Noch
ist es niemandem gelungen, mit fünfeckigen Kacheln eine
Wand zu fliesen, ohne nicht jede Menge Lücken ausspachteln
zu müssen. Eine Fläche vollständig zu füllen ist möglich
mit dreieckigen, viereckigen, auch sechseckigen Kacheln,
nicht aber mit fünfeckigen. Ordnung und Harmonie vollständig
gekachelter Flächen stammen, wie besonders Mosaike zeigen,
in der Regel aus der periodischen Wiederkehr der Muster.
Gibt es aber auch Formen, mit denen man eine Fläche zwar
lückenlos füllen kann, aber ausschließlich auf aperiodische
Weise, ohne dabei wiederkehrende, periodische Muster zu
erzeugen? Für dieses sogenannte Parkettierungsproblem
fand der renommierte englische Mathematiker Sir Roger
Penrose bereits 1973 eine überraschende Lösung. Ihm gelang
die Parkettierung mit nur zwei Formen. Die damit erzeugten
sogenannten Penrose-Muster erinnern an Grafiken von M.C.
Escher: aufeinander aufbauende und in sich verschränkte
Muster, die irgendwie wiederkehren, aber eben nicht ganz.
Obwohl es sich um nicht-periodische Muster handelt (durch
Falten lassen sie sich nicht zur Deckung bringen), sind
sich alle Muster ähnlich. Der Mönch steigt ständig eine
Treppe hoch und bleibt doch auf derselben Ebene.
Was
es nicht geben dürfte
Kristallgitter sind periodisch geordnet und zeigen im
Röntgen- oder Elektronenbeugungsbild scharfe Reflexe.
Schon Kepler hat erkannt, daß Periodizität und Fünfzähligkeit
nicht miteinander vereinbar sind. Deshalb galt es als
Prinzip: Fünfzählige Beugungsbilder mit scharfen Reflexen
darf es nicht geben. Dieses Prinzip wurde jedoch gehörig
erschüttert, als 1984 Dany Sche.htmlan und seine Kollegen
am National Bureau of Standards an den Elektronenbeugungsdiagrammen
einer Aluminium-Mangan-Legierung ikosaedrische Symmetrie
entdeckten, welche fünfzählige Drehachsen enthält. Zur
Erklärung zog man die Mosaike nach dem Penrose-Muster
heran. Sie füllen in zwei Dimensionen nichtperiodisch
eine Fläche, aber jeden Ausschnitt daraus findet man an
anderer Stelle wieder. Auch jeden Ausschnitt des um ein
Fünftel des vollen Kreises gedrehten Musters findet man
im Ausgangsmuster. Deshalb spricht man von einer fünfzähligen
Symmetrie im Mittel. Strahlung, die vom Muster gebeugt
wird, führt diese Mittelung durch. Die Beugungsbilder
zeigen deshalb einerseits scharfe Reflexe - wie bei periodischen
Kristallen - andererseits die exakte fünfzählige Symmetrie.
Heute kennt man bereits mehr als hundert verschiedene
metallische Legierungen, deren Aufbau diesem ungewöhnlichen
Muster folgt. Fünfeckige und zehneckige Atomanordnungen
bestimmen das Bild, und trotz der offensichtlichen Regelmäßigkeit
wiederholt sich das atomare Muster niemals vollständig.
Damit war theoretisch und experimentell ein dritter Zustand
der festen Materie entdeckt, denn physikalisch gesehen
galt Materie entweder als ungeordnet amorph oder sie zeigte
wiederkehrende Regelmäßigkeiten als Kristall.
Der
dritte Zustand
Mit diesem dritten Zustand der festen Materie - den Quasi-Kristallen
- haben sich seit 1984 weltweit Physiker, Mathematiker
und Chemiker beschäftigt. Zunächst war das Interesse für
diese neue Werkstoffkategorie weitgehend akademisch beziehungsweise
grundlagenorientiert, aber inzwischen lassen sich quasikristalline
Legierungen auch in größeren Mengen industriell herstellen
und verarbeiten. Ihre industrielle Verwendbarkeit und
die rasch einsetzende anwendungsorientierte Forschung
verdanken die Quasikristalle ihren außergewöhnlichen physikalischen
Eigenschaften, wie zum Beispiel eine extrem kleine elektrische
und Wärme-Leitfähigkeit, große Härte, geringe Reibung,
geringe Adsorption und Chemiesorption. Sie sind technologisch
einsetzbar als Spezialbeschichtungen, als leichte und
hochfeste Werkstoffe und sogar als Wasserstoffspeicher.
