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Stuttgarter unikurier Nr. 88 Dezember 2001
Projekt für die Nachhaltige Bioproduktion:
Bakterien ersetzen Chemie
 

Wissenschaftler des Instituts für Bioverfahrenstechnik der Universität Stuttgart haben ein Verfahren entwickelt, um aus dem hochgiftigen Abfallstoff Propionitril auf biologischem Wege einen in der Landwirtschaft wieder einsetzbaren Rohstoff zu gewinnen. Seit August 2001 arbeiten die Stuttgarter Forscher im Rahmen des BMBF-Förderprogramms „Nachhaltige Bioproduktion“ gemeinsam mit englischen Wissenschaftlern und zwei Industriepartnern an der Übertragung dieses Verfahrens auf andere für den Pharma- und Feinchemikalienbereich relevante Produkte.

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Bei der industriellen Herstellung synthetischer Garne entsteht der Abfallstoff Propionitril (Ethylcyanid). Dieses ist sehr giftig und seine Entsorgung verursacht große Umweltprobleme; lange Zeit wurden solche Verbindungen sogar in der Nordsee „verklappt“. Bisher setzt man Propionitril üblicherweise auf chemischem Wege zu Ammoniumpropionat um. Ammoniumpropionat wiederum ist nützlich und kann den Futtermitteln zur Verdauungsförderung zugesetzt werden, da es ein natürlicher von Propionibakterien gebildeter Bestandteil in der Darmflora von Wiederkäuern ist. Die bei dem chemischen Verfahren erforderliche Neutralisation führt jedoch zu einer hohen Salzbelastung des Abwassers. Es gibt aber auch eine Umsetzung auf biologischem Wege, die in der Natur von einer Reihe von Bakterien geleistet wird.

Für Menschen toxisch - für Mikroorganismen eßbar
Die Eigenschaft, Nitrile zu hydrolysieren, also zu spalten oder zu verseifen, ist in der Natur unter Mikroorganismen weit verbreitet, da solche Verbindungen natürlicherweise etwa als Fraßschutz bei vielen Pflanzen vorkommen. Anwendungstechnisch von großem Interesse ist die Nutzung der mikrobiellen Nitrilhydrolyse inzwischen bereits bei einer Reihe von Entgiftungsprozessen und industriellen Biotransformationsverfahren, die mit Hilfe von Mikroorganismen oder Enzymen durchgeführt werden. Bereits seit Anfang der 90er Jahre etabliert ist etwa in Japan die technische Anwendung von solchen Mikroorganismen zur Herstellung der Kunststoffvorstufe Acrylamid aus Acrylonitril. Will man durch Biotransformation jedoch nicht nur wie in diesem Beispiel ein Amid, sondern wie im Fall des Ammoniumpropionat eine Säure herstellen, muß man dafür Mikroorganismen einsetzen, die enzymatische Reaktionen durchführen können wie in der Abbildung unten gezeigt. Mit Hilfe dieser Reaktion gelingt es einigen Mikroorganismen sogar, Nitrile als einzige Kohlenstoff- und/ oder Stickstoffquelle zum Wachstum zu nutzen. Was für den Menschen also hochgiftig ist, wird für die Mikroorganismen zum Nahrungsmittel. In der Regel muß dabei die Synthese dieser Enzyme jedoch während des Wachstums der Mikroorganismen erst durch Zugabe entsprechender Verbindungen - sogenannter Induktoren - angeregt werden.
In einem gemeinsamen Projekt der BASF AG in Ludwigshafen und der Biokatalyse-Arbeitsgruppe des Instituts für Bioverfahrenstechnik der Universität Stuttgart unter der Leitung von Professor Dr. Christoph Syldatk wurde ein Verfahren entwickelt, bei dem das Bakterium Rhodococcus erythropolis DSM 13002 in zwei Reaktionsschritten Propionitril zu Ammoniumpropionat umsetzen kann. Mit nicht mehr wachsenden („ruhenden“) Zellen wurden umfangreiche reaktionskinetische Untersuchungen zur Umsetzung von Propionitril zu Ammoniumpropionat, zum Einschluß („Immobilisierung“) der Zellen in speziellen Gelen, zu ihrer Wiederverwendung und zu möglichen Prozeßauslegungen durchgeführt. Die Ergebnisse der Untersuchungen, die inzwischen von der BASF AG zum Patent angemeldet wurden, zeigten, daß es mit einer entsprechenden Prozeßführung möglich ist, Konzentrationen von bis zu 1.5 Mol Propionitril zu Ammoniumpropionat umzusetzen. Bei Verwendung einer speziellen „Zufüttertechnik“ für das toxische Propionitril („Fed-Batch-Technik“) ist es sogar möglich, extrem hohe Endproduktkonzentrationen von bis zu 3 Mol Ammoniumpropionat (das entspricht über 200g Produkt pro Liter) zu erreichen. Mit den durch natürliches Polymer Alginat, das z. B. auch bei der Speiseeisherstellung Anwendung findet, immobilisierten Zellen ist außerdem eine kontinuierliche Umsetzung des Propionitrils möglich. Diese Ergebnisse sind in der Doktorarbeit von Dr.rer.nat. Hans-Jürgen Christian festgehalten.

