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Stuttgarter unikurier Nr. 87 April 2001
Festveranstaltung zur Rektoratsübergabe:
Generationswechsel vollzogen
 

„Film ab“ hieß es zunächst im sehr gut besetzten Hörsaal 17.01 bei der Feier zum Amtswechsel vom Rektorat Pritschow zum Rektorat Fritsch. Ein an die Wand gebeamter virtueller Flug über Stuttgart und die Universität endete am Ort der Veranstaltung und demonstrierte die Möglichkeiten der neuen Medien eindrucksvoll. Neue Technologien und Medien spielen auch im Konzept von Rektor Prof. Dr. Dieter Fritsch eine große Rolle, wie sein Vortrag zur wissenschaftlichen Weiterbildung zeigte. Die Feier der Rektoratsübergabe wurde von Altrektor Prof. Dr. Franz Effenberger eröffnet, der „Privileg und Aufgabe” an Stelle des Vorsitzenden des Großen Senats übernommen hatte, da es dieses Gremium nach dem neuen Universitätsgesetz nicht mehr gibt. Professor Effenberger dankte ausdrücklich dem langjährigen Vorsitzenden Prof. Dr. Hans Tiziani für seine Verdienste und geleistete Arbeit. Veranstaltungen wie die Rektoratsübergabefeier seien, so Effenberger, das äußere Anzeichen einer lebendigen Universität, wenn zahlreiche Gäste, Minister, Rektoren anderer Universitäten, die Altrektoren, die Lehrenden und Lernenden sich zu einem Anlaß harmonisch zusammenfinden.

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„Auch die Universitäten müssen auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagieren“, sagte Effenberger. Und welche Änderungen auf die Universitäten durch die neuen Entscheidungstrukturen, ein gestärktes Rektorat und die Einführung des Hochschulrates, zukommen werden, sei heute vielen noch nicht bewußt. Daß ein Rektor in Zukunft eher als Manager der Universität denn als ‚primus inter pares‘ agieren müsse, und dies über sechs Jahre, reihte Effenberger in die Monita zum neuen Uni-Gesetz. Da aber in Stuttgart der Rektor aus den eigenen Reihen der Professorenschaft komme, seien zumindest teilweise die alten Strukturen erhalten geblieben.


Die Amtskette mit "großem Vergnügen" übergeben: Altrektor günter Pritschow und
sein Nachfolger Dieter Fritsch (Foto: Hass)

Drei Jahrzehnte Rektoratsgeschichte
Der aktuelle Wandel fordere einen Rückblick auf die vergangenen drei Jahrzehnte Rektoratsgeschichte geradezu heraus. Effenberger startete seine Skizze in den 60er Jahren, „einer heilen akademischen Welt“, in der eine Amtszeit von einem Jahr für den Rektor nicht den Ausstieg aus der Forschung bedeutete. Die Studentenproteste nach 1965 brachten einen dramatischen Wandel. Die Ereignisse an der Universität führten auch zu enormen Belastungen der Rekorate Leonhardt und Blenke in dieser Zeit, die persönlich oft bis an die physischen Grenzen gegangen seien. Mit Karl-Heinz Hunken kam 1971 ein „bodenständiger Bauingenieur“ in das Amt, und in den folgenden Jahren seien mit dem Erhalt der Institutsstrukturen und dem Verwaltungsrat wichtige Weichen für die Zukunft gestellt worden. Auf Hunken folgte der leider viel zu früh verstorbene Rektor Zwicker, der zusammen mit dem Kanzler Blum viel für die Universität bewirkt habe. Effenberger selber, zusammen mit den Prorektoren Hartl und Pritschow, konnte die Geschicke der Uni am Ende der „goldenen achtziger Jahre“, einer Zeit des stürmischen Ausbaus auf allen Gebieten, gestalten. Das Rektorat Giesecke endete 1992 durch eine „ungewöhnliche Kampfabstimmung“, mit der Heide Ziegler das Rektoramt übernahm. 1996 folgte Pritschow, der „sich nicht zum Amt gedrängt“ habe, aber nach einer Gewissensentscheidung die persönlichen und beruflichen Interessen dem Wohl der Universität untergeordnet habe. Ihm sei es gelungen, nach Jahren inneruniversitärer Auseinandersetzungen wieder einen Ausgleich zu schaffen. Die Umsetzung des Solidarpaktes in Übereinstimmung mit den Fakultäten hob Effenberger als besondere Leistung des Rektorats Pritschow heraus.

Generationswechsel
Altrektor Effenberger bezeichnete den Wechsel zum Rektorat Fritsch als einen Generationswechsel an der Universitätsspitze. Er habe den neuen Rektor aus seinen Beiträgen im Senat als Vertreter einer jungen Professorenschaft erlebt, „die etwas bewegen wolle.“ Effenberger begrüßte die Option auf die Zukunft und wünschte der neuen Leitung, daß sie mit Objektivität und Pragmatismus ihre Ziele realisieren möge.