In der französischen Metallindustrie werden quasikristalline
Oberflächenbeschichtungen eingesetzt. In Japan wurde eine
ganze Reihe quasikristalliner Legierungen für spezielle
Anwendungen entwickelt, die bis zu sehr hohen Temperaturen
einsetzbar sind. Ein führender schwedischer Stahlkonzern
hat chirurgische Stähle auf den Markt gebracht, die ihre
besonderen Eigenschaften quasikristallinen Bestandteilen
verdanken. Andere Anwendungen beruhen auf der ungewöhnlich
niedrigen Benetzbarkeit quasikristalliner Materialien.
Sie ist der von Kunststoffbeschichtungen in Kochgeräten
vergleichbar, ohne deren Nachteile der geringen Hitzebeständigkeit
und Härte aufzuweisen.
Stuttgarter
Kompetenz
Auch an der Universität Stuttgart wurde sehr schnell
international anerkannte Kompetenz in dieser neuen Disziplin
aufgebaut. Beleg dafür ist die Vergabe der siebten internationalen
Konferenz über Quasikristalle im letzten Jahr an die Universität
Stuttgart, nach St. Louis, Avignon und Tokio in den vergangenen
Jahren. Über 300 internationale Experten aus den Bereichen
der Metallphysik, der Kristallographie, der Metallurgie
und der Metallverarbeitung waren zu der fünftägigen Veranstaltung
nach Stuttgart gekommen. Dabei ging es vor allem um die
physikalischen Grundlagen der neuartigen Eigenschaften
quasikristalliner Materialien. Viele davon sind nach wie
vor nicht oder nur wenig verstanden. Die erste, inzwischen
legendär gewordene, Tagung mit wenigen eingeladenen Forschern
der ersten Stunde fand 1986 in den französischen Alpen
in Les Houches statt. Seit damals ist das Interesse enorm
angestiegen, über 7.000 Beiträge sind in wissenschaftlichen
Zeitschriften erschienen.
Industrie
zeigt Interesse
Prof. Knut Urban prognostiziert in dem Vorwort des
voluminösen Tagungsbands, daß die Quasikristallforschung
in den nächsten Jahren zahlreiche weitere metallische
Verbindungen mit quasikristallinen Strukturen entdecken
wird. Die Materialwissenschaften stehen hier jedoch vor
dem Problem, daß die Industrie an die Einführung neuer
Werkstoffe sehr hohe Anforderungen stellt. Die erwarteten
Verbesserungen der physikalischen Eigenschaften werden
nur dann umgesetzt, wenn damit niedrigere Produktionskosten
einhergehen. Die aktuellen Forschungsprogramme in Deutschland,
Japan und den USA zeigten aber, so Urban, daß man heute
global daran geht, die physikalischen Herausforderungen
in den Griff zu bekommen. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
wird inzwischen ein Schwerpunktprogramm zu Struktur und
physikalischen Eigenschaften der Quasikristalle gefördert
(http://spqk.itap.physik.uni-stuttgart.de).
Chancen
für den Nachwuchs
Das noch junge Forschungsgebiet besitzt offensichtlich
einen hohen wissenschaftlichen Reiz, gleich ob dieser
von der Schönheit des Gegenstandes oder seines Innovationspotentials
ausgeht, der vor allem den dringend benötigten Physiker-Nachwuchs
anzieht. Die hohe Qualität der Vorträge vor allem der
jungen Wissenschaftler auf der Stuttgarter Konferenz gebe
Anlaß zu der Hoffnung, so Urban, daß in der physikalischen
Forschung zu den Quasikristallen der anstehende Generationswechsel
in der Scientific Community auf einem guten Wege sei.
/eng
KONTAKT
Prof. Hans-Rainer Trebin, Institut für Theoretische und
Angewandte Physik, Universität Stuttgart, Pfaffenwaldring
57, 70550 Stuttgart, Tel: 0711/685-5253, -5254, Fax: 0711/685-5271,
e-mail:trebin@itap.physik.uni-stuttgart.de