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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Dritte Theodor-Heuss-Gedächtnis-Vorlesung:
Ein Stück deutscher Geschichte
 

Am 12. Dezember 1999 jährte sich zum 36. Mal der Todestag von Theodor Heuss, und wie schon fast Tradition, luden die Stiftung-Bundespräsident-Theodeor-Heuss-Haus und die Universität Stuttgart zur Theodor-Heuss-Gedächntis-Vorlesung. Nach Timothy Garton Ash und Richard von Weizsäcker widmete sich diesmal am 10. Dezember Dr. Hermann Rudolph dem Thema „Ein Neues Stück deutscher Geschichte - Theodor Heuss und die politische Kultur der Bundesrepublik“.

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Theodor Heuss und seinen Einfluß auf die politische Kultur der Bundesrepublik würdigte Dr. Hermann Rudolph, Herausgeber des „Tagesspiegel“. (Foto: Eppler)

Mit den Worten: „Fragen zu stellen ist das Geschäft des Journalisten“, gab die Bürgermeisterin der Stadt Stuttgart und Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Gabriele Müller-Trimbusch, den Platz am Rednerpult an Dr. Hermann Rudolph ab. Der Herausgeber des „Tagesspiegel“ in Berlin zählt zu den herausragenden Kennern und Beobachtern der Geschichte des geteilten und wiedervereinigten Deutschlands. Schon zu Beginn seiner Ausführungen stellte der 1939 in Oschatz/Sachsen geborene Rudolph fest: „Die Erinnerung an Theodor Heuss bleibt“. Allerdings sei der erste Bundespräsident neben den Weichenstellern Adenauer und Schumacher heute als blasse Erinnerung an den Rand getreten. Dabei habe er das Staatsgefüge modelliert, sei zu seiner Zeit als eine Art Bezugsperson für die Normalität der jungen Bundesrepublik gestanden und habe die „gefühlhafte Dimension“ von Staat und Politik angesprochen. Als Vorsitzender der FDP-Fraktion hat Heuss im Parlamentarischen Rat 1949 viel zur Formulierung des Grundgesetzes beigetragen, und auch am Namen „Bundesrepublik Deutschland“ hatte er Anteil, da „Bund Deutscher Länder“ nicht nach seinem Sinn war, erinnerte Rudolph. Theodor Heuss, der die demokratische Regierung als Herrschaftsauftrag auf Zeit verstand, mußte während seiner Amtszeit mit der Kritik leben, als unpolitischer Bundespräsident zu gelten. Dabei, so Hermann Rudolph, habe er unter Politik nicht Machtpolitik verstanden, doch „unpolitisch war er nicht“. Das Amt des Bundespräsidenten habe er als Stand über den Parteien begriffen und seine Reden seien als politische Akte zu verstehen. Vier Jahre nach dem Krieg sei der erste Bundespräsident zudem vor dem entscheidenden Problem gestanden, wie deutsche Staatlichkeit und Politik wieder vorstellbar sind.

Demokratie als Lebensform
Die Freiheitsvorstellung von Heuss war bürgerlich, fast biedermeierlich geprägt oder, wie Dr. Rudolph anmerkte, vielleicht sogar schon wieder modern, da Ehrenamt und schlanke Verwaltung zu Begriffen wurden. Die Demokratie allerdings sah Heuss als Lebensform und nicht nur als politisches Gefüge. Der Aussage „der Staat ist um des Menschen willen da“ würde Heuss nicht uneingeschränkt zustimmen, war der Referent überzeugt, der Staat habe auch als Institution eine eigene Bedeutung und Würde. Gegen plebiszitäre Rechte hegte der erste Bundespräsident eine große Abneigung, da er in ihnen eine Prämie für Demagogen sah. Auch wurde er leicht spöttisch, wenn es zu regional wurde, denn für Heuss galt: Der deutsche Gesamtstaat darf nicht in Frage gestellt werden. Mit der heutigen selbstbewußten Rolle der Länder hätte er wohl seine Probleme, vermutete Hermann Rudolph, denn auf den Bundesrat hätte er damals schon gerne verzichtet, da er ihn nur störend für die Gesamtstaatlichkeit empfand. Der Neigung zum Verdrängen und Vergessen wollte Theodor Heuss entgegentreten und das Vergessen, attackierte er, sei „um unser Willen nicht erlaubt“. Das Kriegsende sah er daher als Bruch und Chance für einen radikalen Neuanfang und forderte auch ein neues Nationalgefühl. Rudolph merkte an dieser Stelle einschränkend an, daß unmittelbar nach Kriegsende das Ausmaß des Holocaust noch nicht in seiner vollen Bedeutung erfaßt worden sei.

Identifikationsfigur
Wie sich die Zeiten ändern, demonstrierte Hermann Rudolph an einem Beispiel. Wurde Heuss für seine Aussage, die Deutschen sollten sich von ihrer Vergangenheit entkrampfen, noch mit Beifall bedacht, erntete dagegen sein späterer Nachfolger Roman Herzog Hohn und Häme, als er davon sprach, die Deutschen sollten unverkrampft mit der Deutschen Geschichte umgehen. Wichtig sei zudem die Tatsache, daß die politische Kultur nicht von der Person zu trennen sei. Heuss hatte persönlichen Stil, war Identifikationsperson, wurde vom Amt nicht vereinnahmt und war als Privatperson noch zu erkennen. Mit kräftigen Strichen zeichnete Dr. Rudolph die Person des ersten Bundespräsidenten der BRD nach. Vor allem sei er ein Mann von Bildung und Kultur gewesen: „Er hatte ein weites Hinterland, aus dem er lebte und schöpfte“, war Bildungsbürger mit politischer Absicht, geistig beweglich, temperamentvoll und offen für den Wechsel des Zeitgeistes, dabei integer durch gestandene Kontinuität. Für die Bevölkerung bildete er eine Verkörperung des Verhältnisses von Politik und Demokratie. „Was würde Heuss zu unserem Umgang mit der Politik sagen und könnten wir davor bestehen?“, gab Hermann Rudolph den Zuhörern als abschließende Frage mit auf den Weg. J.

Alber/uk

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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