Mögliche Enzymreaktionen zur Hydrolyse von Nitrilen zu den
korrespondierenden organischen Säuren. 

Wirtschaftliche Umsetzung angestrebt
Trotz dieser erfolgreich durchgeführten Optimierungen sind für eine wirtschaftliche Umsetzung des Prozesses bei der Züchtung des Stammes im Bioreaktor sowohl die erreichten Zellkonzentrationen als auch die Kontinuität der Enzymaktivitäten noch zu begrenzt. Auf diese Parameter können sowohl die Mediumszusammensetzung, die Zugabe verschiedener Nitrile während der Züchtung als Induktoren, oder auch eine Belichtung Einfluß haben. Es ist jedoch grundsätzlich schwierig, bei Zellen während einer absatzweisen (Batch-)Kultur solche Effekte äußerer Faktoren auf die Enzymsynthese und -stabilitäten reproduzierbar zu untersuchen. Gegenstand eines gemeinsamen Forschungsvorhabens der Stuttgarter Arbeitsgruppe mit der Arbeitsgruppe Microbial Technology von Professor Dr. Alan T. Bull an der University of Kent in Canterbury (Großbritannien), die sich seit einigen Jahren intensiv mit der Biodiversität von Rhodococcus erythropolis-Bakterien aus Tiefseebiotopen beschäftigt, war im vergangenen Jahr daher, für diesen Stamm ein besser geeignetes Medium und eine geeignete Züchtungsstrategie zu entwickeln, um reproduzierbare und gleichbleibende Bedingungen für Untersuchungen der verschiedenen Einflußfaktoren auf Wachstum und Enzymsynthese zu haben. In Großbritannien war es bereits gelungen, für andere Gram-positive und schwer kultivierbare Bakterien sowohl Systeme zur kontinuierlichen Kultivierung als auch zu deren Zellrückhaltung und Hochzelldichtekultivierung zu etablieren. Gemeinsam mit den britischen Wissenschaftlern konnte schließlich ein Versuchsaufbau entwickelt werden, der es nun erlaubt, Effekte wie den Einfluß von Induktoren, komplexen Mediumsbestandtei-len, Metallionen und auch die Bedeutung der Belichtung bei der Zellanzucht unter physiologisch gleichbleibenden Bedingungen zu untersuchen. Damit kann nun erfolgreich der Einfluß der verschiedenen Parameter auf das Zellwachstum und die Enzymaktivität verfolgt werden. In den kommenden zwei Jahren werden nun die Stuttgarter Wissenschaftler gemeinsam mit den Briten und zwei Industriepartnern im Rahmen des BMBF-Förderprogrammes „Nachhaltige Bioproduktion“ die Umsetzung komplex aufgebauter („sterisch gehinderter“) Nitrile weiter untersuchen.

Kontakt
Prof. Dr.rer.nat. Christoph Syldatk, Institut für Bioverfahrenstechnik, Allmandring 31, 70569 Stuttgart
Tel. 0711/685-5157 Fax 0711/685-5164 e-mail: syldatk@ibvt.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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