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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Universitätsabend mit Nobelpreisträger Dr. Bednorz:
Strom ohne Widerstand
 

Eine Lanze für die Grundlagenforschung, gerade auch in der Wirtschaft, brach Dr. Johannes Georg Bednorz von der IBM Research Division des Forschungslaboratoriums Rüschlikon bei Zürich beim Universitätsabend am 15. November 1999. Er sprach aus eigener Erfahrung, denn für die Entdeckung der Supraleitung bei relativ hoher Temperatur in einer neuen Klasse von keramischen Kupferoxiden war ihm im Jahr 1987 gemeinsam mit seinem Schweizer Kollegen Karl Alex Müller der Nobelpreis zuerkannt worden. „Strom ohne Widerstand. Hochtemperatur-Supraleitung - eine Entdeckung und ihre Folgen“ hatte er seinen Vortrag im Hörsaal 17.01 überschrieben. „Wir möchten mit Ihnen ins Gespräch kommen“, begrüßte Uni-Rektor Prof. Günter Pritschow im Hörsaal 17.01 die in großer Zahl erschienenen Zuhörer. Er nutzte die Gelegenheit, erneut seine Sorge über die geringen Anfängerzahlen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften zu äußern. „Jeder ist in seinem Bereich aufgefordert, auf die hervorragenden Berufschancen aufmerksam zu machen“, betonte er.

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Der Universitätsabend, diesmal gemeinsam mit IBM veranstaltet, bildete gleichzeitig den Abschluß einer Firmenpräsentation an der Uni. Unter dem Motto „Perspektiven“ hatte IBM Studierende eingeladen, sich über Firmenphilosophie und Berufschancen zu informieren. Erwin Staudt, Vorsitzender der Geschäftsführung der IBM Deutschland GmbH, wies auf das rasche Wachstum der Medien-, Telekommunikations- und Informationsindustrie hin. IBM pflege weltweit enge Verbindungen mit 120 Universitäten, 40 davon in Europa und acht in Deutschland. „Wir sind darauf angewiesen, die besten Talente an uns zu ziehen“, sagte er, und „natürlich stolz darauf, einen Nobelpreisträger in unseren Reihen zu haben“. Der 1950 in Neuenkirchen in Nordrhein-Westfalen geborene Bednorz skizzierte zunächst die Entwicklung im Bereich der Supraleiter. Unter Supraleitung versteht man die Fähigkeit gewisser Materialien, unterhalb einer bestimmten Temperatur elektrischen Strom ohne jeglichen Widerstand zu leiten. Der holländische Wissenschaftler Heike Kammerlingh-Onnes hatte dieses Phänomen im Jahr 1911 bei Quecksilber entdeckt. Jedoch konnten Anwendungsideen wie beispielsweise Stromtransport ohne Widerstand, so Bednorz, über Jahrzehnte hinweg nicht realisiert werden. Gemeinsam mit seinem späteren Nobelpreiskollegen Karl Alex Müller untersuchte Bednorz in Rüschlikon seit 1983 intensiv supraleitende Oxide. 1986 entdeckten Bednorz und Müller in einer bestimmten Klasse von Oxiden (Lanthan-Barium-Kupferoxid), daß der supraleitende Zustand bis hinauf zu einer Temperatur von 35 Kelvin anhielt, ein absoluter Rekord.


Die Entdeckung und Entwicklung der Hochtemperatur-
Supraleitung schilderte Nobelpreisträger Dr. Johannes Bednorz beim Universitätsabend am 15. November. (Foto: Eppler)

