Home           Inhalt           Suchen

Stuttgarter unikurier Nr. 88 Dezember 2001
Arbeiten und Leben in der vernetzten Welt:
Homo s@piens
 

In der gleichnamigen Ringvorlesung aus der Reihe Technikfolgenabschätzung im vergangenen Sommersemester gingen zehn Referenten den vielfältigen Auswirkungen moderner Informationstechnologien auf die Arbeitswelt nach. Nach den sogenannten Kondratieff-Zyklen initiieren große Schlüsselinnovationen immer wieder neue Phasen der industriellen Entwicklung. Beim gegenwärtigen Übergang von der Dienstleistungsgesellschaft zur Wissensgesellschaft haben der Mikrochip und das Internet für eine vernetzte Welt gesorgt, deren Bedeutung vielleicht noch unterschätzt werden kann, die aber - wie alle anderen technologischen Schlüsselinnovationen - mit Sicherheit nicht rückgängig gemacht werden kann.

kleinbal.gif (902 Byte)
 

Die Rahmenbedingungen der vernetzten Welt haben bestimmenden Einfluß auf die Wirtschaft, die Informations- und Kommunikationstechnik, die Arbeitsprozesse und die Gesellschaft. In seinem Einführungsvortrag hob der Leiter der Ringvorlesungsreihe, Prof. Dr.-Ing. Hans-Jörg Bullinger, hervor, daß durch die Überwindung beliebiger Entfernungen mit den neuen Technologien die Information heute zu einer globalen Ressource geworden sei und damit auch zu einem neuen, zusätzlichen Poduktionsfaktor neben den klassischen Faktoren Arbeit, Kapital und Boden.

Ironisch unterhaltsam, bei konziser und zugleich weltläufiger Darstellung und dabei immer mit leicht schwäbischem Akzent hielt Prof. Bullinger die Studierenden dazu an, sich bereits im Studium auf das Arbeiten in der vernetzten Welt einzustellen. „Pflegen Sie Ihr Schwäbisch, aber ergänzen Sie es durch gutes Englisch.“ Denn ohne vertragssicheres Englisch und technische Fertigkeiten sei heute kein Studium und kein Arbeitsplatz mehr denkbar, betonte Bullinger. Entgegen der Befürchtung, daß in der technisch vernetzten Welt der Mensch in den Hintergrund gerate, stellte er heraus, daß gerade in der New Economy den Mitarbeitern und ihrer Qualifikation besondere Bedeutung zuwächst. Während 1970 noch 40 Prozent der Beschäftigten ihre Arbeitskraft in Produktions- und Montagetätigkeiten einsetzten, sind dies heute gerade noch 22 Prozent. Auf der anderen Seite stieg die Zahl der Beschäftigten in wissensintensiven Dienstleistungen von 29 auf 55 Prozent. In Baden-Württemberg seien bereits heute dreimal mehr Menschen im Erlebnisbereich tätig als im Maschinenbau und diese Märkte müßte man langsam ernst nehmen, mahnte Bullinger.

