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Stuttgarter unikurier Nr. 87 April 2001
Alcatel SEL-Stiftungsprofessur:
Simulation - von Platon bis zur Virtualität
 

Auf Einladung der Abteilung für Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie konnte für die Alcatel SEL-Stiftungsprofessur Prof. Dr. Peter Gendolla, Inhaber der Professur Literatur, Kunst, neue Medien und Technologien an der Universität-Gesamthochschule Siegen, gewonnen werden. Über acht Vorträge erstreckte sich seine Vorlesungsreihe im Sommersemester 2000 mit dem Titel „Theorie und Geschichte der Simulation”, die Themen von „Mimesis: In Platons Höhle“, „Symbolischer Tausch: Fragen nach der Codierung“ bis hin zu „Virtuelle Realität“, „Modell Raum“ und „Modell Zeit“ behandelte.

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Vor dem Hintergrund der Debatten um die Möglichkeiten der neueren rechnergestützten Technologien, die sich anschicken „so etwas seltsames wie eine referenzlose Realität” zu erzeugen, unternahm Professor Gendolla während dieser Veranstaltung eine exemplarische, auch Literatur und Kunst integrierende Reise durch die Geschichte der Simulation. Diese begann mit Platons Höhle, „dem Urmodell aller Simulationen”. Der griechische Begriff „Mimesis“ (Nachahmen, Nachmachen) impliziert nach antiker Vorstellung noch keine „trügerischen Absichten”, sondern es wird etwas „vorgemacht, um zu lernen und, so Platos Schüler Aristoteles, zur Wahrheit zu gelangen”. Eine Umdeutung erfährt dieser Begriff im Sinne des lateinischen „simulare“. Folgt man der Definition des Begriffes „simulieren“ des Dudens aus dem Jahre 1963, so ist von „etwas vortäuschen“, „sich den Anschein von etwas geben“, „sich verstellen“ die Rede. Während in Francis Bacons „Nova Atlantis” die Utopie - „ein Cyberspace des 17. Jahrhunderts” - trotz der Möglichkeit aller Täuschungen der Wahrheit im Sinne Platons verpflichtet ist, folgen die Erfahrungen Kafkas, als Angestellter einer Versicherungsgesellschaft, obiger Definition aus dem Duden.

Simulation in der Literatur
Die Simulation hat in der Literatur eine lange Tradition und beginnt bereits mit „Spiel-im-Spiel”- oder „Buch-im-Buch”-Verschachtelungen von Shakespeare oder Cervantes. Allerdings findet solche „ästhetische Autoreferenzialität” und die Ausdifferenzierung dieses Themas in der romantischen Literatur sowie die Debatte eines unendlichen Bewußtseinsregresses in der idealistischen Philosophie von Fichte über Schelling zu Hegel noch nicht unter dem Eindruck der „Entkoppelung von Zeichen und Referenzen” statt, wie sie nun die elektronischen Medien „endgültig” machen, sich aber bereits in der Kunst ausgehend von Futurismus und Dadaismus bis zur heutigen Performance- und Happening-Art sowie in der Literatur in Romanen wie Umberto Ecos „Der Name der Rose”, den man als „Simulation eines Romans bezeichnen kann”, anbahnten. „Mit nur zufälliger oder ganz ohne Bindung an die materielle Welt seien die Zeichen in eine irre Zirkulation getrieben, würden beliebige Signifikanten beliebige Signifikate illuminieren, ein einmal vom internationalen Kapital entfesselter, nun von keiner Software-Company mehr zu stoppender Taumel”. Stand im metaphysischen, dreigliedrigen Zeichensystem noch die Idee, die Bedeutung oder das Signifikat an der Spitze und stellt sich Zeichen vor, „simuliert Signifikanten, die Materien vorstellen”, so „kippt dieses Dreieck in den neuen Medien zur Seite”. Der Charakter des Simulierten ändert sich, „der Sinn dirigiert nicht mehr, sondern wird dirigiert vom Spiel der Bilder und Worte, das Zeichenspiel unterhält zum Sinn und zum Referenten nur noch lose Beziehungen”. Ein zeitgenössisches Beispiel dieser Simulation, die in diesem Kontext als „Generierung von Zeichen aus Zeichen” definiert werden könnte, ist CAP (computer-aided-poetry), eine Software, die Wörter als Zeichen verarbeitet zu einer Reihe von Wörtern als „Sinnzusammenhang“, Gedicht. Eine Modellvorstellung im Sinne von Signifikat, Signifikant und Referenz läßt sich damit nicht mehr konstruieren.

Wahrnehmung in mediatisierter Umwelt
Diese Diskussion ist jedoch in ihrer Außenwirkung gegenwärtig eine vornehmlich technologische. Und Computerspiele, virtuelle Räume, die mit Datenhelm und -anzug „begehbar“ sind, Fahrsimulatoren, wie sie unter anderem von der Deutschen Bahn AG in Fulda betrieben werden, werden noch nach den „alten Modellvorstellungen als Täuschungen” verstanden. So lobte der frühere Bahn-Chef Heinz Dürr, daß er „nach kurzer Zeit vergaß, daß er nicht in einer echten Lok saß.” Allerdings schwindet genau diese Gewißheit. Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ebenso wie unsere Selbstwahrnehmung finden in einer medialisierten Umwelt statt, die Gendolla als „Zerlegungs- und Zusammensetzungsapparat” bezeichnet und die nicht mehr durch Verhältnisse wie „Präsenz/Repräsentation”, „Original/ Kopie” oder „Wahrheit/Fälschung” gekennzeichnet ist. Waren in den ursprünglichen Simulationsmodellen Zeichensysteme an Materialität gebunden, sowie die Tatsache, „daß etwas existiert, die unabdingbare Voraussetzung aller ernsthaften, wahren Kommunikation - alles andere fiel unter Schein, Täuschung, Lüge, Verrat …” -, so wird nunmehr der Sachverhalt „daß und wie … etwas für jemanden existiert, wahrnehmbar und wirksam wird, allererst in Informationssystemen definiert, generiert und produziert”. Das ist die neue Dimension moderner Informationstechnologie und Simulation, die ein Maß, eine Qualität von „Existenz“ oder „Wahrheit“ im Zusammenspiel mit unserer Wahrnehmungsfähigkeit als „Resultat unserer Kommunikation” erzeugt. Ob wir diese neue Welt „ohne Vorbild” als erschreckende Leere oder begeisternde Fülle erleben, bleibt eine spannende, offene und ebenso noch referenzlose Frage.

J. Schaub

KONTAKT
Institut für Philosophie, Abteilung Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie, Seidenstr. 36, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-2491, Fax 0711/121-2492, e-mail: wttp@gmx.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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