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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Dynamische und gewöhnliche Fahrgemeinschaften:
Spitzenbelastungen der Verkehrsinfrastruktur verringern
 

An der Universität Stuttgart untersuchen Wissenschaftler aus den Bereichen Logistik und Informatik, wie im Güterverkehr Transportmittel optimal genutzt und bei der Personenbeförderung die Bildung von Fahrgemeinschaften mit Werkzeugen unterstützt werden können.

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Ansatz der Logistik ist es, mit Bündelungsstrategien die Auslastung der Verkehrsmittel zu verbessern und so ein Minimum an Ressourcen zu verbrauchen. Der Bündelungsprozeß läuft im Verkehr in zwei Stufen: Zunächst werden die Objekte - Personen oder Güter - bei der vollständigen Beladung der Verkehrsmittel gebündelt; in der zweiten Stufe werden diese Verkehrsmittel so bewegt, daß die Belastung der Infrastruktur durch die verschiedenen Verkehrsmittel nicht zu groß wird. Die in der Vergangenheit zur gemeinsamen Pkw-Nutzung entwickelten Konzepte basieren auf der Nutzung eines Fahrzeugs oder eines Fahrzeugpools durch eine fest definierte Personengruppe. Die Mehrfachnutzung der Fahrzeuge besteht dabei im wesentlichen in der zeitlichen Abfolge der Nutzung und weniger in der Steigerung des durchschnittlichen Besetzungsgrades. Bei den Berufspendlern und der damit verbundenen langen Standzeit am Arbeitsort ist diese Art der Mehrfachnutzung schwer möglich. Für Berufspendler steht die Bildung von Fahrgemeinschaften im Vordergrund. Üblich ist die feste Fahrgemeinschaft von Mitarbeitern desselben Betriebes. Solche festen Fahrgemeinschaften bilden sich oft aus der Eigeninitiative der Mitarbeiter oder sie werden von Mitfahrzentralen, wie im Rahmen des CarPlus-Projektes, ins Leben gerufen. Zu den wichtigsten Motiven für die Fahrgemeinschaftenbildung gehören die Kosten und die Parkplatzproblematik. Herkömmliche Mitfahrzentralen und Mitfahrbörsen haben sich auf die Vermittlung von festen oder einmaligen Fahrgemeinschaften über längere Distanzen spezialisiert. Im Rahmen des Forschungsprojektes M21 (siehe dazu den vorhergehenden Beitrag) wird der Dynamische Mitfahrservice als neue Mobilitätsdienstleistung definiert. Zielgruppe sind die Berufspendler, die aufgrund variabler Arbeitszeiten bislang keine Fahrgemeinschaften bilden konnten. Der Dynamische Mitfahrservice wendet sich an Kunden, die sowohl die Flexibilität des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) als auch die Kostenvorteile des ÖPNV nutzen wollen. Dynamisch heißt hier, daß sich die Zusammensetzung der Fahrgemeinschaften von Fahrt zu Fahrt ändern kann. Die Bildung der Fahrgemeinschaften erfolgt über eine Mobilitätszentrale, die alle eingehenden Fahrtwünsche sammelt und die Teilnehmer über die mögliche Fahrgemeinschaft informiert. Diese Zentrale bietet als garantierte Dienstleistung „Mobilität" mit einer hunderprozentigen Verfügbarkeit an. Sollte also für einen Mitfahrer keine Vermittlung in eine Fahrgemeinschaft möglich sein, so vermittelt die Zentrale ein alternatives Angebot, wobei im Rahmen der Notfallstrategien auch der ÖPNV oder das Taxi eingesetzt werden. Durch die Bildung dynamischer Fahrgemeinschaften für Berufspendler ist es möglich, gerade in Spitzenzeiten das Verkehrsaufkommen zu reduzieren. Die positiven Effekte der dynamischen Fahrgemeinschaften lassen sich mit dem Modell einer Auflösung der Verkehrsganglinie bzw. deren Interpretation als Überlagerung dynamischer, separat beeinflußbarer Verkehrsgruppen bestimmen. Dabei werden Methoden und Ansätze der Logistik sowie der Graphentheorie zur Darstellung und Berechnung der Belastung der Infrastruktur verwendet. Die Stuttgarter Informatiker untersuchen seit 1994 Fragen des Transports und der automatischen Zusammenstellung von gewöhnlichen (also für einen längeren Zeitraum geplanten) Fahrgemeinschaften. Am Anfang standen theoretische Untersuchungen, die der Klassifizierung und der Abschätzung optimaler Algorithmen dienten. Das Problem lautet: Zu einem vorliegenden Straßennetz soll für n Personen, deren Wohnungs- und Arbeitsanschriften und Beginn und Ende der Arbeitszeiten einzugeben sind, ein Vorschlag für möglichst wenige Fahrgemeinschaften, aus jeweils höchstens vier (allgemein k) Personen, mit Angabe des jeweiligen Fahrers und der Fahrtrouten (als Nebenbedingung ist eine Zumutbarkeitsgrenze für Umwege einzuhalten), erstellt werden; zusätzlich ist die Gesamtstrecke oder die Summe aller Fahrzeiten zu optimieren. Kurzfristige Aktualisierungen und adhoc-Anforderungen bis hin zum Anbinden an den ÖPNV sind denkbar. Hergeleitet wurden die algorithmische Schwierigkeit (NP-Härte für k > 2) und erfolgversprechende Näherungsverfahren. In anschließenden Projekten mit Studierenden über „Fahrgemeinschaften" und über „Transportoptimierung", letztere zusammen mit dem Deutschen Roten Kreuz Stuttgart, wurden Prototypen gebaut. Die Projekte erwiesen sich aus Sicht der Ausbildung als besonders erfolgreich, da es anspruchsvolle Inhalte und Methoden aus verschiedenen Gebieten der Informatik und der Verkehrswissenschaft einzusetzen und Anforderungen der Praxis und der beteiligten Personen zu beachten galt. In Zusammenarbeit mit einer Mitfahrzentrale wurden die praktischen Randbedingungen, in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz Bedingungen wie die zusätzliche Nutzung der Fahrzeuge für verschiedene Dienste untersucht. Eine Fülle weiterer Problemstellungen können auf der Grundlage der formalen Konzepte aus der Graphen- und Netztheorie in Angriff genommen werden: Prognosen über das Verkehrsaufkommen, Stauverfolgung, diskrete Simulation, zeitabhängige Wegeberechnungen, Transportoptimierung auf der Straße und der Schiene, Kopplung von MIV und ÖPNV, Fahrplanoptimierung, Car-Sharing usw.

Horst J. Roos, Volker Claus

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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