Stuttgarter unikurier
Nr. 89 April 2002 |
Elektronisches Publizieren:
Sind Verlage demnächst überflüssig? |
Elektronische Medien sind im Unibetrieb selbstverständlich. Doch sind sie von Nutzen für die Verbreitung und Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse oder wirken sie eher kontraproduktiv? Verdrängen elektronische Publikationen die klassischen Aufgaben der Verlage und bleibt die Qualitätssicherung weiterhin gewährleistet? Diese Fragen diskutierten Verlagsleute, Bibliothekare und Wissenschaftler im Oktober 2001 bei einer Veranstaltung der Universitätsbibliothek Stuttgart zum Thema „Vom Mehrwert wissenschaftlicher Zeitschriften“.
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„Kontinuität trotz Wandel“, fordert Arnoud de Kemp vom Springer Verlag. Viele im anfänglichen Enthusiasmus gegründeten elektronischen Zeitschriften sind wieder eingestellt worden, weil unter anderem die Autoren dort gar nicht publizieren wollten. Diese für die Verlage nicht ganz billigen Experimente haben de Kemp skeptischer gemacht, was den Nutzen der elektronischen Publikationen betrifft. Deshalb glaubt er: „Nur elektronische Publikationen haben noch keine Zukunft.“ Überhaupt müsse neu definiert werden, was eine Publikation ist. Sind Forschungsergebnisse, die auf dem Uni-Rechner liegen oder bei einem Kongress präsentiert wurden, Publikationen?
„Die Verlage müssen wissenschaftliche Manuskripte sortieren, selektieren, bewerten, verbreiten und finanzieren“, beschreibt de Kemp die Aufgaben der Verlage. „Vor allem das peer review-Verfahren hat sich bewährt“, erklärt Dr. Peter Gregory vom Verlag Wiley-VCH. Hierbei wird ein Beitrag von drei weiteren Wissenschaftlern beurteilt, die als peer-reviewer fungieren. Diese Gutachter arbeiten normalerweise kostenlos. Der Verlag übernimmt die Koordination und entscheidet, ob ein Beitrag veröffentlicht wird oder nicht. Gregory erwartet, dass die Aufgaben des Vertriebs zurückgehen, dafür müssten aber neue Zugangsmöglichkeiten wie Verlagsplattformen geschaffen werden.
Einige Dinge haben sich schon jetzt geändert. „Oft gibt es keine Printdoubletten mehr“, berichtet Bärbel Schubel von der Unibibliothek Freiburg. Das bedeutet weniger Kosten für die Bibliotheken. Auch die nahezu unbegrenzte Speicherkapazität sieht Schubel als Vorteil der elektronischen Publikationen ebenso wie die wegfallenden Binde- und Stellraumkosten. Ein großer Nachteil sei allerdings die im Moment noch ungeklärte Archivierung.
Kostenvorteile und breiteres Angebot
Von einem Mehrwert durch Zugriff auf zuvor nicht abonnierte Titel spricht Dr. Hildegard Schäffler von der Bayerischen Staatsbibliothek. Diese Erfahrung hat sie mit den zum bayerischen Konsortium zusammengeschlossenen Bibliotheken gemacht. Wenn ein Mitglied des Konsortiums ein Print-Medium abonniert hat, können alle Mitglieder auf die entsprechende elektronische Ausgabe zugreifen. Wichtig dabei ist die Struktur des ausgehandelten Zeitschriftenpakets und die Struktur der teilnehmenden Bibliotheken. „Keine Betonverträge abschließen“, warnt Schäffler, „sondern flexibel ans Nutzungsverhalten angepasste Verträge.“
Aus Sicht der Bibliotheken bringen die elektronischen Medien also durchaus Vorteile in Bezug auf die Kosten, außerdem können sie ihren Nutzern ein breiteres Titelangebot bieten. Trotzdem sind sich Verlagsleute und Wissenschaftler einig über die Bedeutung der Verlage. Prof. Jens Weitkamp vom Institut für technische Chemie der Uni Stuttgart ist Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Er gibt zu bedenken, dass sich die Qualitätssicherung in Kooperation mit den Verlagen bewährt hat. „Ohne professionelles Management kommen weder die Zeitschriften noch die elektronischen Publikationen aus“, ist Weitkamp überzeugt. Der Wissenschaftler fasst die Ansprüche der Nutzer zusammen: hohes wissenschaftliches Niveau, hoher Anteil an innovativen Beiträgen, hohe formale Qualität wie Bilder und Druck und weltweite Verbreitung. Prof. Weitkamp kann sich nicht vorstellen, dass elektronisches Publizieren auf peer- reviewing verzichten kann.
Wichtige Funktion der Verlage
Eine umfassende publizistische Erschließung und die Pflege eines Fachgebietes ist nur mit Verlagen zu erreichen, meint Uni-Rektor Prof. Dieter Fritsch. „Durch elektronische Medien wird viel graue Literatur erzeugt, Verlage müssen als Filter zwischen grau und weiß wirken“, erklärt Fritsch. Er appelliert an die Verlage, am Konzept des peer-review festzuhalten, die Preise für ihre Produkte moderat und transparent zu gestalten und einige Publikationen wie Sammelbände auf elektronische Medien umzustellen. Den Wissenschaftlern empfiehlt der Rektor, an der Kooperation mit den Verlagen festzuhalten.
Birgit Vennemann
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