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Stuttgarter unikurier Nr. 82/83 September 1999
In der Modellbauwerkstatt der Architekten:
Hand an die Vision legen
 

Für empfindliche Ohren ist dies nicht der richtige Ort, für allzu feine Hände auch nicht. In der Modellbauwerkstatt der Architekten dröhnen die Maschinen, wenn Studierende mit einem Stück Holz an der Kreissäge arbeiten oder einem transparenten Kunststoffwürfel am Bandschleifer zu feiner Oberfläche verhelfen. Doch die Ohren sind geschützt und fachkundige Anleitung ist vorhanden. Viele Studierende haben mit der Arbeit an solchen Maschinen ja bislang keinerlei Erfahrung.

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Der gute Geist der Werkstatt ist Martin Hechinger, Leiter dieses “Handwerkseldorados“ seit inzwischen neunzehn Jahren. Er führt die jungen Menschen mit den großen Entwürfen im Kopf, die sich der Architektur verschreiben wollen, in die Handhabung unterschiedlicher Materialien und Maschinen ein. Die Werkstattseminare sollen dazu beitragen, daß die Absolventen später Modelle ihrer Entwürfe als “gute Argumente“ beim Wettbewerb um Bauaufträge einsetzen können.
Der Effekt sei jedoch auch ein anderer, berichtet Professor Wolfgang Knoll, Lehrstuhl 1 am Institut für Darstellen und Gestalten, dem die Werkstätten zugeordnet sind. In den Seminaren werde den Studierenden recht schnell klar, daß diese Arbeit auf den Entwurf zurückwirke. “Die konkrete Auseinandersetzung mit Form und Material beeinflußt den kreativen Prozeß und damit die Gestaltung“, erzählt er.

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Der Modellbau steht dabei nicht allein. Zu den Werkstätten des Instituts gehören auch die Architekturfotografie, eine Grafikabteilung, in der Bildgestaltung und Bildbearbeitung gelehrt werden, und selbstverständlich die “High Tech“ CAD. Unabdingbar sei es für Studierende der Architektur, sich auch das neue computertechnologische Rüstzeug anzueignen, betont Knoll. Präsentationsmappen, Plakate und Entwürfe ließen sich mit den Programmen gestalten. Die neuen Technologien würden die Modellbauwerkstatt jedoch keineswegs überflüssig machen, prophezeit Knoll. Diese würden vielmehr eingesetzt, um beispielsweise Ideen zu generieren oder Formen herzustellen, die von Hand nicht machbar wären. Die Auseinandersetzung mit dem Material könnten sie ohnehin nicht ersetzen, ebensowenig eine mit den Modellen vergleichbare Raumvorstellung erzeugen.

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Einblick in die Werkstattatmosphäre.(Fotos: Hechinger)

Modellwerkstatt bestückt Ausstellungen
Die Verdrängung der Handarbeit durch den Computer wäre auch schade. Blickt man sich in der Werkstatt und im ersten Stock in der Keplerstraße 11 um, sieht man viele kleine Kunstwerke. Ein filigraner Zeppelin, Gartenlandschaften aus Silikon, das Modell des niemals realisierten Entwurfs vom “Palast der Sowjets“ aus den Zeiten der Revolutionäre: Feine Werke aus Holz oder Drahtgeflecht stehen auf aus Gips modellierten Landschaften. Löten, sägen, hobeln und schleifen mußten die “Lehrlinge“, um filigrane, geschwungene Gebäude auf sperrige Platten zu zaubern. Mal sind diese naturalistisch, mal eher abstrakt. Fast all die kunstvollen Arbeiten unter Hechingers Anleitung kommen denn auch zu höheren Ehren. Die in themengebundenen Seminaren entstandenen Modelle wandern zumeist hinaus in die weite Welt, münden zumindest in eine große Ausstellung, erzählt Hechinger. So war beispielsweise die Rekonstruktion der Stuttgarter Weißenhofsiedlung unter anderem in Djakarta, Tokio, Schanghai und New York zu sehen. Die Modelle oberitalienischer Theater im 17. Jahrhundert, Ergebnis eines Seminars mit dem Titel “Wie das Theater sein Haus fand“, wurden in diesem Jahr in Berlin im Theater unter den Linden und werden im Jahr 2000 in Brüssel gezeigt. Und Miniaturen der Entwürfe des Architekten Erich Mendelsohn werden nach einer Ausstellung in der Tübinger Kunsthalle im kommenden Jahr (die Eröffnung ist am 28. Januar) mit Unterstützung des Goethe-Instituts die ganze Welt bereisen. Auch bei der internationalen Ausstellung “Konstantin Melnikov and the Construction of Moscow“ innerhalb der Triennale in Mailand vom 4. Juni bis zum 26. September 1999 waren Stuttgarter Modelle zu sehen (Näheres finden Sie dazu unter “Nachrichten & Berichte“).

