Stuttgarter unikurier
Nr. 88 Dezember 2001 |
Institut für
Geotechnik rechnet für Pisa den Schiefen Turm:
Wird
der Turm sich wieder neigen? |
Das
Institut für Geotechnik der Universität Stuttgart unter
der Leitung von Professor Pieter A. Vermeer ist vom Consorzo
Progetto Torre di Pisa, der Gesellschaft zur Rettung des
Schiefen Turms von Pisa, mit der Nachrechnung der Verformungen
im Boden und der damit verbundenen Neigung des Turmes
beauftragt worden. Jahrelange Rettungsarbeiten hatten
in diesem Jahr dazu geführt, daß der Turm um etliche Zentimeter
wieder aufgerichtet werden konnte. Ob man in Italien wirklich
„aufatmen“ kann, sollen nun die Berechnungen des Instituts
für Geotechnik zeigen. Sie sollen unter anderem Aufschluß
darüber geben, inwieweit in der Zukunft weitere Verformungen
des Bodens unter dem Schiefen Turm von Pisa erwartet werden
können.
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Dabei
sollen erstmalig sogenannte Kriechverformungen berücksichtigt
werden. Dies sind Verformungen, die auch noch lange nach
der Fertigstellung des Bauwerks auftreten. Die Stuttgarter
Wissenschaftler hoffen, bis zum Ende des Jahres erste
Ergebnisse ihrer Berechnungen vorlegen zu können. Am Beispiel
des Schiefen Turms von Pisa, eines der Wahrzeichen Italiens,
das jährlich mehrere hunderttausend Touristen anzieht,
lassen sich besonders eindrucksvoll Verformungen zeigen,
die im Boden unter Belastung auftreten. Und das Wissen
um die Eigenschaften des Bodens rettete den schiefen Turm
schließlich auch vor dem Umkippen.
Schon während der Bauzeit im 12. und 13. Jahrhundert begann
sich der Turm zu neigen. Alle Versuche verschiedener Baumeister,
den Turm noch während der Bauzeit durch Gegengewichte
und Anwinkeln des Schafts gerade zu stellen, schlugen
fehl.
Im Laufe der Jahrhunderte neigte sich der rund 55 Meter
hohe Turm weiter. Ende der 80er Jahre mußte er für die
Öffentlichkeit gesperrt werden, weil sich die Spitze weit
in Richtung Süden geneigt hatte. Mehrere Rettungsversuche
hat es in den vergangenen 800 Jahren gegeben, doch die
Verformungen des Bodens unter dem Turm ließen sich nicht
stoppen. Bauingenieure aus aller Welt zerbrachen sich
den Kopf darüber, wie der Schiefe Turm nicht unbedingt
geradegerichtet, aber doch zumindest soweit zurückgekippt
werden könnte, daß der Einsturz nicht mehr drohte. So
wurde schließlich mit dem Wissen um die Bodenmechanik
ein Konzept zur Rettung des Schiefen Turms entworfen:
Auf der Seite, auf welcher sich der Turm nicht so stark
gesetzt hatte, saugte man vorsichtig Erdreich ab. Durch
das Eigengewicht des Turms und zusätzliche Bleigewichte
wurden die dabei entstandenen Hohlräume langsam zusammengedrückt,
und der Turm richtete sich auf. Stahlseile sicherten den
Turm dabei, indem sie ihn wie Hosenträger festhielten.
55 Tonnen Boden wurden auf diese Weise entnommen, was
die Neigung des Turms um ca. 40 Zentimeter verringerte
und seine Stabilität sicherstellte, so daß dieser ab dem
15. Dezember diesen Jahres für die Öffentlichkeit wieder
geöffnet wird.
Kontakt
Prof. Dr.-Ing. Pieter A. Vermeer, Institut für Geotechnik;
Tel. 0711/685-2436;
Fax 0711/685-2439; e-mail: vermeer@igs.uni-stuttgart.de
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