Home           Inhalt           Suchen

Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Das Interesse an der Sonntagsmatinee steigt:
Ein unumkehrbarer Trend
 

Stuttgart und seine Uni zusammenzuführen, aber auch den Insidern die Möglichkeit bieten, die vielfältigen Forschungen an ihrer Uni kennenzulernen - das Konzept der neu eingeführten Sonntags-Matinee geht auf. Am 16. Januar sprach der emeritierte Prof. Dr. Wolfgang Weidlich, Institut für Theoretische Physik, vor übervollen Rängen über „Umkehrbarkeit und Unumkehrbarkeit in Natur und Geschichte“.

kleinbal.gif (902 Byte)
 

Bei der zweiten Sonntagsmatinee überhaupt und ersten im neuen Jahrtausend ging es um nicht weniger als die Dynamik komplexer Systeme in Natur und Gesellschaft, oder anders gesagt: Entwickelt sich ein komplexes System irreversibel oder kommt es früher oder später wieder zurück in seinen ursprünglichen Zustand, entsprechend einer wiederkehrenden Periodizität? Als Grundlagenwissenschaft zähle die Physik zum „harten Kern unserer Kultur“, stellte Wolfgang Weidlich seinem Vortrag voran, und da es schon mal 1000 Jahre dauern könne, bis Naturgesetze als richtig anerkannt werden, bewahre der Physiker die Ruhe - auch angesichts der anstehenden Hochschulreform.


Prof. Dr. Wolfgang Weidlich. (Foto: Eppler)

Ewige Wiederkehr oder ewiges Fließen
Für die Theorien zu Unumkehrbarkeit und Umkehrbarkeit in Natur und Geschichte führte Prof. Weidlich eingangs zwei allseits bekannte Größen an. Als Vertreter der Unumkehrbarkeit gilt der griechische Philosoph Heraklit, der das ständig Fließende betonte - „niemand steigt zweimal in denselben Fluß“. Anders dagegen äußerte sich der deutsche Philosoph und klassische Philologe Friedrich Nietzsche, der sich in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ fragt: „Müssen wir nicht ewig wiederkommen?“ und daraus seine Lehre von der Ewigen Wiederkehr des Gleichen ableitet. Froh, angesichts der späten Morgenstunde alle Zuhörer ausgeschlafen vorzufinden und damit auch zum Mitdenken befähigt, wandte sich Wolfgang Weidlich nun ausführlich der mathematischen Seite des Problems zu. Damit der Formelschock aber nicht zu tief ausfiel, angereichert mit vielen Beispielen: Ein Kasten mit Vakuum, darin ein Behälter mit Gas. Strömt das Gas aus, dann verteilt es sich im ganzen Kasten, und bis jetzt hat sich noch keiner daran gemacht, es wieder zurückzubringen, denn das wäre eine „Heidenarbeit“. Und Weidlich fügte an, „da wir es nicht hinkriegen, ist es nicht verwunderlich, daß wir es noch nicht beobachtet haben.“

Boltzmanns Gleichung
Der französische Mathematiker Henri Poincaré - ein Vertreter der Wiederkehrtheorie - argumentierte wie üblich mit Formeln, und verständlicher mit Wassertropfen, die sich in der Form, jedoch nicht im Volumen ändern und schließlich für das Wiederkehrtheorem sprechen. Einen gegenläufigen Gedanken brachte der österreichische Physiker Ludwig Boltzmann ins Spiel. Er ging davon aus, daß Verteilungsfunktionen einem Gleichgewicht zustreben und was in diesem Gleichgewicht vorliegt, nicht wieder in die Ausgangslage zurückkehrt. Hier mußte Prof. Weidlich leider anfügen: „Physiker haben oft ein hartes Leben.“ Boltzmann blieb die Anerkennung seiner Leistung versagt, was ihn tief getroffen hat und ihn 1906 gar zum Selbstmord brachte. Indessen werden heute, 100 Jahre nach der Aufstellung seiner Gleichung, die eine der Grundlagen der Statistischen Physik bildet, ganze internationale Kongresse zu Ehren Boltzmanns und seiner Gleichung abgehalten.

Soziodynamik
Trotz des Vorherrschens von Irreversibilität in Natur und Geschichte werden aber immer wieder periodische oder zyklische Prozesse beobachtet wie beispielsweise das bekannte Räuber-Beute-Verhältnis. Nimmt die Anzahl der Beutetiere ab, sinkt zeitlich verzögert die Anzahl der Jäger, bis sich die Beutetiere zahlenmäßig wieder erholen und damit auch die Räuberzahl ansteigt. Für solche periodischen Subprozesse wurden im Rahmen der „Soziodynamik“ mathematische Modelle entwickelt, mit denen die Abläufe erfaßt und verstanden werden können.

Der Restaurant-Zyklus
Ein praktisches Beispiel dazu wurde den gespannt lauschenden Hörern zum Schluß mit auf den Weg gegeben. Gerade richtig für die Zeit kurz nach 12 Uhr - der Restaurant-Zyklus in vier Stufen. Zu Anfang das noch unbekannte neue Restaurant mit wenig Gästen. Um mehr Gäste zu gewinnen, wird in Phase zwei die Qualität des Essens verbessert. Dies führt in der dritten Phase zu mehr Gästen und einer Qualitätsreduzierung, worauf in der letzten Phase die Anzahl der Gäste wieder abnimmt. Der Rat des Fachmanns: Ein Restaurant aufsuchen, das am Anfang der zweiten Phase steht, das bietet Qualität und freie Plätze.

J. Alber

 


last change: 20.05.00 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

Home           Inhalt           Suchen