Mit Blick auf die gewandelten Rahmenbedingungen für künftige Arbeitsprozesse prognostizierte der Arbeitswissenschaftler Bullinger, daß die Flexibilisierung von Ort und Zeit der Arbeit noch weiter zunehmen werde unter gleichzeitiger Abnahme der Bedeutung des Normalarbeitsverhältnisses zugunsten der Zunahme von Selbständigkeit und einer Grenzverwischung zwischen Arbeit und Freizeit. Die durchgehende Vernetzung und Technisierung werde vor allem auch neue Qualifikationsanforderungen für den Ingenieur hervorbringen. Nicht nur technische Brillanz, sondern zunehmend Managerfähigkeiten sowie Führungskompetenz und Wissensorgani- sation werden gebraucht.
Genau an diesen Aspekt des Vortrages von Prof. Bullinger konnte Dr. Günter Hellbardt vom VDI/VDE Arbeitskreis Gesellschaft und Technik Stuttgart anschließen, der die Verantwortung der Ingenieure in der heutigen Zeit zum Thema machte. Um der anwachsenden Verantwortung gerecht zu werden, müßten auch Ingenieure den Diskurs suchen, sich in politische und soziale Diskussionen einbringen und immer an der Aufstellung und Abwägung mehrerer Alternativen und Lösungen arbeiten. In diese Richtung ziele auch der Ethikkodex für Ingenieure, der gegenwärtig vom VDI und weiteren Verbänden diskutiert werde.
Auch Dr. Ullrich Kischko von der Akademie für Mittelstand und Entrepreneurship in Aichtal wandte sich der Wirtschaftsethik in Zeiten der Globalisierung zu. Er plädierte für universalistische Ansätze der Ethik und empfahl die Organisation von Verantwortung durch institutionalisierte und dialogisch angelegte Folgebeurteilungsprozesse. Das Electronic Business, also die netzgestützte Abwicklung von Geschäftsprozessen, werde in Zukunft kein schmückendes Beiwerk oder auf wenige Produkte eingeschränkt bleiben, sondern zum integralen Bestandteil des Wirtschaftslebens werden. Dr. Wolfgang Heimsch von der Geschäftsleitung der Siemens Business Services räumte dabei auch mit den gängigen Mythen über diese Branche auf, denn e-business sei weder leicht noch billig, aber es führe auch nicht zur gleichzeitigen Zerstörung oder Kannibalisierung traditioneller Austauschbeziehungen.
In der Wissensgesellschaft wird Kreativität zu einer der wichtigsten Voraussetzungen der Produktivität werden. Wie die Entwicklung der Kreativität durch eine intelligente Bürogestaltung und Organisation von Gebäuden und Arbeitsprozessen unterstützt werden kann, zeigte Dipl-Ing. Alexander Rieck vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation am Beispiel von Office 21, einem Institutsentwurf für eine interaktive Bürolandschaft. Welche Auswirkungen die elektronischen Medien auf die Sprache haben kann, untersuchte Dr. Wilfried Schütte vom Mannheimer Institut für Deutsche Sprache am Beispiel des kommunikativen Stils in professionell genutzten Mailinglisten. Die allmähliche Durchdringung der Alltagssprache und der reduzierten Kürzel und Sprachfragmente der Internet-Sprache sei nicht nur positiv zu sehen. Aber es bilde sich durchaus ein eigenes Sprachverhalten mit spezifischen Regeln und Sprachmustern heraus.
Daß in dem Verhältnis von Technik und Gesellschaft kein naturwüchsiger Determinismus herrschen muß, stellte Prof. Dr. Ortwin Renn von der Akademie für Technikfolgenabschätzung und Uni Stuttgart heraus. Traditionelle Technikleitbilder waren entweder von den immanent technischen Zielen der Leistungssteigerung oder den ökonomisch orientierten Zielen der Produktmaximierung geprägt und der damit verbundenen Zwangsläufigkeit technischer Entwicklungen. Prof. Renn schlug dagegen vor, aus der Analyse des gesellschaftlichen Technikbedarfs das Leitbild für eine nachhaltige Technikentwicklung abzuleiten. Wichtig sei dabei, daß die Menschen, denen unsere heutige Gesellschaft zu technikbezogen erscheint, sich in diese Bedarfsanalyse einschalten können, um das befruchtende Nebeneinander pluraler Lebensformen und funktionsnotwendiger Techniken zu erfahren.
Die WAP-Technologie als einen Schritt in die Richtung eines „Pervasive Computing“ stellte Dipl.-Ing. Michael Wasmund von der Entwicklungabteilung von IBM Deutschland vor. Pervasive Computing ist der Name für das Ideal eines unbeschränkten, jederzeit möglichen Zugangs zu den relevanten Dienstleistungen und Informationen der modernen Kommunikationstechnik
Für einen differenzierten Blick auf die Entwicklung der Informationsgesellschaft plädierte Dipl.-Ing. Carl-Otto Gentsch vom Öko-Institut Freiburg. Am Beispiel der Telearbeit zeigte Gentsch, daß man das Ziel der Nachhaltigkeit in der IuK-Entwicklung nur erreichen kann, wenn man die Techniken und den Bedarf sehr genau aufeinander abstimmt. Während Telearbeit und Multimedia lange als besonders umweltentlastend und als Paradebeispiel einer nachhaltigen Entwicklung gepriesen wurden, zeigten neuere Untersuchungen, daß dies nur eingeschränkt der Fall ist. Werden nämlich die Zusatzinvestitionen und der organisatorische Mehraufwand berücksichtigt, zeige sich, daß die erhofften Auswirkungen der Telearbeit erst bei genügend großer Entfernung von Wohnort und Arbeitsplatz einsetzen. Ähnliches gelte auch für Videokonferenzsysteme. Welf Schröter vom Forum Soziale Technikgestaltung des DGB Landesbezirks stellte zum Abschluß der Vorlesungsreihe noch einmal den Strukturwandel der Arbeit in den Mittelpunkt. Das Absinken des Normalarbeitsverhältnisses zugunsten der Arbeit über das Netz enthalte einerseits Chancen zu mehr selbstbestimmtem Arbeiten, erhöhe aber auch den Druck auf die Beschäftigten zu weiterer Qualifizierung und höherer Leistung. Online-Kompetenz werde auf jeden Fall zum Anforderungsprofil für die Arbeitnehmer der Zukunft gehören. /eng

Kontakt
Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement
Tel. 0711/970-01, Fax 0711/970-2299
e-mail: hans-joerg.bullinger@iao.fhg.de

 


last change: 12.12.01 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

Home           Inhalt           Suchen