Home           Inhalt           Suchen

Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Grundlagen der volkswirtschaftlichen Bewertung im Verkehr:
Was kostet uns die Mobilität wirklich?
 

Es steht außer Frage, daß im Bereich von Verkehr und Umwelt weitreichende Wirkungen bestehen, die zwar zu volkswirtschaftlich relevanten Kosten führen, aber in der gewohnten Kostenerstattung nicht erscheinen. Sogenannte externe Kosten entstehen durch negative Auswirkungen eines Wirtschaftssubjekts auf ein anderes Wirtschaftssubjekt, die nicht über den Markt- und Preismechanismus geregelt werden. Beispiele dafür sind Lärm- und Schadstoffemissionen, die vom Verkehr ausgehen und für welche die Geschädigten von den Verursachern keine Entschädigung verlangen können. Bei einer Kostenbetrachtung der Verkehrsträger und -teilnehmer werden diese Faktoren nicht berücksichtigt, in die volkswirtschaftliche Bewertung müssen diese externen Kosten dagegen einbezogen werden.

kleinbal.gif (902 Byte)
 

Die Kosten-Nutzen-Analyse, die in der Bundesrepublik Deutschland vor allem als volkswirtschaftliches Bewertungsverfahren bei Verkehrsprojekten verwendet wird, geht von einer individualistischen Sichtweise aus. Entscheidend für die volkswirtschaftliche Wohlfahrtsänderung ist, welche Nutzenänderung ein Projekt bei Individuen hervorruft. Die volkswirtschaftliche Wohlfahrtsänderung ergibt sich als Summe der individuellen Nutzenänderungen. Zusätzliche Nutzen bzw. Kosten lassen sich teilweise direkt über Marktpreise messen, wie bei eingesparten oder zusätzlichen Betriebskosten. Zum Teil müssen Marktpreise korrigiert werden, wie bei Treibstoffkosten, bei denen die Mineralölsteuer nicht als Ressourcenverzehr gezählt werden darf, da sie volkswirtschaftlich einen Transfer an den Staat darstellt. Für bestimmte Auswirkungen des Verkehrs wie für Schadstoff- oder Lärmemmissionen oder für Zeitersparnisse gibt es keine Marktpreise. Sofern also für Auswirkungen des Verkehrs keine Marktpreise vorliegen oder diese die externen Kosten nicht enthalten, sind bei der Bewertung Schattenpreise zu verwenden. Schattenpreise sind künstliche Preise, welche die volkswirtschaftlichen Kosten von Gütern ausdrücken sollen. Zur pragmatischen Ermittlung von Schattenpreisen gibt es mehrere Verfahren. Diese sollen am Beispiel Verkehrslärm erläutert werden. Als wichtigste Verfahren, die auch bei den verbreiteten Bewertungsverfahren im Verkehrsbereich Verwendung finden, sind zu nennen:

  • Schadenskostenansatz,
  • Vermeidungskostenansatz,
  • Zahlungsbereitschaftsansatz,
  • Hedonischer Preisansatz.