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An das in den Jahren 1926 bis 1928 erbaute Kaufhaus Schocken von Erich Mendelsohn in der Eberhardstraße werden sich manche Bewohner Stuttgarts sicherlich noch erinnern. Gegen den ausdrücklichen Protest der Fachschaft Architektur wurde das Gebäude ­ hier im Maßstab 1:100 ­ im Jahr 1960 abgerissen.    (Foto: Heyer/Miklautsch)

In der Werkstatt entstehen übrigens nicht nur Modelle von Theatergebäuden, sondern auch von Bühnenbildern. Verständlich, daß mancher Architekt später das Metier wechselt und im Theater als Bühnenbildner sein Auskommen sucht.
Modelle können die Architektinnen und Architekten später auch zu Hause bauen. Knoll und Hechinger bringen ihnen bei, wie man in der heimischen Küche ohne die Logistik der Werkstätten eine “gute Visitenkarte“ zusammenstellt. Einige Rasierspiegel plus Lampe ersetzen beispielsweise die teure Beleuchtungsanlage eines Fotostudios. Das mit Heimwerkergeräten fein gearbeitete Modell kann danach auf einem Präsentationsfoto im besten Licht erscheinen ­ und sich neben den professionellen Aufnahmen der reichen, übermächtigen Architekturbüros durchaus sehen lassen.

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Nicht realisiert wurde das Mosps-Theater von Konstantin Melnikov, das hier im Maßstab 1:1000 zu sehen ist.    (Foto: Heyer/Miklautsch)

Modelle auch ohne Logistik
Knolls und Hechingers Arbeit macht Schule. Den Werkstattleiter “leiht sich“ schon mal das Oberschulamt für die Fortbildung der Kunsterzieher aus, die an den Gymnasien den Leistungskurs Architektur betreuen. Und die Ecole Polytechnique en Architecture im nordafrikanischen Algier hatte Hechinger gar dazu bestellt, die dortige Werkstatt einzurichten. Institutschef Knoll und sein Werkstattleiter haben zudem ein Buch über den Bau von Architekturmodellen geschrieben, in dem sie ihre Methoden über den Bau anspruchsvoller Modelle auch ohne große Logistik vorstellen. Das reich bebilderte Buch, unter dem Titel “Architekturmodelle ­ Anregungen zu ihrem Bau“ im Julius Hoffmann Verlag in Stuttgart erschienen, besticht durch kreative Beispiele und ist auf dem besten Weg, ein Standardwerk zu werden. Neben einer spanischen und englischen wird es demnächst auch in koreanischer Übersetzung herauskommen; in Vorbereitung ist eine erweiterte deutsche Ausgabe, die auch den CAD-Bereich behandelt.
Kreativität und schöpferische Vielfalt waren auch beim jüngsten Seminar im Sommersemester 1999 gefragt: “Salz der Erde“ lautete mit Bezug zum Kirchentag im Juni die Aufgabe. Zum Kirchentag leistete auch der Lehrkörper des Instituts seinen Beitrag: Die Rauminstallation zum Abendmahl ist zur Zeit noch im ersten Stock des Gebäudes Keplerstraße 7 zu sehen.    hjg/uk

KONTAKT
Institut für Darstellen und Gestalten, Lehrstuhl 1, Keplerstr. 11, 70174 Stuttgart, Prof. Wolfgang Knoll, Tel. 0711/121-3220, Fax 0711/121-3740; e-mail: knoll@idg.uni-stuttgart.de
Modellbauwerkstatt, Leiter: Martin Hechinger, Tel. 0711/121-3222, e-mail:
hechinger@idg.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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