Drei
Jahrzehnte Rektoratsgeschichte
Der aktuelle Wandel fordere einen Rückblick auf die vergangenen
drei Jahrzehnte Rektoratsgeschichte geradezu heraus. Effenberger
startete seine Skizze in den 60er Jahren, „einer heilen
akademischen Welt“, in der eine Amtszeit von einem Jahr
für den Rektor nicht den Ausstieg aus der Forschung bedeutete.
Die Studentenproteste nach 1965 brachten einen dramatischen
Wandel. Die Ereignisse an der Universität führten auch
zu enormen Belastungen der Rekorate Leonhardt und Blenke
in dieser Zeit, die persönlich oft bis an die physischen
Grenzen gegangen seien. Mit Karl-Heinz Hunken kam 1971
ein „bodenständiger Bauingenieur“ in das Amt, und in den
folgenden Jahren seien mit dem Erhalt der Institutsstrukturen
und dem Verwaltungsrat wichtige Weichen für die Zukunft
gestellt worden. Auf Hunken folgte der leider viel zu
früh verstorbene Rektor Zwicker, der zusammen mit dem
Kanzler Blum viel für die Universität bewirkt habe. Effenberger
selber, zusammen mit den Prorektoren Hartl und Pritschow,
konnte die Geschicke der Uni am Ende der „goldenen achtziger
Jahre“, einer Zeit des stürmischen Ausbaus auf allen Gebieten,
gestalten. Das Rektorat Giesecke endete 1992 durch eine
„ungewöhnliche Kampfabstimmung“, mit der Heide Ziegler
das Rektoramt übernahm. 1996 folgte Pritschow, der „sich
nicht zum Amt gedrängt“ habe, aber nach einer Gewissensentscheidung
die persönlichen und beruflichen Interessen dem Wohl der
Universität untergeordnet habe. Ihm sei es gelungen, nach
Jahren inneruniversitärer Auseinandersetzungen wieder
einen Ausgleich zu schaffen. Die Umsetzung des Solidarpaktes
in Übereinstimmung mit den Fakultäten hob Effenberger
als besondere Leistung des Rektorats Pritschow heraus.
Generationswechsel
Altrektor Effenberger bezeichnete den Wechsel zum Rektorat
Fritsch als einen Generationswechsel an der Universitätsspitze.
Er habe den neuen Rektor aus seinen Beiträgen im Senat
als Vertreter einer jungen Professorenschaft erlebt, „die
etwas bewegen wolle.“ Effenberger begrüßte die Option
auf die Zukunft und wünschte der neuen Leitung, daß sie
mit Objektivität und Pragmatismus ihre Ziele realisieren
möge.
Schwieriger
Start
Nach
dem Altrektor betrat der scheidende Rektor das Podium
noch mit den Insignien des Amtes, der Rektorkette, um
diese persönlich „von Hals zu Hals“ übergeben zu können.
Die Situation bei seinem Amtsantrit sei durch den anstehenden
Solidarpakt, den Studierendenschwund, einen gespaltenen
Senat und die fehlende Übergabe der Amtsgeschäfte nicht
einfach gewesen. Es habe die Aufgabe bestanden, erst einmal
„eine sachliche Arbeitsgrundlage herzustellen“. Internationalisierung
sowie Start und Gründung der Technologie Transfer Initiative
seien die ersten Ziele gewesen. Die notwendigen Einschnitte
durch den Solidarpakt seien konstruktiv angegangen worden,
sagte Pritschow unter Verweis auf drei gerade neu eingerichtete
Lehrstühle aus den intern eingesparten Mitteln. Bei den
Existenzgründungen seien die Zahlen zwar noch bescheiden,
aber in der Tendenz immerhin steigend. Und nicht ohne
Stolz verwies der Altrektor zum Thema Internationalisierung
auf den „vor jeder Privatuni“ bereits 1997 eingerichteten
ersten internationalen Studiengang an der Universität
Stuttgart, WAREM. Zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls
an der Universität seien in seinem Rektorat zahlreiche
Initiativen ausgelöst worden. Pritschow erinnerte an die
Einführung einer Alumni-Organisation, die Erstsemesterbegrüßung,
die Sonntagsmatineen, die Ehrenmedaillen und Ehrentafeln
und auch an die Eröffnung des Kulturkellers K4 an der
Universität. Mit Rückblick auf das von ihm bestellte Haus
übergebe er die Amtskette an seinen Nachfolger „mit großem
Vergnügen“.