Schwieriger Start
Nach dem Altrektor betrat der scheidende Rektor das Podium noch mit den Insignien des Amtes, der Rektorkette, um diese persönlich „von Hals zu Hals“ übergeben zu können. Die Situation bei seinem Amtsantrit sei durch den anstehenden Solidarpakt, den Studierendenschwund, einen gespaltenen Senat und die fehlende Übergabe der Amtsgeschäfte nicht einfach gewesen. Es habe die Aufgabe bestanden, erst einmal „eine sachliche Arbeitsgrundlage herzustellen“. Internationalisierung sowie Start und Gründung der Technologie Transfer Initiative seien die ersten Ziele gewesen. Die notwendigen Einschnitte durch den Solidarpakt seien konstruktiv angegangen worden, sagte Pritschow unter Verweis auf drei gerade neu eingerichtete Lehrstühle aus den intern eingesparten Mitteln. Bei den Existenzgründungen seien die Zahlen zwar noch bescheiden, aber in der Tendenz immerhin steigend. Und nicht ohne Stolz verwies der Altrektor zum Thema Internationalisierung auf den „vor jeder Privatuni“ bereits 1997 eingerichteten ersten internationalen Studiengang an der Universität Stuttgart, WAREM. Zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls an der Universität seien in seinem Rektorat zahlreiche Initiativen ausgelöst worden. Pritschow erinnerte an die Einführung einer Alumni-Organisation, die Erstsemesterbegrüßung, die Sonntagsmatineen, die Ehrenmedaillen und Ehrentafeln und auch an die Eröffnung des Kulturkellers K4 an der Universität. Mit Rückblick auf das von ihm bestellte Haus übergebe er die Amtskette an seinen Nachfolger „mit großem Vergnügen“.

Auge für das Wesentliche
Der Rektor der Universität Freiburg, Prof. Dr. Wolfgang Jäger, überbrachte den Gruß der Kollegen aus der Landesrektorenkonferenz. Ausdrücklich bedankte sich Jäger für die integrierende Kraft Pritschows, der immer um Ausgleich bemüht war und ein Auge für das Wesentliche bei den oft schwierigen Sitzungen der „neun Könige“ gehabt habe. Die Herzlichkeit, den Witz und Esprit Pritschows werde die Landesrektorenkonferenz vermissen.

Bleibende Spuren
„Ihre Initiativen haben bleibende Spuren hinterlassen“, wandte sich Wissenschaftsminister Klaus von Trotha an den scheidenden Rektor Pritschow. Dieser habe „Geschichte für die Universität geschrieben“. Der Minister erinnerte an den Beginn des Solidarpakts, mit dem das Land dem Verlangen der Universitäten nach finanziellen Handlungsspielräumen in zwar begrenztem, aber sicheren Umfang nachgekommen sei. Mit großem Engagement habe Pritschow für eine intelligente Umsetzung gesorgt, „die auch vor eigenen Rechenmodellen nicht halt machte“. Aus dem mit der Stelleneinsparung von 14 anstelle der geforderten zehn Prozent gespeisten uni-internen Pool konnten bereits drei C3-Professuren zur Verfügung gestellt werden. Prof. Pritschow habe das neue Universitätsgesetz mit seinen Leitthemen Autonomie, Leistung und Wettbewerb von Anfang an als Chance für die Universität Stuttgart gesehen. Eine Vorreiterrolle nehme die Uni auch bei der Einführung von Globalhaushalten mit kaufmännischer Buchführung ein. Zu Pritschows „herausragenden Verdiensten“ zähle die Internationalisierung, sagte von Trotha, der auch dessen Verdienste im Technologietransfer und der TTI GmbH zur Unterstützung von Unternehmensgründungen aus der Hochschule würdigte. „Günter Pritschow war stets ein fairer Partner“, betonte von Trotha, der ihm „Witz und Beharrungsvermögen“ attestierte. Die Ziele des neuen Rektors, die Internationalisierung weiter voranzutreiben, sich verstärkt dem Hochschulmarketing und der Weiterbildung zu widmen und insbesondere via Internet die Angebote der Uni Stuttgart „in die ganze Welt hinauszutragen“, begrüßte der Minister ausdrücklich. In keinem anderen Bereich werde sich die Konkurrenz deutlicher zeigen. Für die Leitung des „Großunternehmens Universität Stuttgart“ wünschte er ihm „Weitsicht, Treffsicherheit und das unentbehrliche Quentchen Glück“. Dieser erinnerte daran, wie es seinem Vorgänger „mit seiner charmanten Berliner Art“ gelungen sei, ihn für das Amt des Prorektors sozusagen „einzufangen“ und dankte ausdrücklich für die „offene Atmosphäre“ in diesem Rektorat. In der Zusammenarbeit mit Uni-Angehörigen in zahlreichen Ausschüssen habe er zudem „ein enormes Potential zur Erneuerung und Innovation in Forschung und Lehre“ feststellen können. Fritsch nutzte die Gelegenheit, auf die rasche Vollendung des Neubaus für die Informatik zu drängen und den Wunsch der Uni für einen Neubau einer Bibliothek auf dem Campus in Vaihingen mit multimedialen Hörsälen und der Weiterentwicklung zu einem Medienzentrum zu artikulieren.

