und damit einhergehende riskante Verschuldung
vorzubereiten. Bisher sind im Rahmen des EXZET 50 Unternehmen gegründet worden.
Als Vertreterin der Arbeitnehmerseite referierte Dr. Gudrun Trautwein-Kalms vom
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der Hans-Böckler-Stiftung. Ihr
Vortrag Beschäftigungskrise und Erscheinungsformen von Selbständigkeit"
thematisierte die Zusammenhänge zwischen der steigenden strukturellen Arbeitslosigkeit
und der Intensivierung der öffentlichen Debatte zur Forderung nach mehr selbständigen
und flexiblen Beschäftigungsformen. Sie ging kritisch auf die Interpretation von Zahlen
ansteigender Selbständigkeitsquoten als Indikatoren ebenfalls steigender Beschäftigung
ein, erläuterte die Interdependenzen von Innovation, Selbständigkeit, Wachstum und
Arbeitslosigkeit und stellte politische Handlungsmöglichkeiten gegen sogenannte
Scheinselbständigkeit dar.
Möglichkeiten der Redimensionierung durch Outsourcing, Ausgründung, Buy Out und
Outplacement" hatte Heinz Müller seinen Vortrag über Restrukturierungsprojekte bei
der Alcatel SEL AG überschrieben. Als Motive der Unternehmen für solche Maßnahmen
nannte er neben der Weiterentwicklung von Produkt- und Prozeßtechnologien hauptsächlich
die Konzentration auf Kernkompetenzen und die Marktentwicklung. Die Formen von
Redimensionierungsprojekten reichten von Beschäftigungs- und
Qualifizierungsgesellschaften über Subcontracting bis hin zu Ausgliederungen, Buy Outs
und Outsourcing. Welche Variante letztlich bei Alcatel SEL gewählt wurde, hing jeweils
von vier Faktoren ab: von der Multinationalität im Konzern (Produkte werden parallel an
verschiedenen Standorten gefertigt), von der Organisationsstruktur, den Profiterwartungen
der Geschäftsleitung und den gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Ausgründung aus Sicht von "Mutter" und "Tochter"
Eine außergewöhnliche Konstellation stellte der Vortrag von Herbert Reiß und Manfred
Prüßner (Hewlett-Packard Deutschland GmbH) sowie Tim Schwegler (Design Manufacturing
Technology GmbH) dar: Erfahrungen aus einem Ausgründungsprojekt wurden sowohl aus der
Sicht von Hewlett-Packard (HP) als auch aus der Perspektive der neugegründeten
Tochter", der DMT GmbH, geschildert. Herbert Reiß erläuterte den
unternehmenspolitischen Kontext und die Entscheidungsfindung für eine Ausgliederung der
Blechfertigung bei HP. Besondere Bedeutung während des gesamten Prozesses hatte eine sehr
offene und direkte Kommunikation der Unternehmensleitung mit den betroffenen Mitarbeitern.
Im Ergebnis wurden die gesetzten Ziele erreicht (z.B. sind die Arbeitsplätze aller
Mitarbeiter gesi-chert), und es ist ein Verbund leistungsfähiger Firmen (Mutter und
verschiedene Tochterunternehmen) entstanden. Die Kosten der Ausgliederung werden mit rund
8,5 Millionen US-Dollar beziffert. Tim Schwegler zeichnete wichtige Entwicklungsschritte
der Firma DMT nach. Für den Erfolg waren einerseits der nach amerikanischem Vorbild
entworfene Business-Plan und die unternehmerische Orientierung der
Gründerpersönlichkeiten entscheidend. Wesentlich beigetragen haben die
Unterstützungsleistungen von HP. Ein weiterer Baustein war neben dem
Freiwilligkeitsprinzip für die Mitarbeiter das starke Commitment der Know-How-Träger
bzw. der Vorgesetzten.
Privates Venture Capital versus staatliches Subventionskapital oder: Wie werde
ich ein erfolgreicher High-Tech-Unternehmer?" hatte Dr. Gerd Köhler von der
Technologieholding VC GmbH, Bad Homburg, seinen abschließenden Vortrag überschrieben.
Die Firma TVC hält derzeit ca. 70 Beteiligungen an jungen, expandierenden Firmen mit
einem Beteiligungsvolumen von etwa 450 Mio. DM. Pro Jahr werden ca. 20 neue Beteiligungen
eingegangen, wobei bei einzelnen Volumina oberhalb 20 Mio. DM ein Finanzierungskonsortium
zusammengestellt wird. TVC beteiligt sich vor allem an solchen Firmen, die mittelfristig
das Potential zur Weltmarktführerschaft aufweisen. Stimmen Geschäftsidee und
Fähigkeiten des Gründers, kann über die TVC sehr schnell Kapital in die junge Firma
fließen, so daß auf die rasanten Veränderungsgeschwindigkeiten im Weltmarkt sofort
reagiert werden kann. Beispielhaft skizzierte Köhler die Entwicklung der Firma Intershop:
innerhalb von eineinhalb Jahren stieg die Mitarbeiterzahl auf 200. Der Trend des
Electronic Commerce über das Internet wurde so frühzeitig erkannt, daß die
entsprechende Verkaufs-Software vor allen Konkurrenten auf den Markt gebracht werden
konnte und bis heute ein riesiges Wachstumspotential verspricht. Der steigende
Unternehmenswert ergibt dann bei einem exit" an die Börse (going
public") hohe Gewinne für die TVC, die ihre Anteile an der jungen Firma verkauft.
Mit diesem Prinzip erwirtschaftet die TVC hohe Renditen, ohne ein eigenes Aktienportfolio
zu pflegen.
E. Rudorf
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