Stuttgarter unikurier
Nr. 84/85 April 2000 |
Umweltfreundliche
Energieversorgung für den Bundestag:
Uni
Stuttgart begleitet die ersten Betriebsjahre |
Wissenschaftler
der Universität Stuttgart werden in den nächsten Jahren
häufig im Berliner Reichstagsgebäude, dem Sitz des Deutschen
Bundestages und der Bundesregierung, ein- und ausgehen.
Sie werden die ersten beiden Betriebsjahre des dort installierten,
innovativen und umweltfreundlichen Energieversorgungssystems
wissenschaftlich begleiten.
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Unter
Federführung der Bundesbaugesellschaft Berlin wurde vor
kurzem der Umbau des Reichstagsgebäudes zum neuen Deutschen
Bundestag abgeschlossen. Dabei ist der Reichstag aber
nur ein Teil der gesamten Regierungs- und Parlamentsbauten,
die teilweise noch im Bau sind und deren Fertigstellung
im Jahr 2002 erwartet wird. Die Versorgung dieser Bauten
mit Strom, Wärme und Kälte wird künftig in einem Energieverbund
- dem sogenannten Technik-Verbund Parlamentsbauten (siehe
Schema) - erfolgen. Herzstück dieses Verbundes sind zwei
mit Biodiesel (Rapsölmethylester/RME) befeuerte Motor-Heizkraftwerk-Anlagen
(MHKW). Ferner sind in den Energieverbund erdgekoppelte
Wärme- und Kältespeicher integriert, um einen möglichst
energieeffizienten Betrieb des gesamten Versorgungssystems
zu ermöglichen. Dabei wird - und das ist ein wesentlicher
innovativer Aspekt der Gesamtanlage - zum ersten Mal der
Brennstoff Biodiesel in einer Anlage dieser Leistungsklasse
und Komplexität eingesetzt. Das Institut für Energiewirtschaft
und Rationelle Energieanwendung (IER) begleitet in Zusammenarbeit
mit der Arbeitsgruppe Luftreinhaltung (ALS), beide Universität
Stuttgart, diesen neuartigen Energieverbund für rund zwei
Jahre seit dem Inbetriebnahmezeitpunkt. Die Meßdaten werden
anhand technischer, ökologischer und ökonomischer Kriterien
analysiert und entsprechende Schlußfolgerungen erarbeitet.
Dieses Forschungsprojekt wird vom Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) finanziell
unterstützt. Im Endausbau sollen die beiden mit Biodiesel
befeuerten MHKW-Anlagen des Energieverbundes, mit denen
voraussichtlich über 80 Prozent des Gesamtenergiebedarfs
gedeckt werden, eine elektrische Leistung von 3 200 kW
aufweisen. An zwei Standorten, dem Reichstagsgebäude und
dem Paul-Löbe-Haus, werden dann jeweils vier stationäre
Dieselmotoren gleicher Leistung aufgestellt sein. Die
für eine Aufstellung im Reichstag vorgesehenen Module
wurden bereits im Herbst 1998 installiert. Rußfilter und
Katalysatoren sorgen hier für die Reinigung der bei der
Verbrennung von Biodiesel freigesetzten Abgase. Die in
den Regierungsgebäuden nachgefragte elektrische Energie,
die nicht durch diese innovative Energieversorgungsanlage
gedeckt werden kann, wird von der BEWAG bereitgestellt.