Auge
für das Wesentliche
Der Rektor der Universität Freiburg, Prof. Dr. Wolfgang
Jäger, überbrachte den Gruß der Kollegen aus der Landesrektorenkonferenz.
Ausdrücklich bedankte sich Jäger für die integrierende
Kraft Pritschows, der immer um Ausgleich bemüht war und
ein Auge für das Wesentliche bei den oft schwierigen Sitzungen
der „neun Könige“ gehabt habe. Die Herzlichkeit, den Witz
und Esprit Pritschows werde die Landesrektorenkonferenz
vermissen.
Bleibende
Spuren
„Ihre Initiativen haben bleibende Spuren hinterlassen“,
wandte sich Wissenschaftsminister Klaus von Trotha an
den scheidenden Rektor Pritschow. Dieser habe „Geschichte
für die Universität geschrieben“. Der Minister erinnerte
an den Beginn des Solidarpakts, mit dem das Land dem Verlangen
der Universitäten nach finanziellen Handlungsspielräumen
in zwar begrenztem, aber sicheren Umfang nachgekommen
sei. Mit großem Engagement habe Pritschow für eine intelligente
Umsetzung gesorgt, „die auch vor eigenen Rechenmodellen
nicht halt machte“. Aus dem mit der Stelleneinsparung
von 14 anstelle der geforderten zehn Prozent gespeisten
uni-internen Pool konnten bereits drei C3-Professuren
zur Verfügung gestellt werden. Prof. Pritschow habe das
neue Universitätsgesetz mit seinen Leitthemen Autonomie,
Leistung und Wettbewerb von Anfang an als Chance für die
Universität Stuttgart gesehen. Eine Vorreiterrolle nehme
die Uni auch bei der Einführung von Globalhaushalten mit
kaufmännischer Buchführung ein. Zu Pritschows „herausragenden
Verdiensten“ zähle die Internationalisierung, sagte von
Trotha, der auch dessen Verdienste im Technologietransfer
und der TTI GmbH zur Unterstützung von Unternehmensgründungen
aus der Hochschule würdigte. „Günter Pritschow war stets
ein fairer Partner“, betonte von Trotha, der ihm „Witz
und Beharrungsvermögen“ attestierte. Die Ziele des neuen
Rektors, die Internationalisierung weiter voranzutreiben,
sich verstärkt dem Hochschulmarketing und der Weiterbildung
zu widmen und insbesondere via Internet die Angebote der
Uni Stuttgart „in die ganze Welt hinauszutragen“, begrüßte
der Minister ausdrücklich. In keinem anderen Bereich werde
sich die Konkurrenz deutlicher zeigen. Für die Leitung
des „Großunternehmens Universität Stuttgart“ wünschte
er ihm „Weitsicht, Treffsicherheit und das unentbehrliche
Quentchen Glück“. Dieser erinnerte daran, wie es seinem
Vorgänger „mit seiner charmanten Berliner Art“ gelungen
sei, ihn für das Amt des Prorektors sozusagen „einzufangen“
und dankte ausdrücklich für die „offene Atmosphäre“ in
diesem Rektorat. In der Zusammenarbeit mit Uni-Angehörigen
in zahlreichen Ausschüssen habe er zudem „ein enormes
Potential zur Erneuerung und Innovation in Forschung und
Lehre“ feststellen können. Fritsch nutzte die Gelegenheit,
auf die rasche Vollendung des Neubaus für die Informatik
zu drängen und den Wunsch der Uni
für einen Neubau einer Bibliothek auf dem Campus in Vaihingen
mit multimedialen Hörsälen und der Weiterentwicklung zu
einem Medienzentrum zu artikulieren.
