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Stuttgarter unikurier Nr. 84/85 April 2000
Internationale Konferenz:
Biogene Emissionen von Klimagasen aus der Landwirtschaft - Mut zum Handeln gefordert
 

Rund 120 Experten aus 25 Ländern tauschten sich vom 13. bis 15. Oktober 1999 bei einer internationalen Konferenz im Haus der Wirtschaft über das Thema „Biogene Emissionen von Klimagasen aus der Landwirtschaft - Prozesse, Inventare, Minderung“ aus. Ziel war es, die neuen Erkenntnisse in den Bereichen der Emissionsmessung und -berechnung zu bündeln, Vor- und Nachteile möglicher Minderungsmaßnahmen abzuwägen und Wege zur Umsetzung zu suchen. Veranstalter der von der EU geförderten Tagung war das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart.

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Die Freisetzungen von Klimagasen und die möglichen Folgen für das globale Klima sind nach wie vor eines der wesentlichen umweltpolitischen Themen in Deutschland und Europa. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund der jüngsten Welt-Klimaschutz-Konferenz im Oktober 1999 in Bonn. Zwar konnten Wissenschaftler in den letzten Jahren beachtliches Wissen zur Entstehung und möglichen Minderung von Klimagasen aus fast allen Bereichen der Volkswirtschaft erarbeiten. Für die Klimagasfreisetzungen aus der landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion und der Tierhaltung ist dies jedoch nur eingeschränkt der Fall. Die Emissionen von Kohlenstoffdioxid, Methan und Lachgas resultieren hier aus biologischen Prozessen; diese sind komplexer als technische Prozesse, durch erhebliche Schwankungen gekennzeichnet und damit schwerer abschätzbar. Um davon ausgehend mittelfristig finanzierbare und sozial verträgliche Minderungsstrategien zu entwickeln, müssen weltweit und insbesondere auch in Europa erhebliche Forschungsanstrengungen unternommen werden. Vor diesem Hintergrund gab die Tagung zunächst einen Überblick über die Entstehung von Klimagasen aus der Landwirtschaft. Dr. Ute Skiba vom Institute of Terrestrial Ecology in Edinburgh, Großbritannien, und Dr. Gert-Jan Monteny vom Instituut voor Milieu en Agritechnik in Wageningen, Niederlande, betonten, wie vielfältig die biogeochemischen Prozesse zur Freisetzung von Methan, Lachgas und von - indirekt klimarelevanten - Monostickstoffoxiden miteinander verwoben sind; Minderungsmaßnahmen für eines der Gase können deshalb leicht zu Mehremissionen eines anderen Gases führen. Doch bevor an eine Minderung und die Entwicklung kosteneffizienter Minderungsstrategien gedacht werden kann, muß die Größenordnung der Stofffreisetzungen bestimmt werden. Dazu leitete Professor Thomas Jungbluth vom Institut für Agrartechnik der Universität Hohenheim aus den bisher vorliegenden Messungen typische Emissionsraten und -faktoren ab; sie dienen zur Erstellung von Inventaren, durch die die Emissionssituation innerhalb einer bestimmten Fläche beschrieben werden kann. Unabhängig davon, ob derartige Inventare mit aufwendigen Modellen und Geoinformationssystemen (GIS) oder einfacheren pragmatischen Ansätzen berechnet wurden, liegen die Ergebnisse der dargestellten jüngst erarbeiteten Inventare überraschenderweise in einer vergleichbaren Größenordnung. Dr. Steve Frolking vom Complex Systems Research Center Durham, USA, und Annette Freibauer vom Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart waren sich aber einig, daß zur Berechnung verläßlicher und belastbarer Freisetzungen der einzelnen Stoffe bisher kaum vorhandene Informationen unter anderem über die Viehstallsysteme, die Güllelagerung, Art und Intensität der landwirtschaftlichen Produktion, Standort- und Witterungsbedingungen nötig sind.

Kontrolle von Minderungsmaßnahmen
Wie Annette Freibauer errechnete, verursacht beispielsweise die europäische Landwirtschaft überproportional zu ihrem Beitrag am Bruttosozialprodukt Treibhausgasemissionen; sie ist für etwa 40 Prozent der gesamten CH4- und N2O-Emissionen in Europa verantwortlich. Angesichts dieser Größenordnung war man sich über die Minderungsnotwendigkeit einig. Verschiedene Referenten stellten eine ganze Reihe vielversprechender Treibhausgas-Minderungsmaßnahmen in der Landwirtschaft vor. Um hierbei wirkungsvoll und gleichzeitig kosteneffizient zu sein, müssen entsprechende Maßnahmenbündel entweder das landwirtschaftliche Produktionssystem als Ganzes betreffen (beispielsweise durch eine Extensivierung, eine höhere Stickstoffeffizienz und eine weitgehende Schließung des Stickstoffkreislaufes) oder gezielt an den wichtigsten Quellen (Rinderhaltung, Stickstoffdüngung, Mist- und Güllelagerung) ansetzen. Zieht man alle derartigen Möglichkeiten in Betracht, lassen sich die biogenen Emissionen um ca. 20 bis 30 Prozent reduzieren. Die Kontrolle derartiger Minderungsmaßnahmen, die vom Produzenten nicht notwendigerweise begrüßt werden, könnte dabei nach Ansicht von Dr. Ray Desjardins von Agriculture and Agri-Food Ottawa, Canada, durch eine Kombination aus Meßflügen und Atmosphärenmodellen gelingen.

Programme um Klimagasminderung erweitern
Abschließend wurden bei einer Podiumsdiskussion mit internationalen Vertretern aus Politik, Verwaltung und Forschung Prioritäten und ein Zeitrahmen für die Emissionsminderung herausgearbeitet. Mut zum Handeln forderte angesichts der immer noch vergleichsweise großen Unsicherheiten in den Berechnungen Dr. Rolf Linkohr (Mitglied des Europäischen Parlaments); der mögliche Erfolg vieler Minderungsmaßnahmen sei bereits heute nachgewiesen. Ein Haupthindernis der Umsetzung solcher Maßnahmen in der Praxis liege jedoch, so mehrere Teilnehmer der Podiumsdiskussion, im mangelnden politischen Willen und einer ungenügenden Information über die Möglichkeiten einer Minderung von biogenen Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft. Das Podium regte daher an, die Agrar- und Umweltprogramme möglichst umgehend um den Aspekt der Klimagasminderung zu erweitern. Das große Interesse an der Tagung und die vielen Teilnehmer insbesondere auch aus Übersee zeigen, daß die Problematik der Klimagasfreisetzungen aus der landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion und der Tierhaltung weltweit erkannt wurde und intensiv untersucht wird. In den nächsten Jahren dürften erste politische und administrative Schritte zur Begrenzung dieser Freisetzungen erwartet werden. /uk

KONTAKT
Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER), Dr.-Ing. Martin Kaltschmitt, Dipl.-Geoökol. Annette Freibauer, Heßbrühlstr. 49a, 70565 Stuttgart, Tel. 0711/780-6116, -6140; Fax 0711/ 7806177; e-mail: mk@ier.uni-stuttgart.de, af@ier.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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