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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Brückenbauer über viele Bereiche:
Zum Tod von Fritz Leonhardt
 

Professor Fritz Leonhardt, einer der bedeutendsten Bauingenieure unserer Zeit, ist am 30. Dezember 1999 im Alter von 90 Jahren gestorben. - Führt man sich als ihm nahestehender früherer Mitarbeiter und späterer Kollege und Nachfolger sein gewaltiges Werk in Forschung, Lehre und Ingenieurpraxis vor Augen, dann fragt man sich, woraus er seine unglaubliche und kontinuierliche Schaffenskraft schöpfte: Aus der Fähigkeit, nur das an sich heran zu lassen, was er der Aufmerksamkeit für wert hielt, um sich dem dann ganz zu widmen. Dabei half ihm seine ausgeprägte Mitteilsamkeit in Wort und Schrift, mit der er nicht nur seine Umgebung an dem, was ihn bewegte, teilhaben ließ, sondern mit der er sich vor allem dessen entledigte, was er loswerden wollte. Er umgab sich so mit Harmonie, die ihn selten seine Ruhe und nie seine Konzentration verlieren ließ. Dazu paßte sein glückliches Familienleben und seine Liebe zur Natur, seine schwäbische Mischung aus Bodenständigkeit und Weltoffenheit; er lebte mit Ausnahme weniger Jahre in Stuttgart, zog aber schon als Schüler quer durch Europa und als Student nach Amerika. Aus seinem großen Bekanntenkreis entwickelten sich einige überaus fruchtbare Partnerschaften, vor allem mit Eduard Mönnig an der Universität Stuttgart und mit Wolfhart Andrä, Willi Bauer und Wilhelm Zellner in seinem Büro.

