Ansatz
der Logistik ist es, mit Bündelungsstrategien die Auslastung
der Verkehrsmittel zu verbessern und so ein Minimum an
Ressourcen zu verbrauchen. Der Bündelungsprozeß läuft
im Verkehr in zwei Stufen: Zunächst werden die Objekte
- Personen oder Güter - bei der vollständigen Beladung
der Verkehrsmittel gebündelt; in der zweiten Stufe werden
diese Verkehrsmittel so bewegt, daß die Belastung der
Infrastruktur durch die verschiedenen Verkehrsmittel nicht
zu groß wird. Die in der Vergangenheit zur gemeinsamen
Pkw-Nutzung entwickelten Konzepte basieren auf der Nutzung
eines Fahrzeugs oder eines Fahrzeugpools durch eine fest
definierte Personengruppe. Die Mehrfachnutzung der Fahrzeuge
besteht dabei im wesentlichen in der zeitlichen Abfolge
der Nutzung und weniger in der Steigerung des durchschnittlichen
Besetzungsgrades. Bei den Berufspendlern und der damit
verbundenen langen Standzeit am Arbeitsort ist diese Art
der Mehrfachnutzung schwer möglich. Für Berufspendler
steht die Bildung von Fahrgemeinschaften im Vordergrund.
Üblich ist die feste Fahrgemeinschaft von Mitarbeitern
desselben Betriebes. Solche festen Fahrgemeinschaften
bilden sich oft aus der Eigeninitiative der Mitarbeiter
oder sie werden von Mitfahrzentralen, wie im Rahmen des
CarPlus-Projektes, ins Leben gerufen. Zu den wichtigsten
Motiven für die Fahrgemeinschaftenbildung gehören die
Kosten und die Parkplatzproblematik. Herkömmliche Mitfahrzentralen
und Mitfahrbörsen haben sich auf die Vermittlung von festen
oder einmaligen Fahrgemeinschaften über längere Distanzen
spezialisiert. Im Rahmen des Forschungsprojektes M21 (siehe
dazu den vorhergehenden Beitrag) wird der Dynamische Mitfahrservice
als neue Mobilitätsdienstleistung definiert. Zielgruppe
sind die Berufspendler, die aufgrund variabler Arbeitszeiten
bislang keine Fahrgemeinschaften bilden konnten. Der Dynamische
Mitfahrservice wendet sich an Kunden, die sowohl die Flexibilität
des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) als auch die
Kostenvorteile des ÖPNV nutzen wollen. Dynamisch heißt
hier, daß sich die Zusammensetzung der Fahrgemeinschaften
von Fahrt zu Fahrt ändern kann. Die Bildung der Fahrgemeinschaften
erfolgt über eine Mobilitätszentrale, die alle eingehenden
Fahrtwünsche sammelt und die Teilnehmer über die mögliche
Fahrgemeinschaft informiert. Diese Zentrale bietet als
garantierte Dienstleistung „Mobilität" mit einer hunderprozentigen
Verfügbarkeit an. Sollte also für einen Mitfahrer keine
Vermittlung in eine Fahrgemeinschaft möglich sein, so
vermittelt die Zentrale ein alternatives Angebot, wobei
im Rahmen der Notfallstrategien auch der ÖPNV oder das
Taxi eingesetzt werden. Durch die Bildung dynamischer
Fahrgemeinschaften für Berufspendler ist es möglich, gerade
in Spitzenzeiten das Verkehrsaufkommen zu reduzieren.
Die positiven Effekte der dynamischen Fahrgemeinschaften
lassen sich mit dem Modell einer Auflösung der Verkehrsganglinie
bzw. deren Interpretation als Überlagerung dynamischer,
separat beeinflußbarer Verkehrsgruppen bestimmen. Dabei
werden Methoden und Ansätze der Logistik sowie der Graphentheorie
zur Darstellung und Berechnung der Belastung der Infrastruktur
verwendet. Die Stuttgarter Informatiker untersuchen seit
1994 Fragen des Transports und der automatischen Zusammenstellung
von gewöhnlichen (also für einen längeren Zeitraum geplanten)
Fahrgemeinschaften. Am Anfang standen theoretische Untersuchungen,
die der Klassifizierung und der Abschätzung optimaler
Algorithmen dienten. Das Problem lautet: Zu einem vorliegenden
Straßennetz soll für n Personen, deren Wohnungs- und Arbeitsanschriften
und Beginn und Ende der Arbeitszeiten einzugeben sind,
ein Vorschlag für möglichst wenige Fahrgemeinschaften,
aus jeweils höchstens vier (allgemein k) Personen, mit
Angabe des jeweiligen Fahrers und der Fahrtrouten (als
Nebenbedingung ist eine Zumutbarkeitsgrenze für Umwege
einzuhalten), erstellt werden; zusätzlich ist die Gesamtstrecke
oder die Summe aller Fahrzeiten zu optimieren. Kurzfristige
Aktualisierungen und adhoc-Anforderungen bis hin zum Anbinden
an den ÖPNV sind denkbar. Hergeleitet wurden die algorithmische
Schwierigkeit (NP-Härte für k > 2) und erfolgversprechende
Näherungsverfahren. In anschließenden Projekten mit Studierenden
über „Fahrgemeinschaften" und über „Transportoptimierung",
letztere zusammen mit dem Deutschen Roten Kreuz Stuttgart,
wurden Prototypen gebaut. Die Projekte erwiesen sich aus
Sicht der Ausbildung als besonders erfolgreich, da es
anspruchsvolle Inhalte und Methoden aus verschiedenen
Gebieten der Informatik und der Verkehrswissenschaft einzusetzen
und Anforderungen der Praxis und der beteiligten Personen
zu beachten galt. In Zusammenarbeit mit einer Mitfahrzentrale
wurden die praktischen Randbedingungen, in Zusammenarbeit
mit dem Roten Kreuz Bedingungen wie die zusätzliche Nutzung
der Fahrzeuge für verschiedene Dienste untersucht. Eine
Fülle weiterer Problemstellungen können auf der Grundlage
der formalen Konzepte aus der Graphen- und Netztheorie
in Angriff genommen werden: Prognosen über das Verkehrsaufkommen,
Stauverfolgung, diskrete Simulation, zeitabhängige Wegeberechnungen,
Transportoptimierung auf der Straße und der Schiene, Kopplung
von MIV und ÖPNV, Fahrplanoptimierung, Car-Sharing usw.
Horst
J. Roos, Volker Claus