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Stuttgarter unikurier Nr.80/November 1998
Zur Emeritierung von Professor Kußmaul:
Experte in Sachen Materialprüfung
 

Nach 22jähriger Tätigkeit als Ordinarius für Materialprüfung, Werkstoffkunde und Festigkeitslehre und Direktor der Staatlichen Materialprüfungsanstalt (MPA) Universität Stuttgart wurde Professor Dr.-Ing. Dr. techn. E.h. Karl Kußmaul am 30. September 1998 emeritiert.

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foto69.gif (59911 Byte)Karl Kußmaul begann 1957 seine wissenschaftliche Tätigkeit in der MPA unter Professor Karl Wellinger, bei dem er 1963 zum Dr.-Ing. promovierte.
In den Jahren 1957 bis 1969 lag der Schwerpunkt der Arbeiten Kußmauls sowohl auf dem Gebiet der Entwicklung und Qualifizierung von Werkstoffen, Komponenten und Systemen als auch auf dem Gebiet der Schadensanalyse. Als Projektleiter und später als Leiter der Außenstelle der MPA in Düsseldorf war Kußmaul beteiligt an der Verwirklichung zahlreicher Großprojekte im Anlagenbau sowie am Bau von Hochdruckfernleitungen für Öl, Gas und Wasser in Europa. Begonnen hat dies mit der Bodenseefernwasserleitung für die Trinkwasserversorgung der Region Stuttgart, die mit ihrer seit 40 Jahren bewährten Anlagentechnik mit Seepumpwerk sowie Filterwerk und Pumpspeicherwerk Sipplinger Berg vielerorts als Jahrhundertbauwerk bezeichnet wird.
Diese Aufgaben führten Kußmaul über 12 Jahre hinweg in die Werke und Forschungsanstalten namhafter Unternehmen der eisen- und metallverarbeitenden Industrie bis hin nach Japan. So konnte er Erfahrungen sammeln und Verbindungen knüpfen, die für die weitere Entwicklung der MPA von großer Bedeutung waren.
Ab 1969 übernahm Kußmaul, zum Stellvertretenden Direktor berufen, zunehmend die Aufgaben im wissenschaftlich-technischen Management der MPA; 1976 erfolgte der Ruf als Ordinarius auf den Lehrstuhl für Materialprüfung, Werkstoffkunde und Festigkeitslehre, verbunden mit der Leitung der MPA als Nachfolger der Professoren Carl von Bach, Richard Baumann, Otto Graf, Erich Siebel und Karl Wellinger. Besonders hervorzuheben sind die Verdienste Kußmauls um Forschung und Entwicklung im Bereich der Energietechnik und Verkehrstechnik. Durch die Schaffung zum Teil weltweit einzigartiger Prüfmöglichkeiten in der MPA Stuttgart, aber auch in drei externen Prüffeldern, sowie durch die von ihm entwickelten und durchgesetzten Konzeptionen in den Bereichen Werkstoff, Verarbeitung, Festigkeit und Qualitätssicherung, unter spezieller Berücksichtigung der Entwicklung und Einführung neuer Schweißtechnologien, hat er wesentlich zu dem in Deutschland heute gegebenen hohen Entwicklungsstand von konventionellen und nuklearen Energieerzeugungsanlagen beigetragen. Zielstrebig hat er eine Systematik entwickelt, die es erlaubt, katastrophales Versagen auszuschließen und den Sicherheitsabstand zu quantifizieren. In der Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft, Forschungs- und Universitätseinrichtungen hat Kußmaul sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch im internationalen Umfeld neue Wege aufgezeigt und erfolgreich beschritten. Das von ihm 1970 definierte und über Jahre gestaltete Großforschungsvorhaben Komponentensicherheit wurde bereits in der Planungsphase als Verbundprojekt mit internationalem Charakter ausgelegt. Dieses Projekt hat Modellcharakter für andere staatlich geförderte Vorhaben.
Die Vielzahl der Aktivitäten und der Mangel an Computerkapazität brachte Kußmaul dazu, zusammen mit der Universitätsleitung die Voraussetzungen für das Rechenzentrum der Universität Stuttgart (RUS) zu schaffen, aus dem das erste Bundeshöchstleistungsrechenzentrum in Deutschland hervorgegangen ist. Seine Ideen und seine Überzeugungskraft strahlten auch in andere Bereiche aus. Beispiele dafür sind die Qualifikation des Boosters (Feststoffmotors) der Ariane V-Rakete und das Tragwerk des Centre Georges Pompidou in Paris. Das formgebende Schweißen beziehungsweise Formschmelzen bedeutete für ihn die Möglichkeit, komplexe Bauteile maßzuschneidern, wie ihn im übrigen alle Fügeverfahren von der Mikroschweißung bis zur Engspaltschweißung großer Querschnitte interessierten. In jüngster Zeit konnte er seine Erfahrungen in das Verbundvorhaben „Entwicklung und Optimierung von Fertigungstechnologien für Aluminium-Leichtbaustrukturen” der Partner Land Baden-Württemberg/Audi AG als Sprecher des Lenkungskreises einbringen. Sowohl bei Schäden großen Umfangs als auch bei Einführung neuer Technologien ist Kußmaul unter anderem nach Großbritannien, Italien, Japan und in die USA gerufen worden. Seit 1976 war er Sachverständiger bei den deutschen Verwaltungsgerichten für Kernenergiefragen sowie beim Bundesgerichtshof für Patentfragen. Das erarbeitete Wissen ist heute Allgemeingut und wird in weiten Bereichen der Technik angewandt.