Die Struktur dieser Oxide mit ihrem dreidimensionalen Netzwerk ähnelt der Struktur der Perowskite, mit denen sich Bednorz schon für seine Diplomarbeit befaßt hat. Diese Entdeckung, für die die beiden Wissenschaftler 1987 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, entfachte weltweit enorme wissenschaftliche Aktivität. Neue Verbindungen wurden entdeckt und in der Anwendung wurden gewaltige Fortschritte erzielt. „Die Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleitung hat befruchtend auf andere Gebiete der Festkörperphysik gewirkt“, stellte Bednorz fest. Und die Nobelpreisträger machten ihre Erfahrungen auch auf anderen Feldern. „Wir waren plötzlich Medienstars, die wir dies nicht gewöhnt waren“, berichtete er. Man experimentierte weltweit mit den Parametern Gitterstruktur, Korngrenzen und kritischer Stromdichte. Und in der ausbrechenden „Supraleitungseuphorie“ gab es immer wieder „temporäre Rekordmeldungen über Usos, Unidentified Superconducting Objects“. Inzwischen steht der Weltrekord für Supraleitung bei 135 Kelvin. Heute versuchen die Forscher, die kritischen Ströme durch Texturierung der Materialien in den Griff zu bekommen. Anwendungen der Hochtemperatursupraleitung (HTSL) liegen, wie Bednorz berichtete, in der Verkehrs- und Energietechnik, in der Mikrowellentechnik, Medizintechnik oder im Bereich Telekommunikation bei der Trennung von Kanälen für mobile Telefone. HTSL-Kabel können bei der Energieversorgung von Ballungsgebieten mit den herkömmlichen, wesentlich größer dimensionierten ölgekühlten Kupferkabeln bereits annähernd konkurrieren. Supraleitende Transformatoren sind im Vergleich zu herkömmlichen nicht nur effizienter, sondern sie können auch kleiner und leichter gebaut werden und sind umweltfreundlicher. Auch in Elektromotoren lassen sich die Kupferkabel durch HTSL ersetzen. Intensiv gearbeitet wird zur Zeit zudem an der Entwicklung von Strombegrenzern auf HTSL-Basis. Solche Strombegrenzer sind, sagte Bednorz, bereits im Kraftwerk Löntsch in der Schweiz im Einsatz. Auch für kontaktlose Untersuchung von Materialproben oder für die Messung der Magnetfelder als Folge der menschlichen Hirnströme (SQUIDs) sei diese Technologie geeignet. Die intensive Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Supraleitung habe außerdem zu einer „Wiederauferstehung der Perowskite“ geführt, sagte Bednorz. Er sei zuversichtlich, daß in den Perowskiten, die möglicherweise in Verbindung mit Silizium Furore machen würden, ein „Reservoir für neue Technologien“ liege. /zi

Zum Werdegang von Johannes Georg Bednorz

1950 in Neuenkirchen (Nordrhein-Westfalen) geboren, studierte Johannes G. Bednorz ab 1968 zunächst Chemie, später Kristallographie an der Universität Münster. Der erste Kontakt zum Züricher Forschungslaboratorium der IBM im Jahr 1972 im Rahmen eines dreimonatigen Studienaufenthaltes legte die Grundlage für seine spätere Entscheidung, in die Schweiz zu wechseln. Bereits für den experimentellen Teil seiner Diplomarbeit arbeitete er 1974 wieder ein halbes Jahr in Rüschlikon. Nach einem weiteren Jahr an der Universität Münster wechselte er 1977 zur Promotion an die ETH Zürich. Wie schon für sein Diplom setzte er dort seine Untersuchungen zum Kristallwachstum sogenannter Perowskiten, ihrer Struktur und ihren dielektrischen und ferroelektrischen Eigenschaften fort. 1982 trat Bednorz in das Forschungslaboratorium der IBM in Rüschlikon ein. Seit 1983 untersuchte er dort mit seinem Nobelpreiskollegen Karl Alex Müller intensiv hochtemperaturleitende Oxide. Neben dem Nobelpreis (1987) wurde die wissenschaftliche Arbeit von Dr. Bednorz mit zahlreichen weiteren Preisen gewürdigt, darunter der Thirteenth Fritz London Memorial Award, der Dannie Heinemann Prize, der Robert Wichard Pohl Prize, der Hewlett Packard Europhysics Prize sowie der International Prize for Materials Research.

 

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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