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Stuttgarter unikurier Nr.80/November 1998
Promotion mit 72 Jahren:
900 Seiten zur württembergischen Ehrbarkeit
 

Außergewöhnliches ereignete sich im Juli am Historischen Institut: Der Diplomingenieur Werner Gebhardt promovierte zum Dr. phil. - im Alter von 72 Jahren! Thema seiner Dissertation ist die sozialgeschichtliche Untersuchung der württembergischen Oberschicht im 17. und 18. Jahrhundert, der sogenannten „Ehrbarkeit“.

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Die „Ehrbarkeit“ bestimmte maßgeblich die württembergische Politik in Städten und Landtagen vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des alten Deutschen Reichs 1806. Oft stehen die Nachkommen solcher Familien noch heute an exponierter Stelle in der Gesellschaft. Gebhardts „Beitrag zur württembergischen Ehrbarkeit im 17. und 18. Jahrhundert mit einer genealogisch-soziologischen Untersuchung der ältesten Stuttgarter Familie Autenrieth“ geht der Entwicklung dieser Oberschicht im allgemeinen nach und stellt anschließend die konkrete Stellung und die Entwicklung einer solchen Familie innerhalb des städtischen Verbandes dar.

Neue Quellen entdeckt
Die Arbeit ist um so verdienstvoller, als Gebhardt in unzähligen Stunden der Archivarbeit nicht nur völlig neue Quellen erschließen konnte, sondern auch bisher unbekannte Parallelüberlieferungen von Beständen des im Zweiten Weltkrieg zerstörten historischen Archivs der Stadt Stuttgart aufdeckte.
Daß der fleißige Wissenschaftler erst mit fortgeschrittenen Jahren seiner Leidenschaft frönen konnte, lag an der Geschichte: Im Berlin der Luftbrücke wandte er sich einem Beruf zu, der Brot versprach, und wurde Bauingenieur. Nach erfülltem Berufsleben als Niederlassungsleiter einer Baufirma begann er vor einigen Jahren, sich mit Geschichte zu befassen.

Seit acht Jahren die erste Promotion eines Seniorstudenten
Gebhardt weit über das übliche Maß hinaus: Die Mehrheit der zahlreichen Seniorstudenten besucht als Gasthörer Veranstaltungen in den geisteswissenschaftlichen Fächern Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik. Zwar studieren einige auch regulär, doch ein Promotionsabschluß zählt zu den seltenen Ausnahmen. Werner Gebhardt ist seit acht Jahren der erste Seniorstudent am Historischen Institut, der sein Studium mit der Promotion abschließt - übrigens mit der Note „1“. 1989 erschien in Stuttgart die Arbeit von Dr. Friedrich Wilhelm über die Rolle der Stuttgarter Polizei während des Dritten Reiches. Die Arbeit hat hohes internationales Ansehen als eine der wenigen Arbeiten über die Polizei im Dritten Reich errungen.

Zielstrebige Seniorstudenten
Die Zahl der Abschlüsse ist jedoch keine Wertung der Studienleistung der Senioren - im Gegenteil. Sie gelten als disziplinert und zielstrebig, können Vorbilder und Gesprächspartner für jüngere Studentinnen und Studenten sein, denen sie auch ein enormes Maß an Lebens- und Berufserfahrung voraushaben. Prof. Franz Quarthal, Doktorvater Gebhardts und Leiter der Abteilung Landesgeschichte am Historischen Institut: „Diese Senioren sind ein sehr aufmerksames und interessiertes Publikum, die durchaus eine Bereicherung darstellen.“
Bleibt abzuwarten, wann Werner Gebhardt sein nächstes Ziel verwirklicht: die Gründung eines Stuttgarter Geschichtsvereins.

KONTAKT
Prof. Dr. Franz Quarthal, Historisches Institut, Abteilung Landesgeschichte, Keplerstr. 17, 70174 Stuttgart, Tel.: 0711/121 - 3455, Fax: 121-2757

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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