„Großbaustelle
Virtueller Campus“
Ein engagiertes Plädoyer für die virtuelle Universität
hielt Prof. Fritsch in seinem Vortrag „Weiterbildung per
Internet - Offensive der Universität Stuttgart“. Bereits
bis zum Jahr 2005 werde sich nach der Einschätzung von
Fachleuten die Bildungslandschaft stark verändern: mehr
als die Hälfte aller Studierenden werde dann virtuelle
Studienangebote nutzen und die Weiterbildung zu über 90
Prozent virtuell laufen, skizzierte der neue Rektor den
Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Um im globalen Wettbewerb
in diesem neuen Bildungsmarkt „Key Player“ zu sein, bedürfe
es unter anderem entsprechender Infrastrukturen und professioneller
Web-Präsenz. Die Universität begrüße es, daß das Land
mit seinem Projekt „Virtuelle Hochschule“ voranschreite
und treibe - da sie bei einer ersten Ausschreibung nicht
partizipieren konnte - das Projekt nun aus eigener Initiative
voran. Die virtuelle Universität werde an der Uni Stuttgart
als „eine besondere Herausforderung“ gesehen, „es gibt
innerhalb der Universität eine Großbaustelle „Virtueller
Campus“. Fritsch skizzierte kurz die Geschichte des Internet,
das sich - 1969 in den USA als staatliches Netz für die
Kommunikation zwischen Rüstungsbetrieben und Wissenschaftlern
eingerichtet - seit der offiziellen Freigabe im Jahr 1989
rasant entwickelt habe. Gab es 1989 lediglich einen Server,
so waren es 1997 660.000 und 1999 bereits 3,5 Millionen
- mit weiterhin enormem Zuwachs. Erst das Internet erlaube
die Flexibilität des orts- und zeitunabhängigen Zugriffs
auf Daten in aller Welt. Als weitere wichtige Motivation,
im Bereich der virtuellen Weiterbildung aktiv zu werden,
nannte der Rektor die Zunahme der Informationsmenge und
die heute übliche „Halbwertszeit des Fachwissens von etwa
fünf Jahren“.
„Computerkids“
als Klientel von morgen
Die Verbindung von Weiterbildung und Internet eröffne
neue Ansätze, wie Lernen am Arbeitsplatz, verbunden mit
Kosteneinsparung und der Möglichkeit, die Weiterbildung
in den Arbeitsablauf zu integrieren, Lernen auf Abruf
mit dem Vorteil für den Lernenden, Wissen bei konkretem
Bedarf zu erwerben oder die Individualisierung des Lernens
mit der Möglichkeit, das Lerntempo selbst zu bestimmen.
Fritsch verdeutlichte dies plastisch an einem Beispiel
aus seinem Arbeitsgebiet, der digitalen Bildaufzeichnung,
in einer multimedialen Vorlesung. Die virtuelle Aus- und
Weiterbildung über das Internet, Intranet oder weitere
Netze werde sehr schnell wachsen, prognostizierte Fritsch,
„wir werden uns an der Universität strategisch hierauf
einstellen“. Der virtuelle Campus sei eine absolute Notwendigkeit,
da sich das Lern- und Ausbildungsverhalten rasch an die
Web-Technologien anpasse. „Unsere Klientel von morgen
sind die Computerkids“, sagte er, „diese Klientel läßt
sich durch multimediale Anwendungen begeistern, nicht
mehr so sehr von wohlklingenden Namen“. In diesem Wettbewerb
- mit harter Konkurrenz im globalen Umfeld - dürfe die
Universität Stuttgart nicht als Verlierer dastehen. Dieser
Konkurrenz erfolgreich begegnen könne die Universität
jedoch, wenn sie ihr Profil in Bereichen wie beispielsweise
in der Informatik, dem Höchstleistungsrechnen, der Luft-
und Raumfahrttechnik, der Kfz- und Motorentechnik oder
der Betriebswirtschaft schärfe und daraus auch virtuelle
Lehr- und Weiterbildungsmodelle entwickle. „Tausende von
Alumni der Universität Stuttgart sind unsere ersten Kunden“,
schloß Prof. Fritsch. Musikalisch in gewohnt exzellenter
Ausführung umrahmt wurde die Veranstaltung vom Akademischen
Orchester unter Leitung von Veronika Stoertzenbach mit
Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 und der Fest-Ouvertüre
von Schostakowitsch. Den Klavierpart gestaltete Oliver
Klein.
eng/zi