Das
Verbundprojekt
Das Projekt gliedert sich in drei Teilbereiche. Den Schwerpunkt
bildet die Untersuchung des Entwicklungsprozesses von
der Dienstleistungsidee bis zur Markteinführung. Hier
werden Methoden zusammengestellt und Vorgehensmodelle
entwickelt. Das zweite Themengebiet beschäftigt sich mit
dem Management des Entwicklungsprozesses. Dabei werden
Strukturen und Konzepte analysiert und Empfehlungen für
die praktische Anwendung abgeleitet. Im dritten Teilbereich
werden erfolgreiche Beispiele aus der Praxis, sogenannte
„Best Practices“, gesammelt, strukturiert beschrieben,
analysiert und anschließend in Form einer Datenbank bereitgestellt.
Ausgangspunkt für das Projekt war die Vermutung, daß sich
auch im Bereich der Dienstleistungsentwicklung durch die
Bereitstellung von geeigneten Methoden und Vorgehensweisen
ähnliche Vorteile erzielen lassen wie beispielsweise schon
zuvor durch den Einsatz von Engineering-Wissen in der
Produkt- und Softwareentwicklung.
Ganzheitlicher
Ansatz
Sinnvoll erschien vor allem eine Übertragung ganzheitlicher
Ansätze, wie sie beispielsweise schon in der Vergangenheit
am Massachusetts Institute for Technology (MIT) für die
Produktentwicklung entwickelt wurden. Das sind Verfahren,
die nicht allein von technischen Funktionalitäten ausgehen,
sondern die Kundenbedürfnisse ins Zentrum der Betrachtung
stellen. Die meisten Kunden sind bei einem Produkt weniger
an der zugrundeliegenden Produktionsmethode und auch nicht
sehr detailliert an der einzelnen Funktionalität interessiert,
sondern sie erwarten ein ganzheitliches Leistungsangebot
(zum Beispiel eine komfortable Mobilität oder bequemes
Reisen).
Dienstleistungs-Studie
Wie aber lassen sich innovative Dienstleistungen entwickeln?
Kann dieser Prozeß gezielt unterstützt werden? Mit diesen
Fragestellungen beschäftigte sich eine Studie innerhalb
des Projektes, die bei 282 Industrie- und Dienstleistungsunternehmen
durchgeführt wurde. Eines der Hauptverdienste der Studie
ist ein methodischer Vorschlag zur Einteilung von Dienstleistungen,
der sich nicht an vorgegebenen Branchen orientiert. Damit
wird der geläufige, aber wenig fruchtbare Gegensatz zwischen
Dienstleistungssektor versus produzierendem Sektor vermieden.
Selbst bei produzierenden Unternehmen nimmt die Bedeutung
von Dienstleistungen beständig zu; so erreicht der Anteil
bei einigen Betrieben des Maschinen- und Anlagenbaus bereits
40 Prozent und mehr des Gesamtumsatzes.
Vier
Formen von Dienstleistungen
Die Studie unterscheidet dagegen vier Formen der Dienstleistungen:
erstens sogenannte „service factories, die sich durch
besonders geringe Kundenkontaktintensität auszeichnen
(etwa Versicherungen, bei denen nur zu Beginn und im Schadensfall
die eigentliche Dienstleistung sichtbar wird); zweitens
sogenannte „professional services, die demgegenüber sehr
kundenkontaktintensiv aufgebaut sind (zum Beispiel Beratungs-
und Marktforschungsfirmen); drittens sogenannte „service
shops, mit dem Kennzeichen einer starken Bindung an materielle
Produkte (wie zum Beispiel Montage-, Wartungs- und Instandhaltungsfirmen);
viertens sogenannte „mass servives, die durch hohe Standardisierung
ihrer Leistungen auffallen (wie etwa bei Handel und Banken).
Bei allen Dienstleistungstypen ist der Faktor der menschlichen
Arbeit besonders hoch und die Entwicklung kommunikativer
und sozialer Fähigkeiten in diesen Bereichen deshalb wichtig.
Des weiteren zeigte die Studie, daß es vor allem die großen
Unternehmen sind, die sich innovativ um den Bereich der
Dienstleistungen kümmern und daß es darunter vor allem
die erfolgreichen Unternehmen sind, die diesem Unternehmenssektor
überdurchschnittliche Beachtung schenken.
