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Stuttgarter unikurier Nr. 87 April 2001
Geowissenschaftliches Kolloquium:
Lateinamerika unter der Lupe
 

Rund 300 Teilnehmer aus 21 Nationen waren zum 17. Geowissenschaftlichen Lateinamerika-Kolloquium vom 11. bis 13. Oktober letzten Jahres nach Stuttgart gereist. Der alle zwei Jahre an einer deutschen Universität stattfindende Kongreß führt viele europäische und lateinamerikanische Forscher zusammen, die in Süd- und Mittelamerika wissenschaftlich tätig sind. Die Forschungsbereiche umfassen neben Geologie auch Geographie, Hydrologie und Lagerstättenkunde sowie in größerem Umfang auch Umweltthemen. Etwa 120 Wissenschaftler kamen aus den lateinamerikanischen Ländern, mit den 150 Teilnehmern aus Deutschland waren die meisten deutschen Universitäten vertreten. Etwa 30 Teilnehmer reisten aus anderen europäischen Staaten an. Veranstalter war das Institut für Geologie und Paläontologie.

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Der wissenschaftliche Teil auf dem Uni-Campus in Vaihingen umfaßte etwa 150 Poster und weit über 100 Vorträge in fünf parallelen Sitzungen. Die Präsentationen behandelten nahezu alle Aspekte der Geologie Lateinamerikas und alle aktuellen Umweltprobleme. Zahlreiche Nachwuchswissenschaftler erhielten bei 30 Übersichtsreferaten Gelegenheit, ihre Arbeit zu präsentieren und so den Grundstein für ihre Karriere zu legen. Als Neuerung hatte Tagungsleiter Prof. Hartmut Seyfried einstündige wissenschaftliche Streitgespräche eingeführt. Dabei ging es um drei Fragen, auf die es bis heute noch keine über-zeugende Antwort gibt: „Warum sind die Anden ein so mächtiges Gebirge?“, „Waren Nord- und Südamerika früher ein gemeinsamer Kontinent?“ und die „Entstehung der Karibik“. Obwohl vorab etwas mißtrauisch beäugt, wurden diese Streitgespräche von den Teilnehmern enthusiastisch angenommen. Da die strittigen Themen in kurzer Zeit von den unterschiedlichsten Seiten beleuchtet wurden, konnten auch Außenstehende einen hohen Grad an Informationsdichte aus diesen Debatten ziehen. Diskussionsteilnehmer und Zuhörer waren sich einig, daß diese Art von Streitgesprächen fortgesetzt werden sollte. Als Detail am Rande sei hier erwähnt, daß die Teilnehmer der drei Runden spontan und ohne Zutun des Tagungsleiters einmal auf deutsch, dann auf spanisch und in der letzten Runde schließlich auf englisch debattierten.

Rezzo Schlauch: Rolle der Verwaltung bei Beseitigung der Armut
Besonderen Zuspruch erfuhren die beiden Abendveranstaltungen des Kongresses mit jeweils rund 250 Gästen, ein Empfang im Institut für Geologie und Paläontologie im Herdweg 51 und eine festliche Abendveranstaltung im Staatlichen Museum für Naturkunde am Löwentor. Den öffentlichen Festvortrag zum Thema „Lateinamerika zwischen Globalisierung und Ökologisierung“ hielt in diesem Rahmen Rezzo Schlauch, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Deutschen Bundestag. Insbesondere zwei Punkte der simultan ins Spanische übersetzten Rede erregten Aufmerksamkeit. Zum ersten die Tat-sache, daß ein führender deutscher Politiker im Detail die Konsequenzen erläuterte, die sich aus dem Lernprozeß der letzten Jahre ergeben haben: Weg von der unseligen „Entwicklungshilfe“-Politik und hin zu einer partnerschaftlichen Beziehung. In diesem Zusammenhang kam auch der Hinweis auf die oft vergessene Tatsache, daß die Wirt-schaftskraft Lateinamerikas diejenige Chinas um mehr als das Dreifache übertrifft, sehr gut an. Der zweite, insbesondere von den Teilnehmern aus Lateinamerika anschließend intensiv diskutierte Punkt war der Hinweis darauf, daß eine gut funktionierende und transparente Verwaltung die Grundvoraussetzung für die Beseitigung der Armut ist. Jeder, der schon einmal in Lateinamerika gelebt hat, weiß Geschichten über Willkür und Schwerfälligkeit zu erzählen. Es kam sehr gut an, daß Rezzo Schlauch dies nicht im Stil besserwisserischer Standard-Ermahnungen vortrug, wie sie immer wieder aus den in-dustrialisierten Ländern zu hören sind, sondern als gut nachvollziehbaren Hinweis auf ein offensichtliches - und vor allem lösbares - Problem, das die Lateinamerikaner aus eigener Kraft meistern können und müssen.

Tango Argentino
Anschließend gaben Tagungsleiter Prof. Seyfried und seine Partnerin Birgit Wälder eine Kostprobe ihrer langjährigen gemeinsamen Leidenschaft, des Tango Argentino. Diese von stehenden Ovationen begleitete Vorführung beeindruckte vor allem die zahlreichen argentinischen Gäste. In den Pausen sorgte eine mexikanische Mariachi-Kapelle für Stimmung, bis schließlich einige Teilnehmer aus Kuba ihrem Temperament freien Lauf ließen und mit einer nicht enden wollenden Guantanamera, bei der mehr als 15 Ta-gungsteilnehmer mit zum Teil höchst geistreichen Stegreifreimen brillierten, für einen unvergeßlichen Abschluß des Abends sorgten. Die Mitarbeiter des Instituts für Geologie und eine große Zahl studentischer Hilfskräfte haben mit viel Engagement diese organisatorische Herausforderung gemeistert und erhielten von den Teilnehmern viel Lob für permanente Präsenz und intensive dreisprachige Betreuung. Die Universität Stuttgart, das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, die Vereinigung von Freunden der Universität und die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben es ermöglicht, die Tagung durchzuführen und zahlreiche lateinamerikanische Wissenschaftler mit Reisebeihilfen zu unterstützen. Besonders erfreulich war, daß auch in Zeiten knapper Kassen eine große Zahl von Unternehmen den Kongreß bereitwillig und großzügig gefördert haben.

Elmar Buchner/uk

KONTAKT
Prof. Dr. Hartmut Seyfried, Institut für Geologie und Paläontologie, Herdweg 51, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-1339, -1321, Fax 0711/121-1341, e-mail: hartmut.seyfried@geologie.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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