Vor
dem Hintergrund der Debatten um die Möglichkeiten der
neueren rechnergestützten Technologien, die sich anschicken
„so etwas seltsames wie eine referenzlose Realität zu
erzeugen, unternahm Professor Gendolla während dieser
Veranstaltung eine exemplarische, auch Literatur und Kunst
integrierende Reise durch die Geschichte der Simulation.
Diese begann mit Platons Höhle, „dem Urmodell aller Simulationen.
Der griechische Begriff „Mimesis“ (Nachahmen, Nachmachen)
impliziert nach antiker Vorstellung noch keine „trügerischen
Absichten, sondern es wird etwas „vorgemacht, um zu lernen
und, so Platos Schüler Aristoteles, zur Wahrheit zu gelangen.
Eine Umdeutung erfährt dieser Begriff im Sinne des lateinischen
„simulare“. Folgt man der Definition des Begriffes „simulieren“
des Dudens aus dem Jahre 1963, so ist von „etwas vortäuschen“,
„sich den Anschein von etwas geben“, „sich verstellen“
die Rede. Während in Francis Bacons „Nova Atlantis die
Utopie - „ein Cyberspace des 17. Jahrhunderts - trotz
der Möglichkeit aller Täuschungen der Wahrheit im Sinne
Platons verpflichtet ist, folgen die Erfahrungen Kafkas,
als Angestellter einer Versicherungsgesellschaft, obiger
Definition aus dem Duden.
Simulation
in der Literatur
Die Simulation hat in der Literatur eine lange Tradition
und beginnt bereits mit „Spiel-im-Spiel- oder „Buch-im-Buch-Verschachtelungen
von Shakespeare oder Cervantes. Allerdings findet solche
„ästhetische Autoreferenzialität und die Ausdifferenzierung
dieses Themas in der romantischen Literatur sowie die
Debatte eines unendlichen Bewußtseinsregresses in der
idealistischen Philosophie von Fichte über Schelling zu
Hegel noch nicht unter dem Eindruck der „Entkoppelung
von Zeichen und Referenzen statt, wie sie nun die elektronischen
Medien „endgültig machen, sich aber bereits in der Kunst
ausgehend von Futurismus und Dadaismus bis zur heutigen
Performance- und Happening-Art sowie in der Literatur
in Romanen wie Umberto Ecos „Der Name der Rose, den man
als „Simulation eines Romans bezeichnen kann, anbahnten.
„Mit nur zufälliger oder ganz ohne Bindung an die materielle
Welt seien die Zeichen in eine irre Zirkulation getrieben,
würden beliebige Signifikanten beliebige Signifikate illuminieren,
ein einmal vom internationalen Kapital entfesselter, nun
von keiner Software-Company mehr zu stoppender Taumel.
Stand im metaphysischen, dreigliedrigen Zeichensystem
noch die Idee, die Bedeutung oder das Signifikat an der
Spitze und stellt sich Zeichen vor, „simuliert Signifikanten,
die Materien vorstellen, so „kippt dieses Dreieck in
den neuen Medien zur Seite. Der Charakter des Simulierten
ändert sich, „der Sinn dirigiert nicht mehr, sondern wird
dirigiert vom Spiel der Bilder und Worte, das Zeichenspiel
unterhält zum Sinn und zum Referenten nur noch lose Beziehungen.
Ein zeitgenössisches Beispiel dieser Simulation, die in
diesem Kontext als „Generierung von Zeichen aus Zeichen
definiert werden könnte, ist CAP (computer-aided-poetry),
eine Software, die Wörter als Zeichen verarbeitet zu einer
Reihe von Wörtern als „Sinnzusammenhang“, Gedicht. Eine
Modellvorstellung im Sinne von Signifikat, Signifikant
und Referenz läßt sich damit nicht mehr konstruieren.
Wahrnehmung
in mediatisierter Umwelt
Diese Diskussion ist jedoch in ihrer Außenwirkung gegenwärtig
eine vornehmlich technologische. Und Computerspiele, virtuelle
Räume, die mit Datenhelm und -anzug „begehbar“ sind, Fahrsimulatoren,
wie sie unter anderem von der Deutschen Bahn AG in Fulda
betrieben werden, werden noch nach den „alten Modellvorstellungen
als Täuschungen verstanden. So lobte der frühere Bahn-Chef
Heinz Dürr, daß er „nach kurzer Zeit vergaß, daß er nicht
in einer echten Lok saß. Allerdings schwindet genau diese
Gewißheit. Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ebenso wie unsere
Selbstwahrnehmung finden in einer medialisierten Umwelt
statt, die Gendolla als „Zerlegungs- und Zusammensetzungsapparat
bezeichnet und die nicht mehr durch Verhältnisse wie „Präsenz/Repräsentation,
„Original/ Kopie oder „Wahrheit/Fälschung gekennzeichnet
ist. Waren in den ursprünglichen Simulationsmodellen Zeichensysteme
an Materialität gebunden, sowie die Tatsache, „daß etwas
existiert, die unabdingbare Voraussetzung aller ernsthaften,
wahren Kommunikation - alles andere fiel unter Schein,
Täuschung, Lüge, Verrat
-, so wird nunmehr der Sachverhalt
„daß und wie
etwas für jemanden existiert, wahrnehmbar
und wirksam wird, allererst in Informationssystemen definiert,
generiert und produziert. Das ist die neue Dimension
moderner Informationstechnologie und Simulation, die ein
Maß, eine Qualität von „Existenz“ oder „Wahrheit“ im Zusammenspiel
mit unserer Wahrnehmungsfähigkeit als „Resultat unserer
Kommunikation erzeugt. Ob wir diese neue Welt „ohne Vorbild
als erschreckende Leere oder begeisternde Fülle erleben,
bleibt eine spannende, offene und ebenso noch referenzlose
Frage.
J. Schaub
KONTAKT
Institut für Philosophie, Abteilung Wissenschaftstheorie
und Technikphilosophie, Seidenstr. 36, 70174 Stuttgart,
Tel. 0711/121-2491, Fax 0711/121-2492, e-mail:
wttp@gmx.de