Dem Nachwuchs im Fach Physik war die Veranstaltung gewidmet. Diplomanden und
Ehemalige lauschten gespannt, als der Schöpfer des Artur-Fischer-Preises selber, Prof.
Dr. Artur Fischer, die Laudatio für die beiden diesjährigen Preisträger, Jörg
Rollbühler und Stefan Rupp, hielt. Wissen ist unser größter Wirtschaftsmotor. Die
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sollte deshalb höchste Priorität
haben, hob der Ehrensenator und Ehrendoktor der Universität Stuttgart hervor, der
sich selber wie kein zweiter um den wissenschaftlichen Nachwuchs verdient gemacht hat.
Auch Elektronen ruhen nicht: der Nobelpreisträger von 1998,
Prof. Dr. Horst Störmer, war während seines Vortrages beim Stuttgarter Tag der Physik
ständig in Bewegung und zeigte, wo in der Physik die Grenzen heute am weitesten vorne
sind. (Foto: Eppler) |
Den traditionellen Fachvortrag der Preisträger hielt
Stefan Rupp, der als erster das Thema der Grenze in der Physik thematisierte. Er nutzte
die Gelegenheit, um für das seit 1990 bestehende, ländergrenzenüberschreitende
Austauschprogramm mit der Ecole Centrale in Frankreich zu werben. Anstrengend, aber
lohnend, bezeichnete er seine zwei Jahre in Paris. Sein Vortrag behandelte die
Mathematische Analyse eines kollektiven Meinungsbildungsmodells, ein
fachgrenzenüberschreitendes Problem, das aus der Synergetik kommend auf die Soziodynamik
angewandt wurde und auch für die Biologie einsetzbar sei.
Psychoakustische Experimente ließ Prof. Dr. Hans-Jörg Bauer folgen, der ein ums andere
Mal zeigen konnte, wie die Grenzen des noch differenziert Wahrnehmbaren von unserem Gehör
auf verblüffende Weise immer wieder überschritten werden. Daß unser Gehör eigentlich
ein logarithmischer Spektralanalysator ist, verdeutlichte er an zahlreichen Tonbeispielen.
Die Spektralanalysatoren der Zuhörer zum swingen brachte dann eine richtige Jazzband, die
von Prof. Rolf Martin, Physiker und Bassist, geleitet wurde. Rolf Martin forschte in den
achtziger Jahren zusammen mit dem späteren Nobelpreisträger Horst Störmer in Grenoble,
und beide sind bis heute befreundet.
Inzwischen hatte sich der Hörsaal bis auf den letzten Platz gefüllt, und während des
Festvortrags verließ keiner den Raum: der Physik-Nobelpreisträger weiß, wie auch ein
großes Publikum zu fesseln ist. Physik an der Grenze lautete der Titel seines
Vortrages, der auch über der gesamten Veranstaltung hätte stehen können. Ständig
überschritt er die Grenze zwischen biografischer und wissenschaftlicher Darstellung der
Forschungen, die schließlich zum Physik-Nobelpreis geführt hatten. Ständig wechselte er
dabei zwischen den Sprachen, suchte mehrfach nach dem korrekten deutschen Ausdruck und
erläuterte, warum es für einen Wissenschaftler in der englisch orientierten scientific
community Probleme mit dem Umlaut in seinem Namen geben kann.
Der heute an der Columbia University in New York lehrende Störmer hat seine Erfahrungen
sowohl in der Industrie wie in der Wissenschaft gemacht und die Forschung überschreite
diese Grenze beständig von beiden Seiten. Die Materialleute seien heute die
wichtigsten in der Physik, ohne sie sei der Fortschritt in Wissenschaft und Wirtschaft
nicht vorzustellen. Besonders in der Analyse der Elektronenkorrelationen kämen sich
Grundlagenforschung und Anwendungsorientierung besonders nahe. Als Beispiel nannte er die
in den Bell Laboratories entwickelten Feldeffekttransistoren, ohne die weder
moderne Radioteleskope noch Handys denkbar seien.
Mit viel Witz und Selbstironie würzte der Nobelpreisträger seinen Vortrag, und er
bekannte zum Schluß, daß letztlich die Vielteilchenphysik mit dem Nobelpreis
ausgezeichnet worden sei, zu der viele Leute, die auch im Stuttgarter Auditorium sitzen,
beigetragen hätten. Ein Gruß an den Genius loci, sicherlich, aber auch ein Hinweis
darauf, daß die Grenzen in der Wissenschaft nur gemeinsam verschoben werden können. Eine
Makro-Variante der Vielteilchenphysik war bis weit in die Nacht hinein anschließend im
Umtrieb des gut besuchten Physiker-Sommerfestes zu studieren. eng
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