Im Zuge einer Neustrukturierung und Erweiterung der Aufgabenbereiche der MPA Stuttgart vergrößerte sich unter der Leitung Kußmauls die Zahl der Mitarbeiter von anfangs etwa 100 auf zeitweise mehr als 300 Wissenschaftler, Techniker und Verwaltungsangestellte; heute sind es etwa 280, die zu 90 Prozent aus Drittmitteln finanziert sind. Die Aufstockung des Personals war mit der Durchführung umfangreicher Baumaßnahmen für modernste Prüfeinrichtungen verbunden. Es gelang Kußmaul, Mitarbeiter und Partner zu begeistern und die MPA Stuttgart zu einem Zentrum auf dem Gebiet der Prüfung großer Strukturen zu machen, das weltweit hohes Ansehen genießt. In den letzten Jahren förderte er die mikromechanische Untersuchung und Modellierung von metallischen und metallkeramischen Werkstoffen sowie Verbundwerkstoffen mit besonderem Nachdruck.
Die wissenschaftliche Leistung Kußmauls spiegelt sich in mehr als 400 Veröffentlichungen im In- und Ausland wider. Seit 1975 hat in Stuttgart jährlich neben zahlreichen anderen internationalen Tagungen das internationale MPA-Seminar stattgefunden, zu dem führende Fachleute zusammenkommen, um über Werkstoffe, Komponenten und Anlagen vorzutragen und zu diskutieren.
Es war Kußmaul stets ein besonders großes Anliegen, die eigenen Arbeiten in die internationalen Aktivitäten einzubinden. Dies äußerte sich vor allem in der Errichtung des mit Spendenmitteln aus der Industrie finanzierten Datenverarbeitungs- und Technologietransferzentrums der MPA Stuttgart im Jahr 1984, das Gastwissenschaftlern aus aller Welt die Möglichkeit bot, ihre Forschungen für einen begrenzten Zeitraum in Stuttgart durchzuführen. So sind hier ständig etwa zehn Gastwissenschaftler, vor allem aus dem asiatischen Raum und Staaten der ehemaligen Sowjetunion, tätig. Andererseits hat Kußmaul immer wieder meist einjährige Auslandsaufenthalte seiner Mitarbeiter in den USA, Frankreich und Japan gefördert und Studenten zu Studienaufenthalten an ausländischen Universitäten ermuntert.
Neben seinen Verpflichtungen als Hochschullehrer war Kußmaul wiederholt Dekan der Fakultät Energietechnik, arbeitete für zahlreiche nationale und internationale technisch-wissenschaftliche Kommissionen und Vereinigungen.
Im Rahmen der internationalen Kooperationsvereinbarungen der Bundesrepublik Deutschland wurde Kußmaul auf seinem Fachgebiet zum Kontaktexperten für die Länder USA, Japan, Frankreich, Brasilien, VR China sowie die seinerzeitigen Länder DDR und UdSSR ernannt. Über viele Jahre hinweg war sein Rat in Gremien bedeutender in- und ausländischer Industriekonzerne gefragt. Im Zuge des zusammenwachsenden Europa hat er in enger Zusammenarbeit mit dem Institute for Advanced Materials (IAM) der Europäischen Kommission die europäischen Netzwerke mitbegründet und ist Mitglied der „Senior Advisory Group for all the European Networks on Structural Integrity Matters of the European Commission“. Seine Vorstellungen mit Blick auf die Kraftwerkstechnik und die Wasserstoffwirtschaft in der Verkehrstechnik finden im neuen Rahmenprogramm der Europäischen Kommission ihren Niederschlag.
Hohe Ehrungen wurden Kußmaul zuteil. Hervorzuheben sind das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen bei der Erforschung und Entwicklung sicherer konventioneller und nuklearer Kraftwerke sowie seine Ehrenprofessur der Nanjing University of Chemical Technology in der VR China für seine Verdienste auf dem Gebiet der Werkstofforschung und Druckbehältertechnologie. In diesem Jahr wurden ihm die Erich-Siebel-Gedenkmünze des Deutschen Verbandes für Materialforschung und -prüfung (DVM) und der Europäischen Forschungsgesellschaft für Blechverarbeitung (EFB) sowie die Guilleaume-Gedenkmünze der Technischen Vereinigung der Großkraftwerksbetreiber (VGB) zuerkannt.
Aus Anlaß der Emeritierung von Karl Kußmaul fand am 7. Oktober 1998 an der Uni Stuttgart ein wissenschaftliches Kolloquium mit Ansprachen und Fachbeiträgen aus Deutschland, Frankreich, USA und Japan statt.

Klaus Richter

KONTAKT
Staatliche Materialprüfungsanstalt (MPA) Universität Stuttgart, Pfaffenwaldring 32, 70569 Stuttgart. Tel.: 0711-685 25 80, Fax: 0711-685 2635, e-mail: mpa@mpa.uni-stuttgart.de.

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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