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Stuttgarter unikurier Nr. 87 April 2001
Sonntagsmatinee I:
Zum Frühstück einen verständlichen Autor
 

Sie hat sich etabliert und viele treue Zuhörer gefunden - die Matinee an der Universität Stuttgart, die jeden ersten Sonntag im Monat im Hörsaal 17.02 stattfindet und dazu dienen soll, der Stadt Stuttgart „ihre Uni“ näher zu bringen. Am 5. November waren die Literaturwissenschaftler an der Reihe und mit ihnen Theodor Fontane.

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„Fontane für Leser und Literaturwissenschaftler oder Was macht die Wissenschaft mit einem verständlichen Autor?“. Diesem Thema widmete sich Prof. Dr. Horst Thomé von der Abteilung Neuere Deutsche Literatur II am Institut für Literaturwissenschaft in der ersten Sonntagsmatinee im Wintersemester - vor vollbesetzten Rängen. In dieser „persönlichen, vertraulichen Atmosphäre, also ganz unter uns“, erzählte der Referent zunächst kurz die Geschichte der Effi Briest - „oder besser die Fiktion einer Biographie“: Junge Frau heiratet alten Adligen, trifft jüngeren Mann, verliebt sich. Und es „kommt, wie es kommen muß, ... nichts rundet eine Geschichte so wie der Tod“. In Komödien, so der abweichende Einschub des Professors, sei es allerdings die Verlobung, „auch die bringt das Leben zum Stillstand.“ Romane kann jeder lesen. Werden sie aber auch immer verstanden? Theodor Fontane wird gelesen. Wer Effie Briest nicht als Buch kennt, der hat die Verfilmung gesehen, ist sich der Literaturwissenschaftler sicher. Der Autor zählt zu den verständlichen seiner Art - doch weshalb ist das so, fragte Horst Thomé. Wendet sich ein Leser einem Roman zu, konzentriert er sich ganz auf die Handlung und stimmt diese mit seinem Weltbild überein, ist der Text für ihn verständlich. Verstehen bedeute aber auch Identifikation mit den agierenden Personen. Der Leser erwartet eine psychische Komplexität, die der eigenen entspricht, da er mit Büchern umgeht wie mit der Wirklichkeit. Die höchste Form ist nach Prof. Thomé allerdings dann erreicht, wenn der Leser annimmt, die fiktive Person aus den Romanen besser zu kennen als reale Personen, obwohl er um die Fiktion weiß. Die Literaturwissenschaft liefert den Lesern vielfältige Erklärungen und Informationen über Autoren und ihre Werke. Wie wurde zur Zeit des Autors und in der Zeit, in der das jeweilige Stück spielt, gelebt, gedacht, gefühlt? Der Text wird in den historischen Verlauf eingeordnet und für den Leser verständlicher, der ja nicht unbedingt in den verschiedenen Gesellschaftsschichten der vergangenen Jahrhunderte zu Hause ist. All diese Informationen liefert die Wissenschaft und hilft so, sich zu orientieren und den Autor zu verstehen. Fontane wird gelesen, verstanden - und was macht die Wissenschaft mit ihm? In Bibliotheken findet sich eine nicht endende Flut von Forschungsarbeiten zu Fontane und seinen Werken, berichtete Horst Thomé. Im Verlauf der „wissenschaftlichen Lektüre“ wird der zuvor verständliche Text immer mehr hinterfragt und damit zunehmend unverständlicher: Wie sind die Personen angelegt, wie die Umgebung? Bei Effi Briest zum Beispiel Haus und Hof, angrenzender Friedhof und Gartenteich und .... Wer sich darauf einläßt, dem tun sich viele Fragen auf, und Schritt für Schritt macht so die Literaturwissenschaft aus einem verständlichen Autoren einen unverständlichen. - Seine Zuhörer entließ der Literaturprofessor zum Abschluß der Matinee mit der Hoffnung, „Ihnen die Freude an Fontane nicht verdorben“ zu haben.

J. Alber

 


last change: 27.04.01 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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