Das
ITV ist eines der drei Institute der Deutschen Institute
für Textil- und Faserforschung Stuttgart, Stiftung des
öffentlichen Rechts mit Sitz in Denkendorf, die vor 80
Jahren gegründet wurde. Auch die damalige Technische Hochschule
Stuttgart stand damals bereits Pate. Mit ca. 240 Mitarbeitern
und einem Haushalt von über 30 Millionen Mark gehört das
ITV europaweit zu den größten Einrichtungen auf dem Gebiet
der Textilforschung. Und dabei handelt es sich fast vollständig
um Drittmittel, also auftragsbezogen eingeworbene Gelder
der öffentlichen Hand und der Industrie. Aber nicht nur
quantitativ gehört man international zur Spitzengruppe,
erläutert Professor Planck nicht ohne Stolz. Die Sonderstellung
rührt vor allem daher, daß in Denkendorf von der Faserproduktion
bis zum marktreifen Produkt alle Bereiche der textilen
Fertigung interdisziplinär erforscht werden können. Und
wenn es sein muß, auf technischen Anlagen im Produktionsbetrieb
im Maßstab 1:1. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß
im Sommer des vergangenen Jahres das ITV von der Region
Stuttgart mit dem Gütesiegel „Kompetenzzentrum Technische
Textilien“ ausgezeichnet worden ist.
Überall
im Einsatz
Nahezu jeder benutzt Technische Textilien, ohne sich dessen
bewußt zu sein: als Funktionskleidung für Sport und Freizeit
und im Auto sind jede Menge High-tech-Fasern im Einsatz.
Der Skianzug und der Autositz transportieren die Feuchtigkeit,
das Fahrzeuginnere erhält mittels durchgestylter Textilien
eine angenehme Akustik, Faservertärkte Hydraulikleitungen
werden auch zur Geräuschdämpfung der Hydraulik oder im
ABS-Regelkreis eingesetzt und der Luftfilter sorgt über
textile Strukturen in Kombination mit Aktivkohle für sichere
Geruchsabsorption. Und nebenbei fällt dann als spin-off
der Forschung an der Reinraumkleidung noch ein Matratzenschoner
für Allergiker ab oder man entwickelt Textilien mit elektromagnetischer
Schutzwirkung z.B. für den Handy-Benutzer. Zu den Highlights
der letzten Jahre zählt der Denkendorfer Institutsleiter
unter anderem die Entwicklung neuer Faserspinnverfahren,
mit denen Fasergarne maßgeschneiderte Strukturen und Eigenschaften
erhalten.
Wachstumsbranche
Biomedizintechnik
Dann gibts in Denkendorf noch den Bereich der Biomedizintechnik.
Inzwischen arbeiten hier rund 50 Mitarbeiter auf diesem
hoch innovativen Forschungsgebiet der Biomaterialien und
künstlichen Organe. Es sei eine Tendenz in der Medizin
erkennbar, sagt Planck, geschädigte Organe nicht mehr
durch künstliche zu ersetzen, sondern die körpereigene
Regenerationsfähigkeit durch neue Werkstoffe oder durch
Zellkulturtechniken funktionale Implantate zu entwickeln.
Da sind etwa resorbierbare dreidimensional als Ohrmuscheln
geformte Vliesstoffe, in denen man körpereigene Knorpelzellen
des Patienten wachsen läßt, um einen Ohrmuschelersatz
herzustellen. Zusammen mit Tübinger Medizinern arbeitet
man in Denkendorf an einem temporären Leberersatz, der
wie ein Bioreaktor die Leberfunktion über eine bestimmte
Zeit übernehmen kann. Oder eine biohybride Bauchspeicheldrüse,
in der Zellen soviel Insulin produzieren, wie der Patient
braucht. Diese Arbeiten sind eingebunden in das Kompetenzzentrum
Deutsches Zentrum für Biomaterialien und Organersatz Stuttgart-Tübingen
(BMOZ), das von Professor Planck geleitet wird und an
dem Institute und Einrichtungen der Stuttgarter und der
Tübinger Uni sowie das Stuttgarter Marienhospital beteiligt
sind.
Know-how
stärken ...
Seit dem Ende der 80er Jahre sind die technischen Textilien
auf dem Vormarsch. Da habe man erkannt, daß im Textil
ein Einsatzfeld weit über die Bekleidung hinaus vorhanden
sei. Die im Südwesten Deutschlands traditionell beheimatete
Textilindustrie habe dadurch neue Chancen und ausgezeichnete
Wachstumsmöglichkeiten erfahren. Da die Massenproduktion
von textiler Bekleidung in den letzten Jahrzehnten in
die Billiglohnländer ausgewandert ist, habe sich die heimische
Textilindustrie auf ihre Stärken im Know-how besonnen.
„Technische Textilien brauchen viel Erfahrung, Know-how
beim Umgang mit High-tech-Materialien und Anlagen wie
auch viel Kreativität, und das ist in den Billiglohnländern
so nicht vorhanden“, sagt Planck.
...
und erhalten
Aber das vorhandene Know-how hierzulande muß erhalten
und ausgebaut werden. „Auch bei uns ist Not am Mann
wie in anderen ingenieur- und naturwissenschaftlichen
Disziplinen“, bestätigt Planck, der über Vorlesungen und
Praktika zum Themenkreis Textiltechnik, Textilmaschinenbau
und Biomaterialien in den Lehrbetrieb der Universität
eingebunden ist. „Wir wollen es positiv angehen und haben
dazu zusammen mit Industriefirmen einen Förderverein gegründet,
werben aktiv an den Schulen, laden Gymnasien zu Besichtigungen
ein, beteiligen uns an Projekten in der Schule und unterstützen
die Studenten finanziell.“ Und er merkt an, daß inzwischen
technische Universitäten wie Aachen oder Dresden und einige
Fachhochschulen in der Region Bachelor- und Masterstudiengänge
für Textilingenieure / Textilmaschinenbauer anbieten.
„Hier ist auch unsere Universität gefordert“, ergänzt
Planck. Über ein Drittel der weltweit hergestellten Textilmaschinen
stammen aus Deutschland. „Die Zukunftschancen sind für
unsere Absolventen im Bereich der Textiltechnik und des
Textilmaschinenbaus so gut wie selten zuvor. Die Internationalisierung
der Ausbildung zeigt positive Nachwirkungen: Erst vor
wenigen Tagen“, erzählt Professor Planck, „hat einer unserer
ausländischen Absolventen, der jetzt in seiner Heimat
im Ministerium arbeitet, bei uns um Unterstützung bei
der Modernisierung der dortigen Textilindustrie nachgefragt.“
Das Wachstumsgebiet technischer Textilien soll demnächst
in Denkendorf auch einen sichtbaren Ausdruck erhalten.
Auf dem Tisch im Büro des geschäftsführenden Direktors
steht ein Holz-Modell der Denkendorfer Institute, in das
bereits ein mit zehn Millionen Mark veranschlagter Neubau
für die Textiltechnik integriert ist, der vom Land Baden-Württemberg
finanziert wird und in dem neue Textilmaschinen aufgebaut
werden, die größten Teils von der Industrie gestiftet
werden. /eng
KONTAKT
Prof. Dr.-Ing. H. Planck, Institut für Textil-und Verfahrenstechnik,
Körschtalstr. 26, 73770 Denkendorf Tel: 0711/9340 216,
Fax 0711/9340 261 e-mail: heinrich.planck@itvd.uni-stuttgart.de,
www.itvd.uni-stuttgart.de