Der gute Geist der Werkstatt ist Martin Hechinger, Leiter dieses
Handwerkseldorados seit inzwischen neunzehn Jahren. Er führt die jungen
Menschen mit den großen Entwürfen im Kopf, die sich der Architektur verschreiben wollen,
in die Handhabung unterschiedlicher Materialien und Maschinen ein. Die Werkstattseminare
sollen dazu beitragen, daß die Absolventen später Modelle ihrer Entwürfe als gute
Argumente beim Wettbewerb um Bauaufträge einsetzen können.
Der Effekt sei jedoch auch ein anderer, berichtet Professor Wolfgang Knoll, Lehrstuhl 1 am
Institut für Darstellen und Gestalten, dem die Werkstätten zugeordnet sind. In den
Seminaren werde den Studierenden recht schnell klar, daß diese Arbeit auf den Entwurf
zurückwirke. Die konkrete Auseinandersetzung mit Form und Material beeinflußt den
kreativen Prozeß und damit die Gestaltung, erzählt er.
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Der Modellbau steht dabei nicht allein. Zu den Werkstätten
des Instituts gehören auch die Architekturfotografie, eine Grafikabteilung, in der
Bildgestaltung und Bildbearbeitung gelehrt werden, und selbstverständlich die High
Tech CAD. Unabdingbar sei es für Studierende der Architektur, sich auch das neue
computertechnologische Rüstzeug anzueignen, betont Knoll. Präsentationsmappen, Plakate
und Entwürfe ließen sich mit den Programmen gestalten. Die neuen Technologien würden
die Modellbauwerkstatt jedoch keineswegs überflüssig machen, prophezeit Knoll. Diese
würden vielmehr eingesetzt, um beispielsweise Ideen zu generieren oder Formen
herzustellen, die von Hand nicht machbar wären. Die Auseinandersetzung mit dem Material
könnten sie ohnehin nicht ersetzen, ebensowenig eine mit den Modellen vergleichbare
Raumvorstellung erzeugen.
Einblick in die Werkstattatmosphäre.(Fotos: Hechinger) |
Modellwerkstatt bestückt Ausstellungen
Die Verdrängung der Handarbeit durch den Computer wäre auch schade. Blickt man
sich in der Werkstatt und im ersten Stock in der Keplerstraße 11 um, sieht man viele
kleine Kunstwerke. Ein filigraner Zeppelin, Gartenlandschaften aus Silikon, das Modell des
niemals realisierten Entwurfs vom Palast der Sowjets aus den Zeiten der
Revolutionäre: Feine Werke aus Holz oder Drahtgeflecht stehen auf aus Gips modellierten
Landschaften. Löten, sägen, hobeln und schleifen mußten die Lehrlinge, um
filigrane, geschwungene Gebäude auf sperrige Platten zu zaubern. Mal sind diese
naturalistisch, mal eher abstrakt. Fast all die kunstvollen Arbeiten unter Hechingers
Anleitung kommen denn auch zu höheren Ehren. Die in themengebundenen Seminaren
entstandenen Modelle wandern zumeist hinaus in die weite Welt, münden zumindest in eine
große Ausstellung, erzählt Hechinger. So war beispielsweise die Rekonstruktion der
Stuttgarter Weißenhofsiedlung unter anderem in Djakarta, Tokio, Schanghai und New York zu
sehen. Die Modelle oberitalienischer Theater im 17. Jahrhundert, Ergebnis eines Seminars
mit dem Titel Wie das Theater sein Haus fand, wurden in diesem Jahr in Berlin
im Theater unter den Linden und werden im Jahr 2000 in Brüssel gezeigt. Und Miniaturen
der Entwürfe des Architekten Erich Mendelsohn werden nach einer Ausstellung in der
Tübinger Kunsthalle im kommenden Jahr (die Eröffnung ist am 28. Januar) mit
Unterstützung des Goethe-Instituts die ganze Welt bereisen. Auch bei der internationalen
Ausstellung Konstantin Melnikov and the Construction of Moscow innerhalb der
Triennale in Mailand vom 4. Juni bis zum 26. September 1999 waren Stuttgarter Modelle zu
sehen (Näheres finden Sie dazu unter
Nachrichten & Berichte).