Da die Wärmeerzeugung in den MHKW-Anlagen streng an die
Stromproduktion gekoppelt ist, kann bei einer Deckung
der Stromnachfrage ein Wärmeüberschuß oder -defizit gegeben
sein. Zur Zwischenspeicherung überschüssiger Wärme wurde
daher ein Grundwasser-Speicher in etwa 300 Metern Tiefe
eingerichtet, in dem die Wärme bei einer Temperatur von
maximal 70 °C zwischengespeichert und - im Bedarfsfall
- mit Temperaturen zwischen 65 und 20 °C zurückgewonnen
werden kann. Läßt die Temperatur der eingespeicherten
Wärme eine direkte Nutzung für Heizungszwecke nicht zu,
wird sie mit Wärmepumpen auf ein höheres, für Heizungszwecke
nutzbares Temperaturniveau gebracht. Zusätzlich wird der
Energieverbund mit Spitzenheizkesseln für einen RME-/Heizöl-
oder Erdgasbetrieb ausgestattet, die ein mögliches Wärmedefizit
abdecken können. Entsprechende Anlagen wurden im Reichstagsgebäude
bereits installiert. Der Großteil des Kältebedarfs zur
optimalen Klimatisierung der Parlamentsbauten wird mit
Absorptionskältemaschinen gedeckt; beispielsweise wurde
im Reichstagsgebäude bereits eine derartige Anlage mit
einer Kälteleistung von 850 kW installiert. Darüber hinaus
wird künftig eine weitere Kälteerzeugungsanlage eingesetzt,
die auf der Basis einer direkten Verdunstungskühlung arbeitet
und für deren Betrieb ebenfalls Wärme benötigt wird. Zusätzlich
werden Anlagen zur Deckung des Spitzenkältebedarfs installiert.
Um deren Betrieb zudem vom aktuellen Kältebedarf zu entkoppeln
und damit einen möglichst energieeffizienten Betrieb der
Gebäudeklimatisierung zu ermöglichen, wird Kälte bei Temperaturen
zwischen 5 und 10 °C in einer grundwasserführenden bodennahen
Erdschicht in etwa 30 bis 60 Metern Tiefe während des
Winters gespeichert, die dann im Sommer für die Gebäudekühlung
verwendet werden kann. Der Speicher wurde bereits errichtet
und wird derzeit im Verbund mit der Energieversorgung
des Reichstagsgebäudes betrieben. Die Stuttgarter Wissenschaftler
konzentrieren sich auf die bereits im Betrieb befindliche
Energieversorgung des Reichstagsgebäudes als einem wesentlichen
Bestandteil des zukünftigen Energieverbundes und untersuchen
während des zweijährigen Monitoringzeitraums vor allem
folgende Aspekte:
- Sie
analysieren die betriebstechnischen Auswirkungen des
Biodiesel-Einsatzes auf das Betriebsverhalten und der
technischen Zuverlässigkeit der Anlage und ihrer Komponenten;
unter anderem werden Verschleißmessungen an einem Motor
der MHKW-Anlage durchgeführt.
- Bei
mehreren Meßkampagnen vor Ort erfassen die Wissenschaftler
die Emissionen von Biodiesel und messen die Wirksamkeit
der Abgasreinigungsanlage. Zusätzlich werden die Auswirkungen
des Biodiesel-Einsatzes auf die Energiebilanz der Anlage
und ihrer Komponenten (Energieflüsse, Nutzungsgrade,
Verlustquellen) erfaßt.
- Darüber
hinaus ermitteln die Energieexperten die ökonomischen
Vor- und Nachteile des Einsatzes von Biodiesel im Vergleich
zu fossilen Brennstoffen.
Damit
ist es möglich, wissenschaftlich fundierte Aussagen zu
den Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Biodiesel
für derartige Anlagen zu erarbeiten. Daraus können Schlußfolgerungen
und Empfehlungen für Konzeption sowie Bau und Betrieb
ähnlicher stationärer Anlagen abgeleitet werden.
KONTAKT
Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung
(IER), Universität Stuttgart, Dipl.-Ing. Andreas Heinz
(Tel. 0711/78061-76, e-mail: heinz@ier.uni-stuttgart.de)
und Dr.-Ing. Martin Kaltschmitt (Tel. 0711/78061-16, e-mail:
mk@ier.uni-stuttgart.de),
Heßbrühlstraße 49a, D-70565 Stuttgart
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