Stuttgarter
unikurier Nr.80/November 1998 |
Alles wird virtuell - oder doch nicht?
Das Uni-Bauamt verschwindet nicht im Internet |
Der Informatik-Professor Volker Claus wies in seiner Festrede nach, was er
nicht nachweisen sollte: Die Zukunft des Universitätsbauamtes im Real Life. |
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Die einen feiern vierzig Jahre handfester Aufbauarbeit, die anderen denken
daran, wie man alles wieder abbauen könnte. Den Werkern aus Stein, Beton und Stahl stehen
die feingliedrigen Meister der Tastatur und binärer Codes gegenüber, die Visionen von
der virtuellen Universität in Taten Pardon! in Daten umsetzen wollen. Nennt
man diese Visionäre schlicht Spieler, dann läßt sich verstehen, warum der
Informatik-Professor Volker Claus den würdevollen Worten der Vorredner einen humorvollen
Festvortrag folgen ließ, allerdings keinen, der nicht auch mehrere Fünkchen Wahrheit
enthielte. Denn ein Vortrag, der die Ernsthaftigkeit der Visionäre einer virtuellen
Universität nebst im Netz verschwundenen Universitätsbauamt ganz pragmatisch ad absurdum
führte, gibt der Wirklichkeit manch hilfreichen Wink.
Claus fragte zunächst nach den Teilen der Lehre, die sich in naher Zukunft via
Datenleitung und ohne persönliche Präsenz von Studenten und Professoren erledigen
ließen. 70 Prozent der Lehre, so seine über den Daumen gepeilte Rechnung, könnte man
über das Netz laufen lassen, so man, nun ja, aufwendige Multimediaausstattungen und gute
Autorensysteme besäße, über ein schnelles öffentliches Netz (140 MB/sec) verfügte
sowie preiswerte leistungsstarke Endgeräte verteilen könne. Dann, so Claus, könnten die
Hochschullehrer vor einer digitalen Kamera ihre Vorlesungen, Übungen, Seminare vom
heimatlichen Wohnzimmer abhalten, zwar in Hemd und Krawatte, doch in der Pyjamahose, denn
die Kamera würde ihr Bild lediglich ab der Brust aufwärts übertragen.
Weite Bereiche der Forschung ließen sich ebenfalls virtuell erledigen, vor allem in den
Geistes- und Sozialwissenschaften, in der Mathematik, in allen Theoriebereichen und
selbstredend in der Informatik. Schwierig würde es vor allem bei Sport, Bildender Kunst
und dem Musikhandwerk, fügte er hinzu. Rechne man noch die räumlichen Einsparungen im
Verwaltungsbereich ein, dann könnten dennoch rein hypothetisch, so Claus,
mindestens 50 Prozent der universitären Aufgaben ohne Nutzung der vorhandenen
Ressourcen erfolgen. Vorlesungs- und Seminarräume, ganze Kollegien- und
Verwaltungsgebäude würden überflüssig, das Universitätsbauamt wäre vieler seiner
Aufgaben beraubt.
Von den verbleibenden Arbeitsbereichen könnte zudem noch eine ganze Menge in das Netz
oder in Computersysteme verlagert werden. Eine virtuelle Universität, so das Ende der
Rechnung, komme schließlich mit maximal vier Angestellten des Universtitätsbauamtes aus,
deren Aufgaben sich ohne weiteres auf Studienprojekte im Netz, wohlgemerkt
übertragen ließe, so daß die Vision Claus die Auflösung des
Universitätsbauamtes bis zum Jahr 2022 prophezeite.
Wenn da nicht die Kostenfrage wäre, die ja gerade für die Universitäten eine so große
Rolle spielt. Aus dem hohen Aufwand für eine Vorlesungs- oder Seminarveranstaltung (etwa
150 Vorbereitungsstunden pro Lehrstunde via Netz), der sündhaft teuren Entwicklung
funktionierender Autorensysteme und den Kosten, die etwa 20.000 im Netz diskutierende
Personen verursachten, ergebe sich ein Aufwand von 2.260.000.000 DM. Zum Vergleich: Das
Universitätsbauamt hat in den vergangenen 40 Jahren lediglich zwei Milliarden DM verbaut.
Das würde niemand bezahlen, resümierte Claus, ein Universitätsbauamt, das mit
Verwaltung, Modernisierung, wenigen Neubauten und sonstigen Kleinigkeiten beschäftigt
sei, würde weit weniger Gelder fressen. Nachdem er eine halbe Stunde lang die Arbeit
seiner Informatik-Kollegen und der Virtuellen Visionäre kolportiert hatte, kam er zu dem
Schluß: Das Universitätsbauamt muß bleiben. Und er gratulierte so nicht nur dessen
Leiter Klaus Schmiedek zum Jubiläum des Amtes, sondern gleichfalls zu einer
verheißungsvollen Zukunft aus Fleisch und Blut zwischen Beton und Stahl.
hjg
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