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Stuttgarter unikurier Nr. 82/83 September 1999
Das Reiterdenkmal als Ausdruck von Demokratisierung:
Keine Macht ohne das Pferd!
 

Das Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie setzte mit der Einladung des Bielefelder Historikers Reinhart Koselleck die Vortragsreihe zu den Positionen zeitgenössischer Kulturtheorie fort. In seinem Vortrag zum Reiterdenkmal als Symbol des politischen Totenkults konnte Koselleck seine Methode der historischen Semantik anschaulich zur Geltung bringen: Nicht nur Begriffe weisen historische Perspektiven auf, sondern auch Bilder und Statuen zeugen in ihrem Bedeutungswandel von der Transformation der Gesellschaft.

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Kein Herrscher, kein Reich und keine Republik hat es sich nehmen lassen, seine Macht mit Hilfe des Reiterdenkmals darzustellen. Der Wandel von der dynastischen zur demokratischen Gesellschaft erfolgte somit auch auf dem Rücken der Pferde. Das “Pferdezeitalter“ beginnt mit dem dynastischen Totenkult. Das Denkmal verewigt den Monarchen in herrschaftlicher Haltung, sein Antlitz wird mit imperialen Gesten angereichert, deren Ikonographie bis in die Antike zurückreicht. Die segnende Hand des Marc Aurel erweist sich als flexibel einsetzbares Zitat ebenso wie der Heilige Georg, der auf einem sich aufbäumenden Pferd mit Lanze und Schwert den Drachen als Inbegriff alles Bösen besiegt.
In dieser ersten Phase der “Hippotaktik“ steht das Pferd für das Volk, das sich durch seinen Monarchen lenken läßt. Dieses Verhältnis wird sich mit dem Schritt in das soldatische Pferdezeitalter umkehren: Die Nation wird nun selbst zum Reiter. Der einfache Soldat erklimmt den Pferderücken, während er vorher, wenn überhaupt, nur zu Fuß auf dem Sockel der Denkmäler zu sehen war. Um 1900 räumt der Monarch seinen Platz, und vorzugsweise nackte Jünglinge besteigen das Roß. So realitätsfern diese klassizistischen Athleten auch ausfallen mögen, sie stellen gerade in ihrer Nacktheit einen ersten Schritt zur Demokratisierung dar ­ ohne Uniform läßt sich schließlich auch der Dienstgrad nicht mehr ablesen.

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Auch in Stuttgart sind zahlreiche Reiterdarstellungen zu entdecken. Hier ein Ausschnitt
aus der Siegessäule auf dem Schloßplatz.    (Foto: R. Koselleck)

Die Anonymität dieser Figur wird sich im folgenden auch für die Darstellung des unbekannten Soldaten eignen. Seine demokratisierende Funktion entdecken erstmals die Briten nach dem Burenkrieg. Sie errichteten die ersten Mahnmale, die den unbekannten Soldaten in direkter Umgebung der Grabstätten der Monarchen ehren. Ein äußerst geschickter Schachzug, der sicher auch half, das Überleben der englischen Krone zu sichern. Das Modell machte in ganz Europa Schule: Allerorts wurde der anonyme Held zu Füßen oder gar auf gleicher Ebenen wie der Staatslenker geehrt.
Nach der Demokratisierung des Reiters steht mit dem ersten Weltkrieg noch die Ästhetisierung des Pferdes aus. Mit dem Einzug der modernen Technik in das Kriegsgeschehen hätte das Roß durch den Panzer oder das Flugzeug ersetzt werden müssen. Aber das Ende der Kavallerie wird das Pferd dennoch überstehen. Es wird nun selbst denkmalfähig. Im anbrechenden Zeitalter der Massenvernichtung steht es für die Wehrlosigkeit nicht nur des Soldaten, sondern des gesamten Volkes gegenüber den neuen Waffen. Von nun an sieht man nicht nur sterbende Krieger, sondern auch verendende Pferde, deren Tod der Soldat betrauert. Mensch und Tier sind als wehrlose Märtyrer der Übermacht der Technik ausgeliefert.
Den Zweiten Weltkrieg wird das Reiterdenkmal allerdings nicht überleben. Das Medienzeitalter setzt auf Berichterstattung in Echtzeit und leitet das Ende der Erinnerung ein. Denkmäler sind in unserer Gesellschaft nicht mehr postkartenfähig und verschwinden zunehmend aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit. Nur in Deutschland kämpft man noch mit der Frage, wie man mit Stein, Metall oder Architektur der Erinnerung noch Ausdruck verleihen könnte ­ die Krise dieser Gedächtniskultur ist jedoch nicht zu übersehen. Insbesondere der Berliner Denkmalstreit dürfte darauf hinweisen, daß Erinnerung in unseren Tagen nicht mehr mythisch zu vermitteln ist.

KONTAKT
Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie, Keplerstraße 11, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-2589, Fax: 0711/121-2813

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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