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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Prämiertes Herstellungsverfahren für biologisch abbaubare Polymere:
Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen
 

Nicht neu, aber immer noch weitgehend ungelöst ist das Problem der ungeheuren Abfallmengen, die weltweit tagtäglich produziert werden. Allein an Kunststoffen sind 1998 nur in Europa 34 Millionen Tonnen als Verpackungsmüll auf den Markt geworfen worden. Die vergleichbaren Zahlen für Nordamerika und Asien liegen bei 35 beziehungsweise 25 Millionen Tonnen. Als häufigste Lösung des Abfallproblems gilt immer noch das Recycling, obwohl es verbreitet primär als „Downcycling“ oder als energetisches Recycling (sprich Verbrennung) praktiziert wird. Eine am Institut für Kunststofftechnologie der Universität Stuttgart entwickelte Technologie zur Produktion biologisch abbaubarer Polymere könnte hier eine Entsorgungsalternative bieten. Sven Jacobsen hat für diese Entwicklung vom französischen Getreideanbauerverband im vergangenen Jahr die mit 25.000 Mark dotierte Auszeichnung „Goldene Ähre“ erhalten. (Siehe Uni-Kurier 82/83, S. 93)

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Bei Polylactid (PLA) handelt es sich, chemisch betrachtet, um einen hydrolytisch spaltbaren Polyester, der schon seit einiger Zeit in der Medizintechnik eingesetzt wird, zum Beispiel als chirurgische Nähfäden oder Knochenschrauben usw. PLA gehört aber auch zu den abbaubaren Polymeren, die in Zukunft im müllintensiven Verpackungsbereich Verwendung finden könnten. Es sind vor allem seine guten mechanischen Eigenschaften, die PLA zum Konkurrenten für die heutigen Verpackungsmaterialien werden läßt. PLA wird letztendlich aus Milchsäure hergestellt und dieser Rohstoff kann durch bakterielle Fermentation aus nahezu jeder nachwachsenden Ressource wie Stärke, Zucker oder pflanzlichen Roh- und Abfallstoffen gewonnen werden. Verpackungen aus PLA können selbstverständlich, wie andere Polymere auch, recycelt oder verbrannt werden. Interessant wird PLA aber vor allem durch seine Kompostierbarkeit, die es in dem natürlichen Kreislauf wieder zuführt.

Die Ringöffnungspolymerisation
Polylactid kann über zwei unterschiedliche Synthesewege hergestellt werden: Entweder über eine schrittweise Polykondensation aus Milchsäure oder über die Ringöffnungspolymerisation aus dem zyklischen Diester Lactid, der aus der Kopplung zweier Milchsäuremoleküle entsteht. Die eher traditionelle Polykondensation verlangt hohe Temperaturen, hat eine lange Reaktionszeit und benötigt eine kontinuierliche Abfuhr von Wasser. Und das Ergebnis ist eher bescheiden: eine vergleichsweise niedrige Molmasse und unbefriedigende mechanische Eigenschaften des Polymers. Dagegen bietet die Ringöffnungspolymerisation einen direkten und einfachen Zugang zu hochmolekularen Polymeren. Es ist bekannt, daß die Ringöffnungspolymerisation von Lewis-Säuren und dabei insbesondere von Zinn(II)-Oktanoat katalysiert wird.

Herstellungskosten
senken Erst wenn die Produktion großer Mengen Polylactide wirtschaftlich gestaltet werden kann, kommt dieses Polymer auch für ni.htmledizinische Anwendungen in Betracht. Deshalb wurde am Institut für Kunststofftechnologie (IKT) der Universität Stuttgart in Zusammenarbeit mit Kollegen des Center for Education and Research on Macromolecules der Universität Lüttich ein kontinuierlicher Produktionsprozeß entwickelt, der auf der Technologie der reaktiven Extrusion in Zweiwellenextrudern aufbaut. Diese Technologie erfordert jedoch, daß die Polymerisationsreaktion in einem vergleichsweise kurzen Zeitintervall abgeschlossen wird (5-7 Minuten). Weiterhin sollte das Polymer bei der Reaktionstemperatur stabil gegen Molmassereduktion sein. Es ist bekannt, daß Zinn(II)-Oktanoat eine relative schnelle Polymerisationsreaktion ermöglicht (ca. 60 min. im Reagenzglas), gleichzeitig aber negative Einflüsse auf die Molmasse und die mechanischen Eigenschaften des Polylactids auftreten. Aus diesem Grund wurde ein Katalysatorsystem aus der Lewis Säure Zinn(II)-Oktanoat und einer Lewis-Base (Triphenylphosphin) entwickelt, das nicht nur die Polymerisationsgeschwindigkeit erhöht (ca. 45 min. im Reagenzglas), sondern gleichzeitig auftretende Abbaureaktionen unterdrückt. Ein äquimolearer Säure-Base-Komplex erzielt schließlich ein Gleichgewicht zwischen Polymerisationsgeschwindigkeit und Abbaureaktionen, welches erlaubt, die Ringöffnungspolymerisation in einem Einstufenprozeß auf einen Zweiwellenextruder zu übertragen. Es wurden herausragende Ergebnisse unter Verwendung eines dichtkämmenden gleichsinnig drehenden Laborextruders erzielt. Dabei wurde der Einfluß unterschiedlicher Prozeßparameter auf die Eigenschaften der resultierenden Polymere analysiert. Obwohl diese Technologie zunächst für die Polylactid-Homopolymerisation entwickelt wurde, kann sie auch für die Generierung Lactid-basierter Blockcopolymere eingesetzt werden, die ein breites Feld interessanter Werkstoffeigenschaften für unterschiedlichste Anwendungsfälle abzudecken ermöglichen.

