In diesem Projekt wird die Geschichte der Mädchenbildung bis hin zu
aktuellen Ansätzen aus Politik und Praxis nachgezeichnet. Der Öffentlichkeit wurden die
Ergebnisse im Juli 1998 bei einer Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Katholischen
Bildungswerk Stuttgart e.V., einem langen Abend zur Koedukation, einem Seminar zur
Bildungsgeschichte von Frauen und Mädchen und weiteren Begleitveranstaltungen
präsentiert.
Warum ist die Beschäftigung mit Geschichte wichtig? Wenn geschlechtsspezifische Merkmale
und Verhaltensmuster, Werte und Normen kulturell definiert sind und von Geburt an gelernt
werden, verändern sie sich auch mit den jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Wandlungen.
Erst unter Einbeziehung der historischen Analyse kann die aktuelle Situation beurteilt
werden, denn in die enge Interdependenz von Erziehung, Persönlichkeitsentwicklung und
gesellschaftlicher Realität spielen die vorbewußten, tradierten Annahmen über
Geschlechtsrollen mit hinein. Ohne diese Bewußtmachung werden immer wieder von neuem die
jedem Geschlecht zugeschriebenen Charaktermerkmale produziert, die dann in einem
Zirkelschluß weiter dazu herangezogen werden, die bestehenden Strukturen zu legitimieren.
Und diese Ideologie der Geschlechtscharaktere konkretisiert sich in einem
Geflecht von Verhaltensregeln, das gerade für Mädchen und Frauen eine erstaunliche
Kontinuität über zwei Jahrhunderte aufwies.
Bildungstheorien im Überblick
Konzept und Inhalt von Ausstellung und Begleitbuch*) umfassen Geschlechter- und
Bildungstheorien der Aufklärungszeit und Romantik, Gleichheitsforderungen,
Mütterlichkeitskonzepte, Ordens-, Schul- und Hochschulgründungen, pädagogische
Aktivitäten der gemäßigten und radikalen Frauenvereine, reformpädagogische
Bestrebungen, Musik-, Tanz- und Theaterpädagogik, Konstitutierung und Problematik der
Frauenberufe, die besondere Situation von Jüdinnen und Sozialistinnen sowie
das aktuelle Projekt einer feministischen Mädchenschule. Ausstellung und Begleitbuch
geben einen exemplarischen Überblick über wichtige Stationen und Personen im Kampf der
Frauen um ihr Recht auf Bildung und Beruf. In die sowohl chronologisch als auch
systematisch aufgebaute Darlegung über Mädchenbildung und -erziehung sind Beiträge
über Leben und Werk verschiedener Pädagoginnen eingefügt.
Den Auftakt zur Ausstellung, die vom 2. bis zum 24. Juli in der Stuttgarter Galerie St.
Eberhard in der Königstraße zu sehen war, bildete der lange Abend zum Thema
Gleiche Bildung und doch nicht gleich? Koedukation in der Diskussion. Die
Veranstaltung gab einen Überblick über verschiedene aktuelle Modelle aus Schulpraxis und
Politik und bot die Möglichkeit zur Information und Diskussion mit Fachfrauen und einem
Fachmann: Elisabeth Frank, Studiendirektorin am Otto-Hahn-Gymnasium in Ostfildern und
Leiterin des Stuttgarter Schulversuchs Physik, und Anne Jenter,
stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft,
berichteten über die Schulversuche in Baden-Württemberg zur Gleichstellung von
Schülerinnen und Lehrerinnen in der Schule. Eine eigene Mädchenschule als feministische
Schulpraxis verwirklichen Ruth Devime und Vanessa Wieser in Wien; anschaulich schilderten
sie ihr Konzept und den Schulalltag. Schwester Michaele Csordas, Oberstudiendirektorin und
ehemalige Schulleiterin der Heimschule Kloster Wald, stellte diese Mädchenschule in
kirchlicher Trägerschaft vor. Birgitt Bender, stellvertretende Fraktionsvorsitzende von
Bündnis 90/Die Grünen im Landtag, verwies auf die Forderungen nach nicht nur zeitweise
getrenntem Unterricht, sondern Einrichtung einer feministischen Versuchsschule auch in
Stuttgart. Dr. Heinz Bartjes aus Tübingen, einer der wenigen Männerforscher,
erläuterte die Probleme der männlichen Sozialisation.
