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Stuttgarter unikurier Nr. 82/83 September 1999
Deutsch-französische Beziehungen vertiefen:
Zehnter Gastprofessor aus Frankreich an der Universität
 

Unter dem Motto “Aktuelle Beobachtungen zu den deutsch-französischen Beziehungen“ hatten die DVA-Stiftung und die Universität Stuttgart am 11. Mai im Internationalen Begegnungszentrum zu einem Pressegespräch geladen. Der Grund: Professor Henri Ménudier, französischer Wissenschaftler und Deutschlandexperte von der Université Sorbonne Nouvelle in Paris, lehrte im Sommersemester 1999 an der Universität Stuttgart.

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Henri Ménudier kam auf Einladung von Prof. Oscar W. Gabriel, Institut für Sozialwissenschaften, nach Stuttgart. Er ist der zehnte Gastwissenschaftler aus Frankreich, dessen Lehrtätigkeit der Kooperationsvertrag zwischen der Universität Stuttgart und der DVA-Stiftung ermöglicht. “Ein Semester ist fast zu kurz“, befand Ménudier. “Gerade richtig eingelebt und eingearbeitet muß man schon wieder seine Koffer packen.“ Der Schüler von Alfred Grosser und Joseph Rovan sieht seine Aufgabe darin, die Verständigung und den wissenschaftlichen Dialog zwischen Deutschen und Franzosen fortzusetzen. Er hat zahlreiche Bücher über die deutsche Politik nach 1945 verfaßt und über die deutsch-französischen Beziehungen veröffentlicht. Die Stuttgarter Studierenden ermunterte er unter anderem, über das “politische Leben in Frankreich und Deutschland ­ am Beispiel der Europawahlen 1999“ nachzudenken und sich mit “Francois Mitterand und der Deutschen Einheit“ zu beschäftigen. Denn, wie sagte Prof. Franz Effenberger, Vorstand des Auswahlausschusses, bei seiner Begrüßung: “Die zentrale Frage, ob Europa gedeiht, liegt daran, ob Frankreich und Deutschland es miteinander können.“
Auch die DVA-Stiftung sieht ihre Aufgabe in der Vertiefung der deutsch-französischen Beziehungen. Damit trägt sie dem Anliegen von Robert Bosch Rechnung, der sich seit dem ersten Weltkrieg um die Aussöhnung und Freundschaft mit Frankreich bemühte. Die Gastprofessur für französische Wissenschaftler an den Instituten für Geschichte, Romanistik und Städtebau gibt es bereits seit 1989. Jährlich, je ein Semester lang, lehrt und forscht seither ein Franzose an der Uni. Im Herbst 1998 wurde das Programm um die Fächer Politikwissenschaften und Philosophie erweitert (siehe dazu Uni-Kurier Nr. 81/April 1999, S. 10f
).

Ménudier: Beziehungen ambivalent
Professor Ménudier hält die deutsch-französischen Beziehungen für ambivalent: “Vieles wird gemeinsam gemacht, es gibt aber auch viele Schwierigkeiten.“ Diese sieht er unter anderem auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet. So habe die Agenda 2000 “böse Spuren“ hinterlassen, da die Deutschen wohl nicht um die Bedeutung der französischen Landwirtschaft wußten, und das Fusionsangebot der Deutschen an die italienische Telekom verrate “keinen Anstand“, da die französische Telefongesellschaft trotz guter Kooperation nicht davon benachrichtigt wurde. Im kulturellen Bereich sei die Zusammenarbeit gut, und zudem wolle er auch nicht die französische Politik in Schutz nehmen, denn “auch sie ist nicht immer richtig“.
In seiner Eigenschaft als Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit (siehe Anm. 1) nahm auch der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel an dem Pressegespräch teil. Wie in einer langen Ehe dürften auch in den Beziehungen beider Länder nicht alle Versäumnisse aufgerechnet werden, bemerkte er. Einig waren sich Rommel und Ménudier, daß Interessenkollisionen und Mißverständnisse an und für sich normal seien. Wichtig sei die Zusammenarbeit.

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Das Interesse der Medien an der Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen war rege, wie unser Foto vom Pressegespräch im Internationalen Begegnungszentrum dokumentiert. Im Hintergrund in der Mitte Manfred Rommel und links Prof. Dr. Helmut Engler, der Kuratoriumsvorsitzende der DVA-Stiftung.     (Foto: Eppler)

Zu wenig Wissen über die Europäische Union
Henri Ménudier, der sich auch außerhalb der Universität stark engagiert, sprach am 21. Juni in einem gut besuchten öffentlichen Vortrag über “Deutschland und Frankreich nach den Europawahlen“. “Die Menschen beklagen immer einen Mangel an Demokratie und dann gehen sie nicht wählen“, wunderte sich der Politologe angesichts der geringen Wahlbeteiligung. Als einen möglichen Grund für den schleppenden Urnengang in Deutschland nannte er den fehlenden Wahlkampf. Zwar habe man hier schon eigentliche Europapolitik gemacht ­ Agenda 2000, der Krieg im Kosovo ­, dennoch hätte Kanzler Schröder mehr Wahlengagement zeigen können. Fehlendes Interesse der Bevölkerung an Außenpolitik, zu geringes Wissen um die EU und die Anonymität der Europa-Abgeordneten sprach Ménudier als gesamteuropäische Probleme an.
Das gute Abschneiden der CDU/CSU gegenüber der SPD sah der Deutschlandkenner als Protestwahl, den Einzug der Grünen ins Europaparlament nur aufgrund des Dioxinskandals in Belgien und dem Kriegsende im Kosovo. “Was bedeuten Wahlen, wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht zur Wahl geht?“, gab Henri Ménudier die Frage an seine Zuhörer weiter. Besonders bedauerlich sei dieses Desinteresse angesichts der Tatsache, daß das Europaparlament durch den Maastrichter Vertrag gerade mehr Kompetenzen erhalten habe, schloß Ménudier seine Überlegungen.
Über alle frankreichbezogenen Veranstaltungen informiert die neu an der Universität eingerichtete Koordinierungsstelle Frankreich, angesiedelt im Akademischen Auslandsamt. Die semesterweise erscheinende Broschüre “Deutsch- Französische Wechselwirkungen“ kann dort bezogen werden:
Tel. 0711/121-4103 (Mo ­ Do: 9.00 ­ 13.00), Fax 0711/121-4104; e-mail: nathalie.parent@po.uni-stuttgart.de

J. Alber

Anmerkungen:

1) Inzwischen hat Manfred Rommel diese Funktion abgegeben. Ihm folgt der Historiker Rudolf von Thadden.

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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