Beim Schadenskostenansatz wird versucht, möglichst vollständig die zurechenbaren Folgen des Verkehrslärms zu erfassen - wobei sowohl Vollständigkeit als auch Zurechenbarkeit immer ein Problem darstellen - und diese Folgen mit Preisen zu bewerten. Beim Lärm könnten dies Behandlungskosten infolge lärmbedingter Erkrankungen und eine verminderte Arbeitsproduktivität sein. Beim Vermeidungskostenansatz läßt sich eine Untergrenze für die Kosten negativer Auswirkungen durch die Ausgaben abschätzen, die zur Vermeidung dieser Auswirkungen getätigt werden müssen. Im Falle von Verkehrslärm erfolgt die Abschätzung etwa durch die Kosten des Einbaus von Lärmschutzfenstern zur Erreichung eines als zumutbar angesehenen Lärmpegels. Bei diesem Ansatz liegt das Problem zum einen darin, daß Störungen, gegen die keine Maßnahmen ergriffen werden, nicht als Kosten erfaßt werden, so die eingeschränkte Nutzbarkeit von Balkonen oder Einschränkungen bei der Lüftung trotz Schallschutzfenstern. Zum anderen ist unklar, welche Vermeidungsaktivitäten als angemessen anzusehen sind. Ineffiziente Vermeidungsaktivitäten führen zu einer Überzeichnung der Kosten. Beim Zahlungsbereitschaftsansatz werden Betroffene etwa nach ihrer Zahlungsbereitschaft für die Verminderung der Lärmbelastung oder nach ihrer Ausgleichsforderung für eine Erhöhung der Lärmbelastung gefragt oder nach der Miete, die sie bei unterschiedlicher Lärmbelastung zu zahlen bereit sind. Probleme bei diesem Ansatz stellen zum einen die hypothetische Situation dar, die nur eingeschränkt Schlüsse auf das Verhalten in einer realen Situation zuläßt, und zum zweiten die Gefahr eines strategischen Verhaltens. Ein weiteres Problem ist die große Diskrepanz zwischen Zahlungsbereitschaft und Ausgleichsforderung bei gleicher Lärmänderung. Die Ausgleichsforderung für eine Erhöhung der Lärmbelastung liegt im allgemeinen bei einem Mehrfachen der Zahlungsbereitschaft für die entsprechende Reduktion der Lärmbelastung. Der Wertansatz für eine Lärmänderung hängt damit in starkem Maße von der Ausgangslage bzw. von der Verteilung der Eigentumsrechte für das Gut Ruhe ab. Beim hedonischen Preisansatz wird versucht, aus Preisunterschieden von ansonsten gleichen Gütern auf den Wert einzelner Charakteristika zu schließen, beispielsweise von Immobilienpreisen auf die Kosten der Lärm- und Schadstoffbelastung. Hier ist die Zuordnung von einzelnen Charakteristika zu Preisunterschieden oft schwierig oder nicht möglich, wenn Merkmale nur als Bündel auftreten, beispielsweise Lärmbelastung und zentrale/verkehrsgünstige Lage. Es gibt jedoch auch Größen, für deren Monetarisierbarkeit keine hinreichende wissenschaftliche Basis vorhanden ist und/oder für die kein (auch politischer) Konsens besteht. Soweit sie kardinal in originären Meßgrößen quantifizierbar sind, werden sie dann üblicherweise in Nutzwerten dargestellt. Dabei tritt generell - wie auch bereits bei der Monetarisierung über Schattenpreise - bei allen nicht originär in Geldwerten meßbaren Wirkungsbeiträgen die Notwendigkeit auf, die in unterschiedlichen Dimensionen gemessenen Wirkungen in eine einheitliche Meßskala umzusetzen. Für diejenigen, für deren Umrechnung in Geldgrößen kein wissenschaftliches/politisches Einvernehmen besteht, werden die Nutzwertbeiträge besser in eine Punkteskala überführt, weil damit nach Meinung der Verfasser auch deutlicher als bei Geldwerten zum Ausdruck kommt, daß diese Komponenten in höherem Maße subjektiven Wertvorstellungen unterliegen. Bei nur ordinal bewertbaren oder gar nur verbal beschreibbaren Wirkungen ist die Einbeziehung in eine Skalentransformation grundsätzlich problematisch. Ihre Integration in eine quantitative Bewertung ist daher nicht lösbar; sie können nur ergänzend in den Bewertungsprozeß einbezogen werden. Bei den üblichen Bewertungsverfahren werden mit unterschiedlichen Ansätzen ermittelte monetäre Wertansätze verwendet. Dies ist im Hinblick auf die Konsistenz kritisierbar, liegt aber darin begründet, daß nicht jeder Ansatz zur Bestimmung von Schattenpreisen für jeden Bewertungsgegenstand geeignet ist. Im Bereich des Verkehrswesens existieren verschiedene Verfahren zur Bewertung von Infrastrukturprojekten, die auf dem Prinzip multikriterieller Nutzen-Kosten-Untersuchungen aufbauen. Diese Verfahren konnten (neben ihrer Hauptaufgabe, Entscheidungshilfen für Investitionsentscheidungen zu bieten) auch im Rahmen von Umwelt- und Telematikprojekten erfolgreich für die Bewertung anderer Maßnahmenarten, wie etwa der Ordnungspolitik oder der Verkehrsleittechnik, angewendet werden. Im Rahmen des an der Universität Stuttgart durchgeführten Projekts ‚Wege zu einer umweltverträglichen Mobilität am Beispiel der Region Stuttgart‘ (WUMS) wurden diese Verfahren zur Bewertung raumstruktureller Maßnahmen eingesetzt. Bei den hier relevanten Verfahren handelt es sich für die gesamtwirtschaftliche Bewertung um

  • das Bewertungsverfahren für den Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 1992 (Bundesminister für Verkehr (Hrsg.): Gesamtwirtschaftliche Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen. Bewertungsverfahren für den Bundesverkehrswegeplan 1992, Schriftenreihe BMV Heft 72, Bonn 1993),
  • die „Empfehlungen für die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen" (EWS) (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen, Entwurf, Ausgabe 1997)
  • die „Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des öffentlichen Personennahverkehrs" (Bundesminister für Verkehr (Hrsg.): Anleitung für die Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des öffentlichen Personennahverkehrs, 1976,1981, 1988, letzte Fortschreibung 1993 (Fortschreibung für 2000 in Bearbeitung)).

Diese Verfahren sind methodisch weitgehend kompatibel, beruhen aber entsprechend ihrer unterschiedlichen Einsatzbereiche teilweise auf anderen Grundlagen und weisen unterschiedliche Detaillierungsgrade auf. Das Bewertungsverfahren zum BVWP stellt ein im Grundsatz verkehrszweigübergreifendes Verfahren für den Fernverkehr dar, bei dem allerdings die Wirkungsrechnungen für die einzelnen Verkehrszweige bisher weitgehend unabhängig voneinander erfolgen. (Zum Beispiel fehlte bis zur letzten BVWP ein verkehrszweigübergreifendes Nachfragemodell). Die beiden anderen Verfahren konzentrieren sich auf ihre jeweilige verkehrszweigspezifische Aufgabenstellung. Beim Projekt WUMS wurde aufbauend auf den bestehenden Verfahren ein Ansatz für eine verkehrszweigübergreifende volkswirtschaftliche Bewertung von MIV (Motorisierter Individualverkehr) und ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr) für die verschiedenen Maßnahmeszenarien im Nahverkehr entwickelt.

Frank C. Englmann/ Gerhard Heimerl

 


last change: 20.05.00 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

Home           Inhalt           Suchen