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Leonhardts fachliches Schlüsselerlebnis war die Rodenkirchener Hängebrücke über den Rhein, deren Entwurf und Bauleitung ihm 28jährig übertragen wurde. Diese Brücke, seine Zeit im Autobahnbau und ab 1939 sein eigenes Büro brachte ihn mit Ingenieuren und Architekten zusammen, die den Entwurfsingenieur Leonhardt prägten. Seither stand für ihn die ästhetische Qualität eines Bauwerks unlösbar gleichwertig neben seiner technischen. Entscheidend war Rodenkirchen für Leonhardt vor allem, weil ihm diese Brücke zeigte, daß ein Ingenieur (fast?) jede Aufgabe lösen kann und er zu immer wieder besseren Lösungen kommt, wenn er sich der Aufgabe mit Selbstvertrauen, Phantasie und Fleiß hingibt, das Vertrauen seiner Vorgesetzen besitzt und sich auf seine Mitarbeiter verlassen kann. Dieser Erfahrung entsprechend hat er sich später Jüngeren gegenüber verhalten und hat ihnen am meisten dadurch gegeben, daß er sie stets für voll nahm und bis an ihre Grenzen forderte. Am Wiederaufbau nach dem Krieg nahm Leonhardt entscheidenden Anteil, vor allem als Brückeningenieur, mit seinen Entwürfen von immer besseren und schöneren Stahl- und Spannbetonbrücken, seinen Entwicklungen von Leichtfahrbahnen aus Stahl, Fahrbahnübergängen und Lagern (mit W. Andrä), seinen verschiedenen Spannverfahren und Brückenbauverfahren, wie dem Taktschiebeverfahren (mit W. Baur) und schließlich seinen originellen Beiträgen zum Bau aerodynamisch stabiler Hängebrücken sowie den großen Schrägkabelbrücken aus Stahl und Spannbeton (mit W. Andrä und W. Zellner). Ebenso bekannt sind seine Türme, deren moderne Stahlbetonbauweise - mit dem Stuttgarter Fernsehturm 1954 begründet - weltweit Vorbild wurde. Hinzu kamen neuartige Schalen-, Hänge- und Seilnetzdächer. Nicht annähernd kann alles Erwähnenswerte auch nur angedeutet werden. Deshalb hier nur noch, weil weniger bekannt, der Hinweis, daß sein Interesse auch stets dem Hoch- und Hochhausbau galt. Davon zeugen nicht nur zahlreiche Bauten, sondern auch die von ihm entwickelte Schüttbauweise. Daher stammte auch seine ständige Forderung nach einer engeren Zusammenarbeit von Architekten und Bauingenieuren und seine schon frühe, heute allgemein anerkannte Betonung der Bedeutung der Bauphysik. Leonhardt sah seine Bauten nie isoliert als rein technische Herausforderung. Er bekämpfte Vorhaben, die ihm in ihrem Umfeld fragwürdig schienen, auf eigenes Risiko mit Gegenvorschlägen, etwa als er 1945/46 gegen eine von der Militärregierung geplante Behelfsbrücke in Köln-Deutz die erste bleibende neue Brücke über den Rhein durchsetzte. Er lehnte stets dann die Mitarbeit an technisch noch so interessanten Projekten ab, wenn er ihren Zweck innerlich verneinte, sei er etwa großtuerisch oder militärisch. Gegen alle Vernunft und Erfahrung scheute er sich nicht, immer wieder Gleiches auch von anderen zu fordern, die Solidarität der Techniker und Wissenschaftler der Welt gegen den Mißbrauch der Technik und gegen den Krieg. Der Lehrstuhl für Massivbau und das Otto-Graf-Institut der Universität Stuttgart boten ihm von 1958 bis 1974 Gelegenheit, sich wissenschaftlich mit dem Stahlbeton zu beschäftigen. Er hat 38 Dissertationen betreut. Auch wenn manche seiner Forschungsergebnisse nicht ganz den von ihm gewünschten Widerhall in den deutschen Normen gefunden haben, so hat er auch damit Wirkungen erzielt und Anregungen gegeben, wie nur wenige vor ihm. Neben seinen etwa 350 Aufsätzen und seinem Buch „Spannbeton für die Praxis“ finden selbst heute seine sechsbändigen, in acht Sprachen übersetzten „Vorlesungen über Massivbau“ nicht ihresgleichen. 1967 bis 1969, während der Anfänge der Studentenunruhen, zeigte er als Rektor seiner Universität, daß er auch im nichtfachlichen Bereich ein ausgesprochenes Gespür für das unmittelbar Notwendige und Durchsetzbare hatte. Er suchte das direkte Gespräch mit den Studenten, beeindruckte sie durch seine engagierte Schlichtheit und bewahrte so den Hausfrieden. Dann verarbeitete er diese Zeit literarisch in seinem „Plädoyer für die Jugend“. Er war aktives, heilsame Unruhe verbreitendes Mitglied oder Leiter unzähliger nationaler sowie internationaler Fachgremien. Wenn hier schon nicht der Platz reicht für die Aufzählung auch nur der wichtigsten Bauten, Innovationen und wissenschaftlichen Leistungen Leonhardts, so ist es sicher ganz in seinem Sinne, wenn über seine Ehrungen nur pauschal vermerkt wird, daß ihm die höchsten zuteil wurden. Zu ihrer großen Zahl sagte er, der sich nie durch mangelndes Selbstvertrauen und nutzloses Reflektieren von seiner Arbeit ablenken ließ und Ehrungen deshalb nicht als Ansporn nötig hatte, selbst einmal, es sei jetzt genug! Obwohl er sich in den letzten Jahren zunehmend aus dem aktiven Geschehen zurückzog, schrieb er noch zwei wichtige Bücher, seine überaus anregenden und erfolgreichen „Brücken“ und - zusammen mit Erwin Heinle - „Türme aller Zeiten - aller Kulturen“. Er hielt immer noch Vorträge, seinen letzten großen auf dem Betontag 1999, und bezog Stellung, wo immer er es für nötig hielt. Jüngere Entwicklungen, die die ohnehin trostlose gestalterische Monotonie des deutschen Brückenbaus noch verfestigen, stießen auf seinen aktiven Widerstand, der seinen Nachfolgern im Büro und an der Universität und allen deutschen Brückenbauern Verpflichtung zur Erneuerung sein sollte. An der Feier zu seinem 90. Geburtstag mit der Verleihung des ersten Fritz-Leonhardt-Preises der Ingenieurkammer Baden-Württemberg nahm er noch regen Anteil, war aber schon recht schwach. - Die mit ihm arbeiteten, hat er fürs ganze Leben geprägt, und sie sind froh, daß sie ihm bei diesem Anlaß im Juli vergangenen Jahres dafür noch selbst danken konnten.

Jörg Schlaich

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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