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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Sloterdijk, Waldenfels und Greenblatt in den „Kulturtheorien”:
Über die Raumkultur und die Kultur des Unheimlichen
 

Mit den Vorträgen von Peter Sloterdijk (Karlsruhe), Bernhard Waldenfels (Bochum) und Stephen Greenblatt (Cambridge) stellte das Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie drei weitere Positionen in der interdisziplinären Reihe „Kulturtheorien” vor. Selbst wenn die Referenten aus den verschiedensten Fachrichtungen kommen, zeigen sich doch immer wieder Gemeinsamkeiten: Die heutigen Kulturtheorien verfolgen mit zunehmendem Interesse wieder die Frage des Raumes, die in unserer zeitversessenen Zeit in den Hintergrund geraten war. Unsere Abhängigkeit von vorstellbaren Raumgefäßen ist aber nur ein Aspekt der Kultur, die auf der anderen Seite die Vorstellbarkeit des Unheimlichen nicht minder herausfordert.

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Der Philosoph Peter Sloterdijk umriß seine Kulturgeschichte des Raumes in der Vortragsreihe „Kulturtheorien”. (Foto: Institut)

Räume als Immunsysteme
Peter Sloterdijk schrieb seine Kulturgeschichte des Raumes als dreibändigen Essay über Blasen, Sphären und Schäume und sucht dabei Raumgebilde vom Uterus bis zum Weltall zu umfassen. Er bezeichnet den Menschen dabei als Gefäßmacher, der sich den Raum erst schafft, in dem er dann lebt. Metaphysik sei nichts anderes als Metakeramik, das heißt die Hervorbringung von Hohlräumen, die uns als Blasen und Sphären die lebensnotwendige Hülle gewähren. Das Gefäßbauen begann zum Beispiel mit dem Hestia gewidmeten Herd, der durch seine Wärmeausstrahlung einen ersten Raum bildet. Der Herd ist daher älter als das Haus, das erst im Nachhinein darum gebaut wurde. Auch die Sprache entstand erst in der Nähe von solchen warmen Plätzen, so daß in der weiteren Entwicklung Sprach- und Architekturtheorie zusammenfielen, aus Töpfen wurden Texte und aus Keramikern Philologen. Die Beherrschung von Rändern und Grenzen, von autonomen Schachteln und Verschachtelungen von Blasen zu Schäumen beschreibt Sloterdijk als den immunologischen Sinn des Städte- und Weltenbaus. Ohne solche schützenden Häute könnten wir weder leben noch denken.

Leibliches Wohnen im Raum
Eine weniger dramatische Sicht des Raumproblems aus phänomenologischer Sicht stellte der Philosoph Bernhard Waldenfels vor. In seinem Vortrag zum leiblichen Wohnen im Raum stellte er zunächst fest, daß uns die Frage des Raumes weniger wichtig erscheint, da Räume im Vergleich zur technischen Beschleunigung der Zeit geradezu statisch wirken. Im Gegensatz zu Sloterdijk entwickelte Waldenfels daher auch keine Evolutionstheorie des Raumes, sondern suchte die Konstanten der Raumsprache zu ergründen. So läßt sich zum Beispiel der Zusammenhang von Raum und Identität feststellen: Wer „hier” sagt, meint immer auch „ich bin hier”. Auch der Körper gibt uns Leitlinien bei der Bewertung des Raumes. Der aufrechte Gang läßt uns das klare Verhältnis zum Boden zum Maßstab nehmen, vor dessen Hintergrund wir ein „drunter und drüber” als gestörte Beziehung empfinden, so wie auch vorne und hinten als positive Vor- und negative Rückseite gewertet werden. Die eigene Leiblichkeit in unsere Raumbeschreibung einzubringen ist somit der erste Reflex unserer antropomorphen Wahrnehmung. Ohne den Leib würden uns sinnvolle Markierungen einfach fehlen. Gleichzeitig deutete Waldenfels aber auch die Möglichkeit von virtuellen Räume an: Sie entfalten sich als Feld von Möglichkeiten, für die vor allem der Kosmos als hüllenlose, unendliche Vision steht.

Ideologie und Terror in Shakespeares Geschichtsbild
Weniger die heimelige Kraft des Wohnlichen als vielmehr die menschengemachte Macht des Unheimlichen beschäftigte den Anglisten Stephen Greenblatt. Erst seit dem Rationalisierungsprozeß der Moderne bringen wir die Toten unter die Erde, um sie endgültig zu begraben. Zu Shakespeares Zeiten weilten sie als Gespenster noch sehr viel mehr unter uns - und bevölkerten vor allem die Theaterbühnen. In „Richard III.” inszenierte Shakespeare einen Herrscher, der die Träume seiner Untergebenen durch gespenstischen Terror zu lenken weiß. Die Überschreitung der Legalität durch den König wird gleichgesetzt mit der Überschreitung der Realität. Die Träume des Anderen zu beherrschen, kafkaeske Alpträume in seinem Unterbewußtsein auszulösen, so die Lektion Shakespeares, heißt, ihn absolut zu beherrschen. Richard III. wird von dem Dramatiker zu einem solchen „secret agent” der Hölle stilisiert. Die Sprache und Medialität des Alptraums läßt sich gerade in diesem Stück glänzend erklären. Der schlechte Traum eines einzelnen wird zum Symbol für die Lage des Königreichs. Auch das Theater wird durch das Zusammenfallen von Privatheit und Öffentlichkeit wieder zu einem Raum, in dem sich die Gesellschaft erfahren und erkennen kann.

A. Geiger

KONTAKT
Zentrum für Kulturwissenschaften und Kulturtheorie, Universität Stuttgart, Keplerstraße 11, 70174 Stuttgart, Tel: 0711/1212589, Fax: 0711/ 1212813 e-mail: zkw@po.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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