Reaktive Extrusion
Die Technologie der Polymerisation mittels reaktiver Extrusion wurde schon früher für die Herstellung schnell reagierender Polymere (z.B. Polyurethane) eingesetzt. Neu hingegen ist, diese auch für vergleichsweise langsame Aufbaureaktionen wie die vorliegende Polylactid-Ringöffnungspolymerisation zu verwenden. Dabei wird die Reaktion durch den gezielten Einsatz von Scher- und Mischelementen nochmals beschleunigt. Durch extrusionstechnische Beschleunigungsverfahren ist es jedoch gelungen, die Ringöffnungspolymerisation statt nach 45 Minuten Reaktionszeit im Reagenzglas schon nach 5 bis 7 Minuten im Extruder abzuschließen. Nach einer letzten Druckreduktion, bei der noch nicht reagierte Bestandteile durch Entgasen entfernt werden, wird das Polymer unter Druckaufbau in einem Düsenelement zu Strängen geformt, die, abgekühlt und granuliert, für jeden beliebigen Polymerverarbeitungsprozeß herangezogen werden können. Aus dem so hergestellten Polylactidgranulat lassen sich extrudierte Folien, Fäden, Gewebe, Spritzgießteile, tiefgezogene Becher, streckgeblasene Flaschen und viele andere Kunststoffteile erzeugen. Durch Modifikation dieser Polymere mittels Weichmachern, Zugabe von Füllstoffen oder Copolymerisation erzielt man ein breites Eigenschaftsspektrum, das nahezu beliebige Anforderungen erfüllen kann. Einziger Wermutstropfen bei diesem Verfahren ist bislang eine chemische Instabilität, die zwar den biologischen Abbau von PLA ermöglicht, aber auch Abbaureaktionen während der Verarbeitung und während des Gebrauchs verursachen kann.

Ausblick
Biologisch abbaubare Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen wie Polylactid werden in den nächsten Jahren sicher weitere Anwendungsfelder erobern. Um allerdings dauerhaft erfolgreich zu sein, sind mehrere solcher Biopolymertypen erforderlich, die gemeinsam das gesamte Feld potentieller Anforderungen abdecken können. Daher läuft am Institut für Kunststofftechnologie der Universität Stuttgart neben der Entwicklung von Polylactiden und deren Copolymeren auch die Materialentwicklung anderer bioabbaubarer Kunststoffe wie Poly-e-caprolacton, thermoplastische Stärke, Polyurethane, teilaromatische Polyester sowie von Materialverbindungen aus diesen Kunststoffen. Verbesserte Eigenschaften Vor allem der zu hohe Preis verhinderte bislang die Markteroberung durch die neuen Materialien. Durch neue Produktionsverfahren, wie dem an der Universität Stuttgart entwickelten, sowie durch Massenproduktion könnten die Herstellungskosten jedoch an den Preis ‘petrochemischer Polymere’ angepaßt werden. Und: die neuen Stoffe haben gegenüber traditionellen Kunststoffen erweiterte Eigenschaften, wie bessere Wasserdampf- und Gasdurchlässigkeit (wichtig für Gemüse- und Obstverpackungen), bessere Oberflächeneigenschaften (wichtig für Bedruckbarkeit, Rauhigkeit, Gleitfähigkeit). Damit könnten auch neue Anwendungsgebiete geschaffen werden, in denen Kunststoffe bisher nicht oder nur unter ungünstigen preislichen Bedingungen zum Zuge kamen.

KONTAKT
Dipl.-Ing. Sven Jacobsen, Dipl.-Chem. Sandra Keinath, Institut für Kunststofftechnologie, Universität Stuttgart, Böblinger Str. 70, 70199 Stuttgart, Tel.: 0711/641-2331, -2317, e-mail. Jacobsen@ikt.uni-stuttgart.de, keinath@ikt.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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