Praxistest
bestanden
Um die Praxisrelevanz der methodischen Herangehensweise
auch im betrieblichen Umfeld unter Beweis zu stellen,
haben Wissenschaftler des Instituts für Arbeitswissenschaft
und Technologiemanagement der Universität Stuttgart und
die Firma Siemens ElectroCom den Service-Bereich des Unternehmens
in Konstanz in einer Fallstudie untersucht. Die Siemens
ElectroCom ist das weltweit führende Unternehmen auf dem
Gebiet der Postdienst-Automatisierung. Mit insgesamt rund
3.000 Mitarbeitern wurde 1996 weltweit ein Umsatz von
rund 1,2 Milliarden Mark erwirtschaftet. Siemens ElectroCom
und IAT haben im Rahmen der vom BMBF geförderten Maßnahme
damit begonnen, Strategien und Konzepte für die systematische
und kundenorientierte Entwicklung von Dienstleistungen
zu erarbeiten. Erste Resultate zeigen, daß heute immer
noch der weitaus größte Umsatzanteil innerhalb des Service-Bereiches
bei den sogenannten „hybriden Dienstleistungen“ liegt,
also den unmittelbar an die Anlagen gekoppelten Dienstleistungen.
So entfallen auf die Montage und Inbetriebnahme die größten
Umsatzanteile. Erste Erweiterungen des Angebotes werden
inzwischen ausgearbeitet. Dazu gehört ein Schulungs- und
präventives Servicekonzept bis hin zu kompletten Betreibermodellen.
Es hat sich gezeigt, daß gerade durch die enge Kopplung
von Produkten und neuen Dienstleistungen potentielle Wettbewerber
vom Markt fern gehalten werden, da sie diese Zusatzleistung
nicht erbringen können. Parallel dazu werden gezielt gänzlich
neue Dienstleistungen für neue Anwendungsgebiete und neue
Kundengruppen entwickelt. Hier sind vor allem die rasche
Entwicklung elektronischer Medien (z.B. Internet, Computer-based
Training) und die neuen Möglichkeiten der Telekommunikation
(z.B. Hot-Lines, Remote Services) als wesentliche Ursprünge
für Innovationen erkannt worden. Aus rein technologischer
Sicht kommt die zunehmende „intelligente Elektronifizierung“
von Maschinen und Anlagen mit dem Ziel der Vernetzung
und Kommunikation als ein treibender Faktor für neue Dienstleistungen
hinzu. Eine dritte Strategie liegt in der Bündelung von
Dienstleistungen. Im komplexen Maschinen- und Anlagenbau
ist die Dienstleistungsbündelung schon immer wichtig gewesen.
In den vergangenen Jahren hat das Bedürfnis der Kunden
nach Komplettlösungen zugenommen und dazu geführt, beispielsweise
auch Finanzierungspakete oder Generalunternehmerschaften
anzubieten. Angebote, bei denen alle Leistungen „aus einer
Hand“ erbracht werden, bieten erfolgversprechende Vorteile
gegenüber Konkurrenten. Auf der Basis dieser drei Strategien
hat die Siemens ElectroCom in Konstanz bereits begonnen,
systematisch ihren Service-Bereich auszubauen. So sind
derzeit neue Dienstleistungen in Planung und Vorbereitung
wie Customer Desk, Online-Coaching, Performance-Monitoring,
Recycling von Anlagen, Remote Access System, Service »on
call«, Jahr 2000 Konzept oder ein 24-Stunden-Ersatzteil-Bestelldienst.
Die Entwicklung neuer Dienstleistungen und ihre Markteinführung
hängen, wie nicht anders zu erwarten, wesentlich von der
Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter ab. Die tägliche
Praxis zeigt, daß nur qualifizierte und motivierte Mitarbeiter
auch in kritischen Situationen einen hervorragenden Service
leisten können.
Studiengang
„Dienstleistungsingenieur“
Defizite bestehen aus betrieblicher Sicht, aber auch im
wissenschaftlichen Umfeld, derzeit noch an didaktischem
Know-how zur Aufbereitung und Vermittlung von Methoden
und Vorgehensweisen des Service Engineering. Die Etablierung
eines Berufsbildes „Dienstleistungsingenieur“ und seine
Unterstützung auf verschiedenen Ebenen der Aus- und Weiterbildung
könnte, davon sind die Wissenschaftler überzeugt, die
deutsche Wirtschaft nachhaltig unterstützen. Sie hoffen,
daß in der akademischen Ausbildung langfristig der Studiengang
„Dienstleistungsingenieur“ als interdisziplinäre Ausbildung
mit Inhalten aus den Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften,
den Sozialwissenschaften sowie der Informatik und Statistik
an Universitäten und Fachhochschulen etabliert werden
kann. /eng
KONTAKT
Dr.-Ing. habil. Dipl.-Math. Klaus-Peter Fähnrich, Institut
für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT),
Universität Stuttgart, Nobelstraße 12, 70569 Stuttgart,
Tel: 07 11/970-51 00, Fax: 0711/ 970-51 03, e-mail: Klaus-Peter.Fähnrich@iat.uni-stuttgart.de