Prof. Dr. Rul Gunzenhäuser studierte ab 1953 Mathematik,
Physik und Philosophie in Tübingen und Stuttgart. 1959 legte er das erste und nach einer
zweijährigen Referendarzeit das zweite Staatsexamen ab. Parallel hierzu erstellte er
seine Dissertation aus dem Bereich der Anwendung statistisch-mathematischer Verfahren auf
die Text-Ästhetik und promovierte 1962 bei Max Bense zum Dr. phil.
Schon im Studium kam er mit dem noch auf Röhrentechnik basierenden Computer Zuse Z 22 in
Berührung; von 1962 bis 1966 befaßte er sich als wissenschaftlicher Assistent bei Prof.
Walter Knödel am Rechenzentrum der TH Stuttgart hauptberuflich mit Rechnern,
Programmiersprachen und (als einer der ersten) mit Programmen zum Erlernen von
Assemblersprachen. Bereits in dieser Zeit organisierte er zusammen mit Prof. Frank das
erste Symposium in Deutschland über Programmierter Unterricht und
Lehrmaschinen". Seine Studien vertiefte er durch einen einjährigen Aufenthalt als
Gastprofessor an der State University of New York.
Gunzenhäuser wurde 1966 als Professor für Angewandte Mathematik und ihre Didaktik an die
Pädagogische Hochschule Esslingen berufen. Daneben hielt er regelmäßig Vorlesungen als
Lehrbeauftragter an der TH/Universität Stuttgart. 1973 nahm er den Ruf auf eine
ordentliche Professur für Informatik an der Universität Stuttgart an.
Gunzenhäusers wissenschaftliche Arbeiten lassen sich drei großen Gebieten zuordnen:
erstens der Mensch-Computer-Kommunikation, zweitens der Nutzung von Computern für Blinde
und Sehbehinderte und drittens der Ausbildung in Informatik. Bereits in den 60er Jahren
war Prof. Gunzenhäuser als Pionier im Bereich des rechnerunterstützten Lehrens und
Lernens tätig. Diese Aktivitäten führten zur Untersuchung aller möglichen
Kommunikationsformen mit dem Computer. Es entstanden Lehr- und Lernprogramme,
Programmierumgebungen, objektorientierte Arbeitsumgebungen, intelligente tutorielle
Systeme, Benutzungsoberflächen und Hypertext- und Hypermediasysteme unter
Berücksichtigung von Text, Graphik, Sprache und Multimedia. Ziel war es, den Nutzern
Arbeitsumgebungen bereitzustellen, die sie von Rechnerdetails und Spezialwissen befreien
und ihnen die Möglichkeit geben, sich auf ihre Anwendungen zu konzentrieren. Sein
umfangreiches wissenschaftliches Werk wurde 1996 mit dem Ehrendoktor Dr.-Ing. E.h. der
Technischen Universität Dresden gewürdigt.
Schon 1977 begann eine Arbeitsgruppe mit der Erstellung von rechnerunterstützten
Hilfsmitteln für Blinde. Diese Forschungen und Entwicklungen wurden konsequent
fortgesetzt, die Ergebnisse wurden in Vorträgen und auf Messen vorgestellt und flossen in
die bundesweite Blindenförderung ein. Es entstanden Codes, Modelle, Prototypen und
Hilfesysteme, die zugleich die wissenschaftliche Basis für konkrete
Unterstützungssysteme gelegt haben. Sein unermüdlicher Einsatz auf diesem Gebiet ist von
hoher sozialer Verantwortung geprägt und wurde 1994 mit dem Bundesverdienstkreuz erster
Klasse ausgezeichnet.
Mit Fragen der Ausbildung befaßte sich Rul Gunzenhäuser bereits im Studium. Er hat die
Informatikausbildung seit 40 Jahren vorangetrieben und sowohl in Tagungen,
Lehrplankommissionen, wissenschaftlichen Gesellschaften usw. als auch durch
Lehrveranstaltungen und Weiterbildungskurse mit Nachdruck gefördert. Zusammen mit Anton
Brenner schrieb er einen Leitfaden über didaktische Materialien für Informatikkurse in
der Schule und 1986 das Buch Computer und Informatik in der Schule. Zugleich
war er als Mitherausgeber der einzigen einschlägigen deutschen Zeitschrift in diesem
Bereich, LOG IN, tätig. Prof. Gunzenhäuser prägte die inhaltliche Aufbereitung der
Informatik, ihre Darstellung und Vermittlung entscheidend.
Neben seinen Leistungen als Wissenschaftler ist Prof. Gunzenhäuser ein hervorragender
Lehrer. Die Studierenden der Universität Stuttgart gaben seinen Lehrveranstaltungen stets
beste Noten, und seine Vorträge waren und sind in der Bundesrepublik und darüber hinaus
sehr begehrt. Zugleich hat er sich für die Selbstverwaltung der Wissenschaft eingesetzt:
Er war mehrfach Dekan der Fakultät und Geschäftsführender Direktor des Instituts für
Informatik, er ist seit über 20 Jahren Mitglied (darunter vier Jahre Vorsitzender) des
Fachbereichs Ausbildung der Gesellschaft für Informatik sowie Mitglied beziehungsweise
Sprecher in diversen weiteren Ausschüssen, und er war sechs Jahre im Vorstand des
deutschen Fakultätentags Informatik, darunter vier Jahre lang dessen Sprecher. Nach der
deutschen Einheit hat er als Mitglied der Informatik-Fachkommissionen für Sachsen und
Thüringen am Neubeginn der dortigen Informatikfachbereiche intensiv mitgearbeitet.
Die Fakultät Informatik hat Prof. Gunzenhäuser sehr viel zu verdanken. Vor allem wird
ihr der Mensch" Gunzenhäuser in der Lehre, in der Forschung, in ihren Gremien
und im Alltag fehlen. Denn seine Zielorientiertheit, seine geschickte
Verhandlungsführung, seine Objektivität, seine Zuverlässigkeit und die Fähigkeit, auch
in festgefahrenen Situationen gute Auswege aufzuspüren und durchzusetzen, waren von
unschätzbarem Wert für die Stuttgarter Informatik und für die Universität.
Sein Rat wird uns auch weiterhin zur Verfügung stehen, und die Fakultät Informatik
erhofft sich noch viele Jahre gemeinsamer Forschungs-, Entwicklungs- und
Beratungstätigkeit. Die Mitglieder der Fakultät und die im Informatik-Forum Stuttgart
zusammengeschlossenen Ehemaligen wünschen ihm einen unverändert produktiven Ruhestand.
Volker Claus
KONTAKT
Institut für Informatik, Breitwiesenstr. 20-22, 70565 Stuttgart. Tel.: 0711-7816-0.
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