„Großbaustelle Virtueller Campus“
Ein engagiertes Plädoyer für die virtuelle Universität hielt Prof. Fritsch in seinem Vortrag „Weiterbildung per Internet - Offensive der Universität Stuttgart“. Bereits bis zum Jahr 2005 werde sich nach der Einschätzung von Fachleuten die Bildungslandschaft stark verändern: mehr als die Hälfte aller Studierenden werde dann virtuelle Studienangebote nutzen und die Weiterbildung zu über 90 Prozent virtuell laufen, skizzierte der neue Rektor den Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Um im globalen Wettbewerb in diesem neuen Bildungsmarkt „Key Player“ zu sein, bedürfe es unter anderem entsprechender Infrastrukturen und professioneller Web-Präsenz. Die Universität begrüße es, daß das Land mit seinem Projekt „Virtuelle Hochschule“ voranschreite und treibe - da sie bei einer ersten Ausschreibung nicht partizipieren konnte - das Projekt nun aus eigener Initiative voran. Die virtuelle Universität werde an der Uni Stuttgart als „eine besondere Herausforderung“ gesehen, „es gibt innerhalb der Universität eine Großbaustelle „Virtueller Campus“. Fritsch skizzierte kurz die Geschichte des Internet, das sich - 1969 in den USA als staatliches Netz für die Kommunikation zwischen Rüstungsbetrieben und Wissenschaftlern eingerichtet - seit der offiziellen Freigabe im Jahr 1989 rasant entwickelt habe. Gab es 1989 lediglich einen Server, so waren es 1997 660.000 und 1999 bereits 3,5 Millionen - mit weiterhin enormem Zuwachs. Erst das Internet erlaube die Flexibilität des orts- und zeitunabhängigen Zugriffs auf Daten in aller Welt. Als weitere wichtige Motivation, im Bereich der virtuellen Weiterbildung aktiv zu werden, nannte der Rektor die Zunahme der Informationsmenge und die heute übliche „Halbwertszeit des Fachwissens von etwa fünf Jahren“.

„Computerkids“ als Klientel von morgen
Die Verbindung von Weiterbildung und Internet eröffne neue Ansätze, wie Lernen am Arbeitsplatz, verbunden mit Kosteneinsparung und der Möglichkeit, die Weiterbildung in den Arbeitsablauf zu integrieren, Lernen auf Abruf mit dem Vorteil für den Lernenden, Wissen bei konkretem Bedarf zu erwerben oder die Individualisierung des Lernens mit der Möglichkeit, das Lerntempo selbst zu bestimmen. Fritsch verdeutlichte dies plastisch an einem Beispiel aus seinem Arbeitsgebiet, der digitalen Bildaufzeichnung, in einer multimedialen Vorlesung. Die virtuelle Aus- und Weiterbildung über das Internet, Intranet oder weitere Netze werde sehr schnell wachsen, prognostizierte Fritsch, „wir werden uns an der Universität strategisch hierauf einstellen“. Der virtuelle Campus sei eine absolute Notwendigkeit, da sich das Lern- und Ausbildungsverhalten rasch an die Web-Technologien anpasse. „Unsere Klientel von morgen sind die Computerkids“, sagte er, „diese Klientel läßt sich durch multimediale Anwendungen begeistern, nicht mehr so sehr von wohlklingenden Namen“. In diesem Wettbewerb - mit harter Konkurrenz im globalen Umfeld - dürfe die Universität Stuttgart nicht als Verlierer dastehen. Dieser Konkurrenz erfolgreich begegnen könne die Universität jedoch, wenn sie ihr Profil in Bereichen wie beispielsweise in der Informatik, dem Höchstleistungsrechnen, der Luft- und Raumfahrttechnik, der Kfz- und Motorentechnik oder der Betriebswirtschaft schärfe und daraus auch virtuelle Lehr- und Weiterbildungsmodelle entwickle. „Tausende von Alumni der Universität Stuttgart sind unsere ersten Kunden“, schloß Prof. Fritsch. Musikalisch in gewohnt exzellenter Ausführung umrahmt wurde die Veranstaltung vom Akademischen Orchester unter Leitung von Veronika Stoertzenbach mit Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 und der Fest-Ouvertüre von Schostakowitsch. Den Klavierpart gestaltete Oliver Klein.

eng/zi

 


last change: 27.04.01 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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