Stuttgarter unikurier
Nr. 84/85 April 2000 |
Internationale
Konferenz über Mehrfeldprobleme:
Gemeinsame
Aufgaben für Mathematiker und Ingenieure |
Mehr als 100 Teilnehmer aus den grundlagenorientierten
Bereichen der Mathematik, Physik und Ingenieurwissenschaften
aus 14 verschiedenen Ländern haben an der Tagung „International
Conference on Multifield Problems“ des Sonderforschungsbereichs
404 der Universität Stuttgart im Oktober des vergangenen
Jahres teilgenommen. Die Schwerpunkte der Veranstaltung,
die von Rektor Prof. Dr. Günter Pritschow im Internationalen
Begegnungszentrum der Universität Stuttgart eröffnet wurde,
lagen auf der mathematischen und numerischen Analyse von
Mehrfeldproblemen. Die Organisatoren fanden Unterstützung
bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Universität
Stuttgart, der Landesbank Baden-Württernberg sowie der
Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik (GAMM).
Die Tagung unterstrich einmal mehr die Notwendigkeit einer
engen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Mathematikern
und Ingenieuren bei komplexen Problemstellungen.
|
|
|
|
Mit 17 interdisziplinären, ingenieurwissenschaftlich,
mathematisch und physikalisch ausgerichteten Projekten
weist der SFB „Mehrfeldprobleme in der Kontinuumsmechanik“
in Deutschland ein einzigartiges Profil auf. Diese nationale
und internationale Attraktivität des SFBs lockte zahlreiche
renommierte Wissenschaftler auf dem Gebiet der Mehrskalenmodellierung
auf die Stuttgarter Tagung. Das dreitägige Programm war
in fünf Themengebiete untergliedert: Zwei- und Mehrphasenströmungen;
Mechanik von Materialien und Mehrskalenmodelle; Festkörper-Fluid-Interaktion;
Geometrie, Adaptivität und Löser; Kontakt- und Bruchmechanik.
Bei der Simulation komplexer ingenieurwissenschaftlicher
Probleme tritt häufig eine Interaktion oder Kopplung individueller
Phänomene auf, die traditionell aus verschiedenen Bereichen
der angewandten Mathematik und Mechanik stammen. Typische
Beispiele für diese sogenannten Mehrfeldprobleme sind
die thermomechanische Analyse von Festkörpern, die Vorhersage
von Massetransport und Phasenübergängen in Mischungen,
die Analyse von Sedimentationsprozessen, die Simulation
von Mehrkörpersystemen sowie Flüssigkeits-Struktur-Interaktionen.
Die zugrunde liegenden Ansätze und Methoden der Modellbildung
und Konstruktion von Lösungsalgorithmen dieses Spektrums
unterschiedlicher Problemstellungen basieren auf allgemeingültigen
Konzepten. Zunächst erfolgt die Formulierung eines Mehrfeldproblems
im Rahmen der nichtlinearen Kontinuumsthermodynamik. Das
hieraus resultierende System gekoppelter partieller Differentialgleichungen
erfordert dann eine mathematische Untersuchung sowie die
numerische Analyse in Hinblick auf Diskretisierungsverfahren
und Lösungsalgorithmen. Die jeweiligen mathematischen
Modelle und numerischen Methoden fallen häufig in umfassendere
Problemklassen, deren abstrakte Behandlung oft wesentliche
Vereinfachungen erlaubt. Mehrphasenströmungen treten etwa
bei industriellen Trennungsprozessen und in der Abwasserreinigung
auf. Hierzu gab es Beiträge zur Teilchenbewegung in Fluiden
mit deterministischen und stochastischen Ansätzen. Eine
wesentliche Rolle spielen hierbei die kontinuumsmechanischen
Modelle basierend auf Materialgleichungen, die an Experimente
angepaßt werden. Zu diesem speziellen Thema wurde im Anschluß
an die Tagung noch ein zweitägiger internationaler Satelliten-Workshop
der Europäischen Forschungsgemeinschaft ESF durchgeführt.
Mehrfeldprobleme sind oft sehr komplex und erfordern daher
sorgfältige Untersuchungen hinsichtlich der Effizienz
und Zuverlässigkeit der verwendeten Methoden und Algorithmen.
Das Zusammenwirken von Festkörpern und Flüssigkeiten wurde
zum einen bei der Interaktion von Fluiden mit freien Oberflächen
auf Schalenstrukturen und zum anderen mit der Mischungstheorie
im Rahmen der Cosserat-Kontinua diskutiert. Bei der numerischen
Simulation der Mehrfeldprobleme sind spezielle Diskretisierungsverfahren
(z.B. mit finiten Elementen und finiten Volumina oder
Randelementen) sowie effiziente Lösungsalgorithmen von
übergeordneter Bedeutung. Insbesondere wurden verschiedene
sogenannte Gebietszerlegungsmethoden und Mehrgitterverfahren
behandelt, die mit modernen Mehrprozessorrechnern effizient
zum Einsatz kommen. In vielen technischen Anwendungen
benötigen Lebensdauervorhersagen eine gute Beschreibung
von Riß- und Bruchmechanismen einschließlich deren Ausbreitung
sowie von Kontakt- und Stoßvorgängen. Für diese komplexen
mechanischen Vorgänge ist die mathematische Modellierung
und Analysis unabdingbare Voraussetzung und steht heute
im Zentrum gemeinsamer Anstrengungen von Ingenieuren und
Mathematikern. Das thematische Spektrum dieses grundlagenorientierten
Forschungsbereichs erstreckt sich über experimentelle
Untersuchungen, mechanische und mathematische Modellbildung,
ihre analytische Durchdringung bis hin zur Konstruktion
geeigneter Lösungsverfahren und der Computersimulation.
KONTAKT
Prof. Dr.-Ing. Dr.h.c. Wolfgang Wendland, Universität
Stuttgart, Mathematisches Institut A, Pfaffenwaldring
57, 70569 Stuttgart, e-mail: wendland@mathematik.uni-stuttgart.de,
Tel: 0711/685 5525, Fax: 0711/685 5599
|
|