An das in den Jahren 1926 bis 1928 erbaute Kaufhaus Schocken
von Erich Mendelsohn in der Eberhardstraße werden sich manche Bewohner Stuttgarts
sicherlich noch erinnern. Gegen den ausdrücklichen Protest der Fachschaft Architektur
wurde das Gebäude hier im Maßstab 1:100 im Jahr 1960 abgerissen.
(Foto: Heyer/Miklautsch) |
In der Werkstatt entstehen übrigens nicht nur Modelle von
Theatergebäuden, sondern auch von Bühnenbildern. Verständlich, daß mancher Architekt
später das Metier wechselt und im Theater als Bühnenbildner sein Auskommen sucht.
Modelle können die Architektinnen und Architekten später auch zu Hause bauen. Knoll und
Hechinger bringen ihnen bei, wie man in der heimischen Küche ohne die Logistik der
Werkstätten eine gute Visitenkarte zusammenstellt. Einige Rasierspiegel plus
Lampe ersetzen beispielsweise die teure Beleuchtungsanlage eines Fotostudios. Das mit
Heimwerkergeräten fein gearbeitete Modell kann danach auf einem Präsentationsfoto im
besten Licht erscheinen und sich neben den professionellen Aufnahmen der reichen,
übermächtigen Architekturbüros durchaus sehen lassen.
Nicht realisiert wurde das Mosps-Theater von Konstantin
Melnikov, das hier im Maßstab 1:1000 zu sehen ist. (Foto:
Heyer/Miklautsch) |
Modelle auch ohne Logistik
Knolls und Hechingers Arbeit macht Schule. Den Werkstattleiter leiht
sich schon mal das Oberschulamt für die Fortbildung der Kunsterzieher aus, die an
den Gymnasien den Leistungskurs Architektur betreuen. Und die Ecole Polytechnique en
Architecture im nordafrikanischen Algier hatte Hechinger gar dazu bestellt, die dortige
Werkstatt einzurichten. Institutschef Knoll und sein Werkstattleiter haben zudem ein Buch
über den Bau von Architekturmodellen geschrieben, in dem sie ihre Methoden über den Bau
anspruchsvoller Modelle auch ohne große Logistik vorstellen. Das reich bebilderte Buch,
unter dem Titel Architekturmodelle Anregungen zu ihrem Bau im Julius
Hoffmann Verlag in Stuttgart erschienen, besticht durch kreative Beispiele und ist auf dem
besten Weg, ein Standardwerk zu werden. Neben einer spanischen und englischen wird es
demnächst auch in koreanischer Übersetzung herauskommen; in Vorbereitung ist eine
erweiterte deutsche Ausgabe, die auch den CAD-Bereich behandelt.
Kreativität und schöpferische Vielfalt waren auch beim jüngsten Seminar im
Sommersemester 1999 gefragt: Salz der Erde lautete mit Bezug zum Kirchentag im
Juni die Aufgabe. Zum Kirchentag leistete auch der Lehrkörper des Instituts seinen
Beitrag: Die Rauminstallation zum Abendmahl ist zur Zeit noch im ersten Stock des
Gebäudes Keplerstraße 7 zu sehen. hjg/uk
KONTAKT
Institut für Darstellen und Gestalten, Lehrstuhl 1, Keplerstr. 11, 70174
Stuttgart, Prof. Wolfgang Knoll, Tel. 0711/121-3220, Fax 0711/121-3740; e-mail: knoll@idg.uni-stuttgart.de
Modellbauwerkstatt, Leiter: Martin Hechinger, Tel. 0711/121-3222, e-mail:
hechinger@idg.uni-stuttgart.de
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