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Stuttgarter unikurier Nr. 88 Dezember 2001
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Dinge mit Eigenleben

Der Literaturwissenschaftler Volker Klotz spürt in seinen jüngsten Forschungsarbeiten dem Umgang mit den materiellen Dingen auf der Bühne und in der Novelle nach.
Volker Klotz, emeritierter Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Stuttgart, hat im vergangenen Jahr in kurzem Abstand zwei Monographien veröffentlicht, die sich nicht nur an eine fachwissenschaftliche Leserschaft richten - zumal Klotz mit der eigenen Zunft gern kritisch umgeht. Beiden Publikationen gemeinsam ist, neben der Lebendigkeit des Stils, der Blick über die Grenzen der Fachdisziplin hinaus.
Gegenstand als Gegenspieler. Widersacher auf der Bühne: Dinge, Briefe, aber auch Barbiere widmet sich dem Drama - jedoch aus ungewöhnlicher Perspektive. Gilt die literaturwissenschaftliche Analyse üblicherweise den Protagonisten in konfliktreichem Geschehen (oder aber den philosophischen Interessen ihrer Schöpfer), so richtet Klotz den Blick auf scheinbar Nebensächliches und Unwichtiges: leblose Gegenstände, Requisiten. Pfeil und Bogen, Taschentuch, Brief und Häubchenschleife entfalten auf der Bühne ein beachtliches Eigenleben. Nicht zuletzt dokumentiert sich dies in der Häufigkeit, mit der Gegenstände zu ‚Titelhelden‘ von Dramen und Komödien wurden: Der Biberpelz‚ Der zerbrochne Krug, Nagerl und Handschuh‚ Die Hose - um nur einige der von Klotz betrachteten Beispiele anzuführen. Durchweg anschaulich zeichnet er den Funktionswandel der Dinge auf der Bühne nach. Vom antiken Gnorismaton, das als schicksalhaftes Erkennungszeichen noch an den Körper der Hauptfigur gebunden war, wandelt sich der Gegenstand im Verlauf der Epochen immer mehr zum eigenständigen Gegenspieler - wie etwa der Bogen der Amazonenkönigin Penthesilea oder das Messer des Büchnerschen Woyzeck. Daß es insgesamt überwiegend Bühnenwerke sind, in denen die Gegenstände eine so exponierte Stellung erreichen konnten, sieht Klotz in ihrer tatsächlichen Anwesenheit auf der Bühne begründet. Die eigene Erfahrung als Theaterkritiker und Dramaturg mag den Blick für das bühnentechnische Detail und seine Wirkung auf die Zuschauer geschärft haben. Nicht ganz zu Unrecht hält er den Fachkollegen aus der Literaturwissenschaft vor, Bühnenstücke fast ausschließlich als Lesestücke zu rezipieren und allenfalls „hinter dem eigenen Rücken“ ins Theater zu gehen.

Auch Klotz‘ zweites Buch beschäftigt sich mit leblosen Gegenständen - allerdings mit solchen, die in Verwandlung begriffen sind. „Venus Maria. 
Auflebende Frauenstatuen in der Novellistik“ geht den überaus vielfältigen Metamorphosen als Sujet literarischer Texte nach - tatsächlich können die berühmten Oden Ovids als „Proto-Novellistik“ gelten, insofern sie von unerhörten Begebenheiten erzählen. Nach der Ovidschen Initialzündung zeigt sich die Literatur jedoch lange Zeit abstinent gegenüber dem Verwandlungsmotiv, bis es im 19. Jahrhundert fast explosionsartig auflebt (etwa in Eichendorffs Marmorbild, Kellers Sieben Legenden, Mérimées Venus von Ille, von Gaudys Frau Venus und Becquers Der goldne Armreif), um auch in der Moderne noch fortzuleben. Faszinosum des Vorgangs, wenn eine Statue sich zum Menschen aus Fleisch und Blut transformiert (oder wenn umgekehrt ein fühlender Mensch versteinert, wie Ovids Niobe), ist für Klotz der schöne Schrecken des an sich schaurigen Erlebnisses, das Alltags- und Leseerfahrung sprengt. Klotz untersucht diesen Vorgang in der Individualität der einzelnen Texte, die er aber immer wieder aufeinander bezieht. Der Hinweis, daß dieses reizvolle Sujet in seiner Vielfalt bisher kaum beachtet wurde, erfolgt sicherlich zu Recht - und auf weitere Neuigkeiten des umtriebigen Emeritus Klotz darf man gespannt sein.

Kordula Glander

Volker Klotz: Gegenstand als Gegenspieler. Widersacher auf der Bühne: Dinge, Briefe, aber auch Barbiere. Wien (Sonderzahl) 2000. ISBN 3-85449-170-0.
ders., Venus Maria. Auflebende Frauenstatuen in der Novellistik. Bielefeld (Aisthesis) 2000. ISBN 3-89528-247-2.


last change: 12.12.01 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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