Mit
den Worten: „Fragen zu stellen ist das Geschäft des Journalisten“,
gab die Bürgermeisterin der Stadt Stuttgart und Vorstandsvorsitzende
der Stiftung, Gabriele Müller-Trimbusch, den Platz am
Rednerpult an Dr. Hermann Rudolph ab. Der Herausgeber
des „Tagesspiegel“ in Berlin zählt zu den herausragenden
Kennern und Beobachtern der Geschichte des geteilten und
wiedervereinigten Deutschlands. Schon zu Beginn seiner
Ausführungen stellte der 1939 in Oschatz/Sachsen geborene
Rudolph fest: „Die Erinnerung an Theodor Heuss bleibt“.
Allerdings sei der erste Bundespräsident neben den Weichenstellern
Adenauer und Schumacher heute als blasse Erinnerung an
den Rand getreten. Dabei habe er das Staatsgefüge modelliert,
sei zu seiner Zeit als eine Art Bezugsperson für die Normalität
der jungen Bundesrepublik gestanden und habe die „gefühlhafte
Dimension“ von Staat und Politik angesprochen. Als Vorsitzender
der FDP-Fraktion hat Heuss im Parlamentarischen Rat 1949
viel zur Formulierung des Grundgesetzes beigetragen, und
auch am Namen „Bundesrepublik Deutschland“ hatte er Anteil,
da „Bund Deutscher Länder“ nicht nach seinem Sinn war,
erinnerte Rudolph. Theodor Heuss, der die demokratische
Regierung als Herrschaftsauftrag auf Zeit verstand, mußte
während seiner Amtszeit mit der Kritik leben, als unpolitischer
Bundespräsident zu gelten. Dabei, so Hermann Rudolph,
habe er unter Politik nicht Machtpolitik verstanden, doch
„unpolitisch war er nicht“. Das Amt des Bundespräsidenten
habe er als Stand über den Parteien begriffen und seine
Reden seien als politische Akte zu verstehen. Vier Jahre
nach dem Krieg sei der erste Bundespräsident zudem vor
dem entscheidenden Problem gestanden, wie deutsche Staatlichkeit
und Politik wieder vorstellbar sind.
Demokratie
als Lebensform
Die Freiheitsvorstellung von Heuss war bürgerlich, fast
biedermeierlich geprägt oder, wie Dr. Rudolph anmerkte,
vielleicht sogar schon wieder modern, da Ehrenamt und
schlanke Verwaltung zu Begriffen wurden. Die Demokratie
allerdings sah Heuss als Lebensform und nicht nur als
politisches Gefüge. Der Aussage „der Staat ist um des
Menschen willen da“ würde Heuss nicht uneingeschränkt
zustimmen, war der Referent überzeugt, der Staat habe
auch als Institution eine eigene Bedeutung und Würde.
Gegen plebiszitäre Rechte hegte der erste Bundespräsident
eine große Abneigung, da er in ihnen eine Prämie für Demagogen
sah. Auch wurde er leicht spöttisch, wenn es zu regional
wurde, denn für Heuss galt: Der deutsche Gesamtstaat darf
nicht in Frage gestellt werden. Mit der heutigen selbstbewußten
Rolle der Länder hätte er wohl seine Probleme, vermutete
Hermann Rudolph, denn auf den Bundesrat hätte er damals
schon gerne verzichtet, da er ihn nur störend für die
Gesamtstaatlichkeit empfand. Der Neigung zum Verdrängen
und Vergessen wollte Theodor Heuss entgegentreten und
das Vergessen, attackierte er, sei „um unser Willen nicht
erlaubt“. Das Kriegsende sah er daher als Bruch und Chance
für einen radikalen Neuanfang und forderte auch ein neues
Nationalgefühl. Rudolph merkte an dieser Stelle einschränkend
an, daß unmittelbar nach Kriegsende das Ausmaß des Holocaust
noch nicht in seiner vollen Bedeutung erfaßt worden sei.
Identifikationsfigur
Wie sich die Zeiten ändern, demonstrierte Hermann Rudolph
an einem Beispiel. Wurde Heuss für seine Aussage, die
Deutschen sollten sich von ihrer Vergangenheit entkrampfen,
noch mit Beifall bedacht, erntete dagegen sein späterer
Nachfolger Roman Herzog Hohn und Häme, als er davon sprach,
die Deutschen sollten unverkrampft mit der Deutschen Geschichte
umgehen. Wichtig sei zudem die Tatsache, daß die politische
Kultur nicht von der Person zu trennen sei. Heuss hatte
persönlichen Stil, war Identifikationsperson, wurde vom
Amt nicht vereinnahmt und war als Privatperson noch zu
erkennen. Mit kräftigen Strichen zeichnete Dr. Rudolph
die Person des ersten Bundespräsidenten der BRD nach.
Vor allem sei er ein Mann von Bildung und Kultur gewesen:
„Er hatte ein weites Hinterland, aus dem er lebte und
schöpfte“, war Bildungsbürger mit politischer Absicht,
geistig beweglich, temperamentvoll und offen für den Wechsel
des Zeitgeistes, dabei integer durch gestandene Kontinuität.
Für die Bevölkerung bildete er eine Verkörperung des Verhältnisses
von Politik und Demokratie. „Was würde Heuss zu unserem
Umgang mit der Politik sagen und könnten wir davor bestehen?“,
gab Hermann Rudolph den Zuhörern als abschließende Frage
mit auf den Weg. J.
Alber/uk