Home           Inhalt           Suchen

Stuttgarter unikurier Nr. 87 April 2001
Neue Ansätze für die biomedizinische Forschung:
Wirkmechanismus des Cytokins MIF entschlüsselt
 

Menschliche Eiweißstoffe aus der Klasse der sogenannten Cytokine steuern die Funktionen des Immunsystems und sind somit von großer Bedeutung für die menschliche Immunabwehr. Das Cytokin MIF (Macrophage migration inhibitory factor) ist unter anderem bei der Streß- und Immunantwort auf akute und chronische Entzündungen wie dem septischen Schock oder der rheumatischen Arthritis zentral beteiligt. Obwohl MIF zu den ersten entdeckten Cytokinen gehört, konnte der molekulare Mechanismus der Wirkung von MIF von Stuttgarter Biochemikern erst jetzt entschlüsselt werden, wie in einem Beitrag des Wissenschaftsjournals „Nature“ nachzulesen ist. Wirkung und Signalübertragung von MIF wurde von der Arbeitsgruppe Biochemie am Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik der Universität Stuttgart, des Instituts für Zellbiologie und Immunologie der Universität Stuttgart und des Stuttgarter Fraunhofer Instituts IGB zusammen mit Forschern des Hospitals Vaudois in Lausanne/Schweiz sowie des Physiologisch-chemischen Instituts der Universität Tübingen aufgedeckt. Es zeigt sich, daß MIF nicht über einen Rezeptor auf der Hülle in die Zelle einwirkt, sondern sein Ziel in einem Protein in der Zelle selbst findet. Hieraus ergeben sich neue Ansätze für die biomedizinische Forschung. (Nature Volume 408, Number 6809, Page 211 - 216, 2000)

kleinbal.gif (902 Byte)
 

Eine Cytokinfunktion mit dem Namen Macrophage migration inhibitory activity wurde bereits in den Anfängen der Immunforschung im Jahr 1962 entdeckt. Der entsprechende Eiweißstoff, der Macrophage migration inhibitory factor oder kurz MIF, wurde bereits 1966 beschrieben und zählt zusammen mit den Interferonen zu den zuerst entdeckten Cytokinen überhaupt. Während die gentechnische Revolution in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zur Entdeckung vieler weiterer Cytokine führte, gelang die Klonierung des MIF-Proteins erst dreißig Jahre nach der Entdeckung des Proteins. Einige der immunologischen Funktionen von MIF konnten im Verlauf der neunziger Jahre aufgeklärt werden. So weiß man heute, daß MIF bei der Streß- und Immunantwort auf akute und chronische Entzündungen/Infektionen zentral beteiligt ist. Auch die Fehlsteuerung des Immunsystems bei Autoimmunkrankheiten scheint über MIF-gesteuerte Prozesse zu laufen. Entsprechend haben vorklinische Studien bei Tieren gezeigt, daß gegen MIF gerichtete Antikörper therapeutisch zur Behandlung von septischem Schock, Lungenkrankheiten oder Immunkrankheiten wie der Rheumatoiden Arthritis eingesetzt werden könnten. Anfang des vergangenen Jahres gelang der Nachweis, daß MIF-Antikörper sogar dann vor Bakterieninfektionen schützen können, wenn sie Stunden nach der Infektion verabreicht werden. Antikörpertherapien auf der Basis anderer Cytokine mußten bisher immer vor dem Zeitpunkt der Infektion gegeben werden. Ein Zusammenhang scheint auch zwischen der MIF-Verteilung und -Ausschüttung im Körper und der Tumorbildung zu bestehen. Darüber hinaus zählt MIF zu den wenigen Cytokinen, die auch eine enzymatische Aktivität besitzen. Eine Blockierung dieser Enzymaktivität könnte zugleich die entzündungsfördernden Eigenschaften von MIF bremsen. MIF gilt dazu als das derzeit einzige bekannte Cytokin, welches von Substanzen wie Cortison nicht unterdrückt oder gedämpft, sondern sogar aktiviert wird.

Direkte Wirkung
Die meisten Cytokine entfalten ihre Wirkung über einen sogenannten Rezeptor auf der Zelle. Während für viele Cytokine kurz nach ihrer Klonierung auch die entsprechenden Rezeptoren entdeckt wurden, blieb der molekulare Mechanismus der Wirkung von MIF trotz seiner frühen Entdeckung und trotz der Klonierung des Eiweißstoffes vor über zehn Jahren weitgehend unbekannt. Das oben genannte Forscherteam hat nun zum ersten Mal ein molekulares Ziel für die Wirkung und Signalübertragung von MIF entdecken können. Überraschenderweise handelt es sich bei diesem signalvermittelnden Molekül nicht um einen außen angedockten Rezeptor, sondern um ein im Zellinneren lokalisiertes Protein mit dem Namen Jab1. Dieses zählt zu einer Klasse von Eiweißstoffen, die nach heutigen Erkenntnissen genregulatorische Prozesse mitsteuern, ohne selbst direkt als Transkriptionsfaktor mit der Erbinformation wechselwirken zu können. Die Wissenschaftler konnten zeigen, daß MIF über die Interaktion mit dem Protein auf steuernde Prozesse in der Zelle wie die Anschaltung von immunologisch relevanten Genprodukten und den Zellzyklus Einfluß nehmen kann. Die Arbeiten geben zum ersten Mal Aufschluß über die molekularen Zielstrukturen der Wirkung von MIF und haben somit unmittelbar Bedeutung für weitere biomedizinische Forschungsansätze, die zur Entwicklung von Therapie- und Diagnosestrategien führen könnten die auf den beschriebenen Wirkungen des Cytokins aufbauen. /eng

KONTAKT
Dr. Jürgen Bernhagen, Arbeitsgruppe Biochemie, Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik Tel. 0711 970 4020, Fax 0711 970 4200 e-mail:jbe@igb.fhg.de

 


last change: 27.04.01 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

Home           Inhalt           Suchen