Doch gerade im städtischen Umfeld erscheinen die Folgen, die aus den neuen
Möglichkeiten der Information und Kommunikation und damit auch der gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Organisation resultieren, angesichts der Durchdringung aller
Lebensbereiche kaum überschaubar. Zwar existieren einzelne herausragende Beispiele, wie
auch kleinere Gemeinden im ländlichen Raum neue Technologien als Kernbestandteil
kommunaler Entwicklungsplanung nutzen können. Dem stehen aber Studien zu aktuellen
Entwicklungen gegenüber mit zahlreichen Hinweisen darauf, daß die Ballungsräume früher
und stärker als die peripheren Räume in den Sog der elektronischen Vernetzung geraten
sind und sich damit die traditionellen siedlungsstrukturellen Disparitäten eher
verschärfen werden. Städtische Lebens- und Arbeitsformen öffnen sich neuen Technologien
offenbar besonders leicht.
Verliert die Stadt ihre heutige Funktion?
In der Konsequenz steht möglicherweise die räumlich differenzierte und
gegliederte Funktion der Stadt als ökonomisches, gesellschaftliches und kulturelles
Zentrum auf dem Spiel: Indem der schnelle Datenaustausch den räumlichen Zusammenhang der
ökonomischen Beziehungen innerhalb und zwischen Unternehmen zunehmend bedeutungsloser
macht, lassen sich komplexe Strukturen unabhängig vom Standort der einzelnen Firmenteile,
Partner und Lieferanten organisieren. Gleichzeitig ermöglicht die Vernetzung über den
Computer die Aufhebung der räumlichen Bindungen, nicht nur bei Bürotätigkeiten, sondern
auch bei Kontroll- und Steuerungsaufgaben im produzierenden Bereich. Waren,
Dienstleistungen, Informationen und Unterhaltung können ohne realen Raum, personelle
Präsenz und persönlichdirekte Kommunikation von Institutionen und Individuen angeboten
und nachgefragt werden. Die Stadt wird ersetzt durch den virtuellen Marktplatz.
Läuft die Stadt Gefahr, ihre zentrale Funktion als Ort eines verdichteten und
gemeinschaftlichen Zusammenlebens zu verlieren? So scheint sich in verstärktem Maße die
traditionelle Verankerung des Individuums in Gruppen und Organisationen zu lockern, da die
Virtualität der Kommunikation sowie des Austauschs von Waren und Dienstleistungen den
persönlichen Kontakt überflüssig macht. Diese Tendenz steht in Wechselwirkung mit der
Auflösung traditioneller Familienstrukturen. Gerade in den großen Städten lebt heute
der größte Teil der Kernstadtbewohner in Single-Haushalten.
Aus dem funktionalen Bedeutungsverlust der Stadt sind zunächst durchaus entlastende
Wirkungen für das Verkehrsaufkommen in der Stadt selbst zu erwarten. Nicht ausgeschlossen
ist jedoch eine gleichzeitige Ausdehnung des Verkehrs in die Fläche.
Untersuchungen, die heute schon räumliche und verkehrliche Wirkungen durch den Einsatz
neuer Medien und Vernetzungsmöglichkeiten empirisch nachweisen können, sind kaum
vorhanden. Dort, wo Erkenntnisse vorliegen, können oft nur Makrostrukturen dargestellt
und erklärt werden. So wissen wir beispielsweise, daß der Anteil der Telearbeit durchaus
wächst, das Potential aber noch nicht annähernd ausgeschöpft ist. Überhaupt hält die
Nutzung neuer Telekommunikationsmöglichkeiten zur Effizienzsteigerung von
Geschäftsvorgängen, zum Ausbau von Kooperationsmöglichkeiten und zur Erweiterung des
räumlichen Aktionsradius erst ganz allmählich Einzug in die Unternehmen. Ähnliches gilt
für die Verlagerung des Handels auf elektronische Netze, wo nur in einzelnen Segmenten
heute bereits nennenswerte Umsätze gemacht werden. Andererseits zeigen sich doch schon
erste Veränderungen individueller Mobilitätsmuster mit der Tendenz, daß mit der
virtuellen auch die reale Mobilität eher zu- statt abnimmt. Die Erweiterung der
Angebotsseite und der schnelle Zugang zu den Angeboten zum Beispiel im (Kurz-)
Reiseverkehr ermöglichen einzelnen Bevölkerungsgruppen eine weitere Ausdehnung ihres
Aktionsraumes sowie eine zeitliche Verdichtung ihrer Aktivitäten.
