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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Ist die innere Wiedervereinigung gelungen?
Die Mauer in den Köpfen
 

„Zehn Jahre Fall der Mauer - eine Bilanz“. Unter diesem Motto fand am 9. November 1999 ein Symposium des Instituts für Sozialwissenschaften (Abteilung für Politische Systeme und Politische Soziologie) statt. Der historische Termin war nicht nur Anlaß für einen umfassenden Rückblick auf das wiedervereinigte Deutschland, sondern auch für einen Einblick in die Arbeit der Stuttgarter Politikwissenschaftler. Präsentiert wurden jüngste Forschungsergebnisse aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit insgesamt über einer Million Mark geförderten Wahl- und Einstellungsforschungsprojekt der Universitäten Stuttgart, Bamberg und Mainz unter Federführung der Universität Stuttgart (Prof. Dr. Oscar W. Gabriel). g

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Das Projekt befaßt sich sowohl mit Fragestellungen aus dem Bereich der Wahlforschung als auch mit dem Transformationsprozeß der politischen Orientierungen und Verhaltensweisen in Ost- und Westdeutschland nach der Wiedervereinigung. Datengrundlage sind umfangreiche Befragungen, die 1994 und 1998 im Umfeld der Bundestagswahlen in Ost- und Westdeutschland durchgeführt wurden. Ein bunt gemischtes Publikum aus Wissenschaftlern, Studierenden, Pressevertretern und interessierten Stuttgartern hatte sich eingefunden, um Vorträge zu den folgenden Themen zu hören: Einstellungen zur Demokratie im vereinigten Deutschland, DDR-Nostalgie, politische Effektivität, Bewertung von Politikern durch die Bevölkerung, Gefühl der Vertretenheit durch Parteien und Verbände, Generationen und demokratisches Bewußtsein sowie Medienberichterstattung und „innere Einheit“. Einige Ergebnisse im Überblick: Prof. Gabriel berichtete, daß ein demokratischer Grundkonsens zwischen Ost- und Westdeutschland allenfalls in Ansätzen zu erkennen sei. Ein besonderes Problem sei, daß die Ostdeutschen zwar demokratische Prinzipien, wie beispielsweise die Meinungsfreiheit, unterstützten, aber mit der „Realität“ der Demokratie viel unzufriedener seien als die Westdeutschen. Katja Neller stellte ein großes Maß an DDR-Nostalgie in Ostdeutschland fest, gemessen zum Beispiel an der Zustimmung zur Aussage „Die DDR hatte mehr gute als schlechte Seiten“. Begünstigt würden solche „ostalgischen“ Einstellungen vor allem durch Arbeitslosigkeit. Angelika Vetter befaßte sich mit dem Gefühl der Ost- und Westdeutschen, auf die Politik Einfluß nehmen zu können bzw. dem Glauben, daß Politiker auf die Interessen der Bürger Rücksicht nehmen. Ihr Fazit: Hier unterscheiden sich Ost- und Westdeutsche kaum voneinander. Wahlen haben grundsätzlich einen stimulierenden Einfluß auf die Effektivitätsgefühle der Bürger. Einstellungen zu Politikern waren das Thema von Melanie Walter. Ihr Hauptergebnis: Hier gibt es kaum Ost-West-Unterschiede - die Notwendigkeit von Berufspolitikern wird allgemein akzeptiert, ansonsten werden Politiker aber eher negativ bewertet. Isabell Thaidigsmann präsentierte ihre Forschungen zur Vertretung der Bürgerinteressen durch Parteien und Verbände. Deutlich zeigt sich hier über die Jahre ein Zuwachs bei der SPD - dies fand seinen Ausdruck im Ausgang der Bundestagswahl 1998. Ein besonders auffälliger Befund ist auch, daß mehr und mehr Ostdeutsche das Gefühl haben, ihre Interessen würden durch die PDS gut vertreten. Mit Generationen und ihren Einstellungen zur Demokratie beschäftigte sich Daniel Rölle. Er sagte, daß in Ostdeutschland die Zufriedenheit mit der Demokratie in einigen Generationen (unter anderem der „Generation der Einheit“) deutlich gesunken sei, während sich in Westdeutschland in allen Generationen kaum etwas verändert habe. Der letzten Vortrag kam von Dr. Frank Brettschneider. Seine Analyse der Medienberichterstattung zur „inneren Einheit“ ergab: Der Stand der Einheit ist den Medien selten eine Story wert. Dazu kommt, daß die Berichte über den Stand der Einheit seit 1995 negativer werden und sich vor allem mit wirtschaftlichen Aspekten befassen. Ist die innere Wiedervereinigung nun gelungen? Die Vermessung der vielzitierten „Mauer in den Köpfen“ ergab: In vielen Bereichen ist sie - leider - gleich hoch geblieben oder eher höher geworden.

KONTAKT
Abteilung für Politische Systeme und Politische Soziologie im Institut für Sozialwissenschaften, Keplerstr. 17, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-3430, -3427, Fax 0711/121-2333

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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