Wanderausstellung
Sowohl die Einzelveranstaltungen als auch die Ausstellung waren über die gesamte
Öffnungsdauer überdurchschnittlich gut besucht und stießen auf sehr positive Resonanz.
Dies zeigt sich auch im schnellen Ausverkauf des Begleitbuches und in intensiven
Diskussionen mit dem Publikum. Viele Besucher, die den Organisatorinnen durchweg hohes Lob
zollten, bedauerten, daß die Ausstellung in Stuttgart nur drei Wochen zu sehen war.
Interessierte Institutionen können die als Wanderausstellung konzipierte Zusammenstellung
ausleihen; von Anfang Oktober bis Mitte Dezember 1998 wird sie im Schulmuseum Kornwestheim
gezeigt.
Die Arbeitsgruppe um Katharine Ruf. |
Praxisnahe Lehre
Nicht nur die Öffentlichkeit profitierte; auch die beteiligten Studierenden und
Projektmitarbeiterinnen bewerteten die hier praktizierten Lehr- und Lernformen höchst
positiv. In den Projektseminaren waren die Studierenden aktiv in die Forschung eingebunden
und arbeiteten - da es um ein in der Wissenschaft bislang wenig behandeltes Thema ging -
nicht nur bekannte Materialien auf. Neue Arbeitstechniken konnten ausprobiert werden. Als
wertvolle Erfahrung bezeichneten viele die praxisnahe Mitarbeit an der Konzeption und
Organisation der Ausstellung. Motivierend wurde auch die Veröffentlichung der
studentischen Beiträge im Katalog empfunden. Eine didaktische Herausforderung für die
Beteiligten war die Präsentation für verschiedene Zielgruppen. Und nicht zuletzt hatten
Lernende und Lehrende bei diesem Projekt die Möglichkeit, über eine gemeinsame Aufgabe
zusammenzu-wachsen.
Katharine Ruf
*) Katharine Ruf: Bildung hat (k)ein Geschlecht.
(Peter Lang. Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a.M. 1998); 191 S.,
zahlreiche Abb.; DM 79,- (nur noch über den Buchhandel beziehbar)
KONTAKT
Katharine Ruf, M.A., Abteilung Pädagogik des Instituts für Philosophie, Pädagogik und
Psychologie, Dillmannstr.15, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-1444, Fax 0711/121-1422 oder:
In den Weingärten 35, 72108 Rottenburg, Tel. 07457/4977; e-mail: metis@www.uni-stuttgart.de oder über die
Homepage des Projekts: www.uni-stuttgart.de/External/metis
Adolph Freiherr von Knigge (1788)
...wenn die Frauen doch nur überlegen wollten, wieviel mehr Interesse diejenigen
unter ihnen erwecken, die sich einfach an die Bestimmung der Natur halten und sich unter
dem Haufen ihrer Mitschwestern durch treue Erfüllung ihres Berufes auszeichnen! ... Ich
tadle nicht, daß eine Frau ihre Schreibart und ihre mündliche Unterredung durch einiges
Studium und durch keusch gewählte Lektüre zu verfeinern suche, daß sie sich bemühe,
nicht ganz ohne wissenschaftliche Kenntnisse zu sein, aber sie soll kein Handwerk aus der
Literatur machen; sie soll nicht umherschweifen in allen Teilen der Gelehrsamkeit... Dann
sieht sie die wichtigsten Sorgen der Hauswirtschaft, die Erziehung ihrer Kinder und die
Achtung unstudierter Mitbürger wie Kleinigkeiten an, glaubt sich berechtigt, das Joch der
männlichen Herrschaft abzuschütteln, verachtet alle anderen Weiber, erweckt sich und
ihrem Gatten Feinde ... Es geht alles verkehrt im Hause! Die Speisen kommen kalt oder
angebrannt auf den Tisch; es werden Schulden auf Schulden gehäuft; der arme Mann muß mit
durchlöcherten Strümpfen einherwandeln; wenn er nach häuslichen Freuden seufzt,
unterhält ihn die gelehrte Frau mit Zeitungsnachrichten oder rennt ihm mit einer
Gedichtsammlung entgegen, in welcher ihre platten Verse stehen, und wirft ihm höhnisch
vor, wie wenig der Unwürdige, Gefühllose den Wert des Schatzes erkennt, den er zu seinem
Jammer besitzt.
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