Dennoch überwiegt der spekulative Charakter der Forschung über die Auswirkungen der
Medien noch immer. Dies hat eine Reihe von Gründen. Der wichtigste ist ohne Frage, daß
sich die neuen Technologien immer noch mitten im Prozeß der Verallgemeinerung befinden,
wenn auch je nach Einsatzfeld in einem mehr oder weniger fortgeschrittenen Stadium.
Manchmal wird noch mit dem Einsatz der Medien experimentiert und ihr Potential im Versuch
ausgelotet der Pilotcharakter dominiert , an anderer Stelle haben sich bereits
Routinen und Standards etabliert. Unabhängig davon jedoch erweist sich die empirische
Erfassung des Einsatzes neuer Medien und ihrer Auswirkungen als außergewöhnlich komplex
und schwierig, nicht zuletzt aufgrund der Geschwindigkeit, mit der sich die Entwicklung
vollzieht.
Moderierende Forschungsbegleitung
Um so dringlicher erscheint es, die Entwicklungen durch eine Art der Forschung zu
begleiten, bei der die wissenschaftliche Analyse mehr denn je Entscheidungshilfen für die
Akteure auf politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Ebene sein kann. Dabei
sollte sich die Wissenschaft auch verstärkt der Aufgabe zuwenden, sich als unabhängige
und gleichzeitig angesehene gesellschaftliche Institution an der Moderation der
Technikentwicklung im Spannungsfeld der verschiedenen Akteursinteressen zu beteiligen und
dabei ihre Möglichkeiten zu interdisziplinärem Vorgehen ausschöpfen.
Ein erster Schritt in diese Richtung war die fach- und fakultätsübergreifende
Ringvorlesung, die im Wintersemester 1998/99 vom Städtebau-Institut, vom Institut für
Geographie und vom Institut für Straßen- und Verkehrswesen der Universität Stuttgart
veranstaltet wurde. Aus der Perspektive verschiedener Disziplinen wurde der Frage
nachgegangen, wie die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien die räumliche
und vor allem die städtische Entwicklung beeinflussen werden. Diese Standortbestimmungen
aus sozialwissenschaftlicher, ökonomischer sowie raum- und verkehrswissenschaftlicher
Sicht können inzwischen auf einen breiteren Fundus von Erfahrungen, Forschungen und
tatsächlicher Praxis zurückgreifen, als dies noch vor Jahren der Fall war. Darüber
hinaus war es möglich, einzelne Ausschnitte der Anwendungsbereiche neuer Medien
detailliert zu beleuchten sowie die Befunde aktueller empirischer Untersuchungen und
praktischer Erfahrungen zu Bereichen wie Telearbeit, electronic commerce und virtueller
Stadtverwaltung vorzustellen. Eine Publikation der Vorträge ist in Vorbereitung und wird
unter dem Titel Neue Medien und ihre Folgen für Stadt, Raum und Verkehr noch
in diesem Jahr in der Birkhäuser-Reihe Stadtforschung erscheinen. Die breite
Resonanz dieser Vorlesung, die weit über den universitätsinternen Interessentenkreis von
Studierenden und Dozenten hinausreichte, hat gezeigt, daß der Informations- und
Diskussionsbedarf zu diesem Themenfeld beträchtlich ist.
Johann Jessen, Barbara Lenz, Walter Vogt
|